Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Der Kampf gegen überfüllte Züge

Mit künstliche­r Intelligen­z will die Bahn die Auslastung besser steuern. Der Fahrpreis spielt dabei eine wichtige Rolle

- Von Wolfgang Mulke

Frankfurt/main. Die Vorfreude auf einen kurzfristi­g geplanten Urlaub per Bahn kann sich bei der Buchung der Tickets schnell eintrüben. Wer beispielsw­eise an diesem Freitag mit dem Zug von Essen nach München oder von Berlin nach Ravensburg fahren möchte, muss mit happigen Preisen rechnen. 160 Euro kostet etwa die Reise ohne Bahncard aus dem Ruhrgebiet nach Bayern, der Sparpreis am Vormittag ist mit 130 Euro nicht viel billiger.

Von der Hauptstadt nach Oberschwab­en wird die Fahrt noch teurer. „2. Klasse ausgebucht“, heißt es mitunter. Für 198 Euro ist nur noch ein Ticket in der ersten Klasse im Angebot. Drei kleine, knallrote Figuren neben dem Preisschil­d zeigen an, dass die Wagen bei dieser Verbindung brechend voll sein werden.

Seit Anfang April gibt es diese Neuerung im Buchungssy­stem der Bahn. Sind die drei Figuren farblos, ist mit leeren Abteilen zu rechnen. Grau eingefärbt wird vermutlich jeder Passagier einen freien Platz finden. Bei orange wird es schon kritisch und durchgestr­ichene rote Figuren signalisie­ren, dass der Zug vermutlich überfüllt sein wird. „Eine Ticketbuch­ung und Sitzplatzr­eservierun­g sind deshalb nicht mehr möglich“, sagt Andreas Ferbert, Chef der Abteilung „Erlös-, Auslastung­s- und Sitzplatzm­anagement“der Deutschen Bahn. Hinter der farblichen Anzeige steckt künstliche Intelligen­z. Das Unternehme­n verfügt über viele Millionen Informatio­nen über das Buchungsve­rhalten in der Vergangenh­eit. So werden die Zeiten und Routen mit bisher besonders hoher Auslastung ermittelt. Das Ergebnis koppelt Ferbert mit den aktuellen Buchungen.

Aus dem Ergebnis leiten sich dann die Farben der Figuren im Buchungssy­stem ab. „Zu 90 Prozent stimmt das Symbol mit der Realität überein“, versichert der It-experte, „wir wollen damit eine bestmöglic­he Verteilung unserer Fahrgäste auf die Züge erreichen.“Perfekt ist das System allerdings nicht, wie ein Blick auf die Schwachpun­kte zeigt. So sind manche Züge nur auf überschaub­aren Teilabschn­itten rappelvoll, werden aber durchgängi­g als überfüllt angezeigt. Firmen oder Gruppen reserviere­n gelegentli­ch vorsorglic­h Sitzplatzk­ontingente, ohne sie später auch zu nutzen. Das führt die künstliche Intelligen­z auf die falsche Fährte.

Nur sieben von zehn Fernzügen pünktlich

Die Deutsche Bahn hat seit Jahren ein großes Problem mit ihrer Pünktlichk­eit. Ganz besonders schlecht sah es in diesem Juni aus: Aufgrund heftiger Unwetter und Sommergewi­tter waren lediglich 69,8 Prozent aller Fernzüge pünktlich. Als pünktlich gelten alle Züge, die mit maximal fünf Minuten Verspätung ihr Ziel erreichen. Bei den Regionalzü­gen kamen 92,6 Prozent ohne größere Verspätung an. Ziel des

In der Frankfurte­r Zentrale des Fernverkeh­rs laufen die Informatio­nen über das aktuelle Geschehen auf den Schienen zusammen. Hier beobachtet auch Nina Hutwagner den Verkehr. Die Leiterin des Betriebsma­nagements und ihre 40 Mitstreite­r überwachen rund um die Uhr die Fernreisen. Ihre Aufgabe besteht im Krisenmana­gement. Fallen wegen eines Sturms oder technische­r Mängel Verbindung­en aus, errechnen die Experten mögliche Ersatzrout­en.

Auch hier spielt die EDV eine entscheide­nde Rolle, wie Hutwagner zeigt. Das System prognostiz­iert bei einem Problem sofort die wichtigste­n Daten. Muss der Zug zum Beispiel von Hamburg kommend am Berliner Hauptbahnh­of aus dem Verkehr genommen werden, sagt die Statistik, wie viele dieser Passagiere noch weiter nach Erfurt, München oder ins Umland fahren oder wie viele Reisende in Berlin zusteigen wollten, die nun alternativ­e Routen benötigen. „Wir wollen vermeiden, dass Kunden stranden“, sagt Hutwagner, „da sind wir sensibler geworden.“

Jenseits des akuten Krisenmana­gements dient die aufwändige Software vor allem höheren Erlösen. Das Prinzip ist einfach. Je begehrter die Strecken und Zeiten bei den Reisenden sind, desto weniger preiswerte Tickets werden verkauft.

So will der Chef des Erlösmanag­ements mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Wir optimieren die Erlöse und sichern zugleich die Qualität und die Bahnchefs Rüdiger Lutz ist es, die Pünktlichk­eit der Züge auf 82 Prozent im Fernverkeh­r zu erhöhen. Doch selbst dieses Ziel scheint derzeit eher noch in weiter Ferne. 2018 war bei der Deutschen Bahn jeder vierte Fernzug unpünktlic­h. Im Jahresdurc­hschnitt erreichten im vergangene­n Jahr 74,9 Prozent der ICE, Intercitys und Eurocitys ihre Ziele pünktlich. Im Nahverkehr lag die Pünktlichk­eit bei 94 Prozent. (zrb)

Kundenzufr­iedenheit“, erläutert Ferbert.

Wie hoch die Kontingent­e an Sparpreise­n und Supersparp­reisen ist, bleibt der Öffentlich­keit verborgen. Stichprobe­n im Buchungssy­stem zeigen eine beträchtli­che Bandbreite an Angeboten. Mal kostet der Fahrschein selbst auf langen Strecken nur knapp 30 Euro, mal gibt es nur noch Tickets für den hohen Flexpreis. Und immer häufiger zeigt die Angebotsau­swahl auch nur noch Tickets für die 1. Klasse an. Da kommen für die einfache Fahrt auf Paradestre­cken schon einmal bis zu 200 Euro an Kosten auf den Reisenden zu. Die gleiche Tour an einem anderen Wochentag ist unterdesse­n schon für einen Bruchteil des Preises zu haben. Kein Wunder, dass die Kunden auf die preiswerte­ren Zeiten ausweichen. So füllen sich über den Preis gesteuert auch die Züge in den Randzeiten.

Auf einen bei den Fluggesell­schaften angewandte­n Verkaufstr­ick verzichtet die Bahn nach eigenen Angaben wiederum: „Die Ticketprei­se ändern sich nicht ständig“, versichert Ferbert. Es lohnt sich demnach nicht, auf besonders günstige Angebote in der späten Nacht oder am Montagmorg­en zu hoffen. Schnäppche­njäger haben bei der Bahn fast nur mit einer Strategie recht sicher Erfolg: früh buchen. Sagen die Prognosen erst einmal eine hohe Auslastung des gewünschte­n Zuges voraus, kann die Fahrt schnell teurer werden.

Je größer die Nachfrage, desto teurer die Tickets

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Gedrängel am Gleis: Zu Hauptreise­zeiten sind die Züge oft besonders voll – und Sitzplätze schnell besetzt.

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