Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Macht uns der Klimawandel krank?
Mit dieser Frage beschäftigt sich Deutschlands erste Professorin für Klima und Gesundheit, Sabine Gabrysch. Sie spricht von einem Notfall
Berlin. Der Klimawandel macht die Erde krank. Doch auch der Mensch leidet. Denn er ist Teil des planetaren Ökosystems, sagt Sabine Gabrysch. Die Medizinerin hat Deutschlands erste Professur für Klimawandel und Gesundheit an der Berliner Charité und dem Potsdam-institut für Klimafolgenforschung übernommen. Sie geht der Frage nach, wie Gesundheit und Klimaschutz Hand in Hand gehen können. Denn wenn sich nicht schnell etwas ändere, seien Hitzetote auch hier in Deutschland erst der Anfang.
Frau Gabrysch, wie krank macht uns der Klimawandel? Es sterben jetzt schon Menschen. Und die Folgen, die auf uns zukommen, sind noch viel gravierender. Das sind ganz andere Dimensionen, die wir als Gesellschaft nicht mehr managen können. Aber wir haben unsere Zukunft selbst in der Hand.
Was ist es konkret, was unserer Gesundheit gefährlich wird? Es ist eigentlich ganz einfach: Menschen brauchen zum Leben sauberes Wasser, gesunde Nahrung, saubere Luft, eine sichere Behausung. Unsere Gesundheit hängt von einer stabilen Umwelt, von einem gesunden Planeten ab. Wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät, trifft es am Ende uns selbst, den Menschen. Wir sägen den planetaren Ast ab, auf dem wir sitzen.
Haben das die Menschen verstanden?
Ich glaube nicht, dass sie wissen, wie dringend es ist. Aus meiner ärztlichen Perspektive haben wir hier einen Notfall, weil es eine lebensbedrohliche Situation ist. Eine Art planetarer Gesundheitsnotfall, um den wir uns schnell kümmern müssen. Was wir heute tun oder zu tun versäumen, bestimmt unser Klima für Jahrzehnte und Jahrhunderte.
Spielt sich dieser planetare Notfall nicht weit weg von den Menschen hierzulande ab? Spätestens, wenn Menschen als Flüchtlinge zu uns kommen, weil ihr Zuhause überschwemmt wurde, geht es uns etwas an. Nehmen Sie Länder wie Bangladesch, die nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen. Steigt der, suchen langfristig Millionen Menschen ein Zuhause.
Das betrifft dann vielleicht unsere Urenkel. Im Moment lebt es sich doch in Deutschland, in vielen Teilen Europas, ganz unbesorgt.
Aber es gibt auch hier jetzt schon direkte Auswirkungen auf die Gesundheit durch Extremereignisse wie Waldbrände, Überschwemmungen und Hitze. Sie müssen doch nur einmal vor die Tür gehen. Diese Hitze kann ernsthafte Folgen haben bis hin zu Hitzschlag, Nierenund Herzproblemen und erhöhter Sterblichkeit. Vor allem bei älteren Menschen, kleinen Kindern und Menschen mit Vorerkrankungen. Hinzu kommen indirekte Auswirkungen durch die Ausbreitung von Krankheitserregern.
Sie wollen auch zum Artensterben forschen. Was hat das mit der Gesundheit von Menschen zu tun?
Es gibt ja multiple planetare Krisen. Man kann sich den Klimawandel wie das Fieber des Planeten vorstellen. Aber es gibt noch andere Symptome. Fast eine Art drohendes Multiorganversagen. Die Ozeane versauern durch das CO2 in der Atmosphäre und sind außerdem voller Plastikmüll, Tier- und Pflanzenarten sterben aus, Wälder werden abgeholzt. Der Klimawandel wiederum verschärft die Probleme. Noch einmal: Die menschliche Gesundheit beruht auf einem funktionierenden planetaren Ökosystem. Um konkret zu werden: Insekten brauchen wir zum Beispiel für die Bestäubung von unseren Nahrungspflanzen.
Es geht Ihnen auch um Winwin-lösungen, von denen Menschen und Umwelt profitieren. Wie könnte das aussehen?
Das Beispiel, das jeder kennt, ist Fahrradfahren statt Autofahren. Oder Zu-fuß-gehen. Bewegung ist gut für die Gesundheit, gleichzeitig hat man weniger Luftverschmutzung und Treibhausgase. Die positive Botschaft ist ja: Wenn wir das umsetzen, was für den Klimawandel notwendig ist, dann tun wir auch was Gutes für die Gesundheit. Denn der gleiche Lebensstil, der für den Klimawandel verantwortlich ist, macht die Menschen krank. Andere Beispiele für Win-win-lösungen gibt es in der Agrarökologie, also ökologische Anbaumethoden in der Landwirtschaft, die weniger Pestizide benötigen und gleichzeitig die Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt erhalten. Da gibt es ganz viele clevere Ansätze.
Zum Beispiel?
Dünger, der auf Pflanzenkohle basiert und bei Feldversuchen mit unseren Studienteilnehmern in Bangladesch den Ertrag extrem gesteigert hat. Dabei wurden Erntereste wie Reisstroh verkohlt und dann mit Kuh-urin vermischt. Urin ist ein ziemlich guter Dünger, und mit der Pflanzenkohle stinkt er auch nicht. Das wurde dann teilweise noch mit Kompost vermischt, und siehe da: Die Ernten in den Hausgärten haben sich verdoppelt. Gleichzeitig verbessert der Dünger die Böden und bindet – wegen der Pflanzenkohle – CO2.
Es gibt noch immer Menschen, die bezweifeln, dass sich das Klima ändert. Hilft es, das Thema näher an sie heranzuholen – an ihre eigene Gesundheit? So bedauerlich das ist: Dass wir den Klimawandel auch in Deutschland inzwischen am eigenen Leib spüren, führt tatsächlich dazu, dass viele Menschen das ernster nehmen. So war es auch beim Ozonloch: Hätte das Ozonloch nicht Hautkrebs verursacht, sondern nur das Plankton im Meer getötet, hätten wir nicht so schnell gehandelt mit dem Verbot der FCKW, die in Deosprays und Kühlschränken steckten. Für die Begrenzung der Klimarisiken müssen wir unsere Wirtschaftsweise grundlegend umbauen. Die Ökonomen unter meinen Kollegen haben zeigen können, dass ein fairer Preis auf CO2 dazu beitragen kann. Meine Hoffnung ist, dass wir nicht erst handeln, wenn es noch mehr Klimadesaster, noch mehr Gesundheitsgefahren gibt. Sondern jetzt sofort.