Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Mordio im dänischen Irrenhaus
Theatergruppe Gerstungen feiert mit sehenswerter Freiluft-inszenierung von „Hamlet“Premiere. Vier weitere Vorstellungen folgen
Gerstungen. Diesen „Hamlet“muss man erst sterben und dann sacken lassen. Die Freiluft-inszenierung der Gerstunger Theatergruppe im 25. Jahr ihres Bestehens ist so leicht und doch so erdrückend, weil der Shakespeare-klassiker eben auch ein sehr dramatisches Eigengewicht besitzt. Sein oder nicht sein, das ist die Frage, auf die das Ensemble um Regisseurin Jana Freiberg ein klare Antwort findet.
Aus dem Kinderspielplatz Untersuhl wird mit klugem Aufwand von Technik (Ronny Skeries/adrian Schilling) und Bühnenbild (Gerold Woth) der Staat Dänemark, in dem wie immer an dieser Stelle etwas faul ist und in dessen Königshaus gestorben wird, was das Zeug hält. Am Ende bleibt Horatio (Ronny Barufke) allein gelassen zurück und muss sich fragen, wie und warum man in so einem Irrenhaus überhaupt überleben kann.
Der „Hamlet“der Gerstunger Theatergruppe ist keine leichte Kost. Der Text aus der Feder des Superstars ist nun mal sperrig, die Handlung vertrackt. So vertrackt wie fast alles in dieser Geschichte entlang der Hochzeit von König Claudius (Torsten Reum) mit dessen neuer Frau Gertrud (Desdemona Reum). Das Publikum war und ist eingeladen, Gast der turbulenten und ausschweifenden Hochzeit am Hofe zu sein.
Shakespeare-fans werden schon nach dem ersten Monolog von Hamlet (Denny Schmidt) begeistert sein, von seinem Charisma, seinem Spiel, später vielleicht auch von den neckischen Ideen in Bild- und Requisitensprache, wie die Sanduhren als Symbol des endlichen Lebens und die Clownsmasken der Spieler als Zeichen dieser grotesken Szenerie aus Liebe und Intrige, aus Ambivalenz, Lüsternheit und Gewalt.
Laien werden sich bis zur Pause vielleicht überfordert zurückgelassen fühlen und darauf hoffen, „dass noch etwas kommt“, etwas Durchschaubareres passiert. Es kommt. Es passiert.
Knapp zehn Monate arbeitete die Theatergruppe an dieser Inszenierung und ließ sich von Regisseurin Jana Freiberg mitunter dabei knechten. Das Resultat ist, und mag es nach Plattitüde klingen: großartig. Die Spielstätte ist außergewöhnlich wie gewöhnungsbedürftig, der fast volle Mond zur Premiere am Wochenende unbezahlbar.
Der Gerstunger „Hamlet“trieft abseits der bekannten Handlung des Mordens und Sterbens vor Symbolik und eindeutig zweideutigen Akzenten. Sie sind das Salz in der Suppe. Wie Johanna Schönherr die Rolle des Laertes ausfüllt, dazu ungewollt heißer geworden, verdient Applaus, wie auch Sabine Quaas, die die einarmige Ophelia als das zerrissen-weinerliche Mädchen verkörpert, das am Ende im Wasser stirbt. Die tote Ophelia liegt zu spätabendlicher Stunde übrigens über eine halbe Stunde regungslos im feuchtkühlen Spielplatzsand. Das Schauspielerdasein kann hart sein. Maik Beyer als androgyner Polonius wird erschossen sowie Juliane Grasse als Dämon der Angst und Arne Panke als Geist und Narr machen das shakespearsche Trauerspiel komplett. Das alles aber wäre nichts ohne die Kinder- und ErwachsenenClowns, die wie Derwische über das Spielfeld rasen. Sie bringen mehr als nur Farbe(n) ins Spiel.
Die Hamlet-inszenierung der Theatergruppe Gerstungen hält sich an den klassischen Stoff – den man etwas kennen sollte – , geht bei der Umsetzung aber mit großem Vergnügen weit darüber hinaus.
Was es zu Prinz Hamlet selbst zu sagen gibt? Nie hatte Denny Schmidt so ein großes Textpensum, nie war er so gut frisiert, lange nicht mehr so körperlich fit, nie so wertvoll und großartig wie in dieser Hauptrolle.