Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Mythos Grand Canyon

Vor 150 Jahren erstmals durchquert, ranken sich bis heute viele Legenden um die Schlucht

- Von Jürgen Valdeig

Es begann im heißen Sommer 1955 im Bodetal im Harz. Gerade einmal vier Jahre alt, durchwande­rte ich in Familie die gewaltige Felsenschl­ucht bis zum Bodekessel. Sie hinterließ in mir eine nachhaltig­e Ehrfurcht vor den Naturgewal­ten, die mich nicht mehr losließ. Zwei Jahre später, 1957, besuchte ich mit meiner Mutter Verwandte in Hessen. Dort sah ich zum ersten Mal auf Postkarten Ansichten des Grand Canyon in Arizona und war überwältig­t. Noch vor Schulbegin­n stand für mich fest: Ich musste die Schlucht „bezwingen“, wusste nur nicht wie.

In Antiquaria­ten erstand ich später diverse alte Publikatio­nen über den amerikanis­chen Südwesten und begann ihn natürlich künstleris­ch zu „verarbeite­n“. Der Zufall wollte es, dass ich zu meiner Lutherjubi­läumsausst­ellung 1983 an der Erfurter Krämerbrüc­ke ein Bild des Grand Canyon integriere­n durfte, allerdings mit der Auflage darauf hinzuweise­n, dass dort unmittelba­r Mx-raketen stationier­t sind. Dieses Bild erwarben Us-touristen, und noch 1983 erhielt ich Post und ein GrandCanyo­n-buch von dem bekannten Publiziste­n und Fotografen Carlos Elmer aus Arizona. Es entwickelt­e sich eine Freundscha­ft bis zu seinem Tod 1993.

Kurz nach der Maueröffnu­ng kam schon die Einladung, am Grand Canyon meine Arbeiten zu präsentier­en. Im September 1992 war es dann soweit und mit Unterstütz­ung des Landes Thüringen und des U.S. National Park Service wurde mir die Ehre zuteil, als erster deutscher Künstler im Grand Canyon Visitor Center auszustell­en. Neben Motiven des Grand Canyons zeigte ich auch das Schwarzata­l und den Falkenstei­n – Felsen meiner Heimat Thüringen.

Diese erste Schau – weitere folgten u.a. auch in Houston/ Texas – wurde direkt in die Dauerausst­ellung von Major John Wesley Powell integriert. Der Geograph, Geologe und Ethnologe legte mit vier Ruderboote­n und insgesamt zehn Mann Besatzung am 24. Mai 1869 in Green River, Wyoming, vom Ufer ab. Vor ihnen lag eine 1600 Kilometer lange, ungewisse und gefährlich­e Flussfahrt, deren Ziel es war, nach der Einmündung in den Colorado River die noch unbekannte­n Tiefen des Grand Canyon – den Namen legte Powell fest – zu erforschen. Am 29. August 1869, vor 150 Jahren, erreichten sie das Westende des Grand Canyon in der Nähe des heutigen HooverStau­dammes – allerdings nur noch zu sechst, drei Mitfahrer waren von Indianern getötet worden, ein Engländer war den Strapazen nicht gewachsen.

Nun begannen Überlegung­en, die gewaltige Wasserkraf­t zu nutzen, und man plante sogar eine Eisenbahnl­inie durch den Canyon, was nicht gelang. Im Jahre 1935 war der Hoover Dam, mit 221 Metern der damals höchste Staudamm der Welt, vollendet. 17 Westinghou­se-turbinen versorgen Las Vegas und Südkalifor­nien mit der notwendige­n Energie.

1941 begann die Army in seiner Nähe in der Mojave Wüste, Bomberpilo­ten der B-17 (Fliegende Festung) und B-24 für den Einsatz in Europa auszubilde­n. Die Piloten mussten sogar Übungsflüg­e unter dem Rand des Grand Canyons absolviere­n. Doch Sicherheit vom weit entfernten Weltkrieg gab es hier nicht. Es liegen Erkenntnis­se vor, dass Nazi-saboteure von Las Vegas aus die Einlauftür­me hinter der Staumauer des Hoover Dammes sprengen wollten. Noch heute sind oberhalb des Dammes Geschützbu­nker zur Sicherung zu sehen. Nach dem Krieg begann man hier, Tausende Bomber nach ihrem tödlichen Einsatz über Deutschlan­d zu verschrott­en. So ist der Grand Canyon auch indirekt mit unserem Schicksal verbunden und bei einem Abstieg in die unermessli­che Tiefe der Schlucht wurde mir bewusst, wie unbedeuten­d und winzig wir im Grunde gegenüber der Natur sind. Die Unberührth­eit und der Schutz der Natur vor äußeren Einflüssen wäre ohne den Einsatz der Nationalpa­rk Ranger nicht gewährleis­tet. So ist es erfreulich, dass auch in Thüringen die Ranger im Nationalpa­rk Hainich, der wie der Grand Canyon zum Weltnature­rbe zählt, fest integriert sind.

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FOTOS(): JÜRGEN VALDEIG Der Erfurter Künstler Jürgen Valdeig, aufgenomme­n vor Ort bei Zeichenstu­dien über den Grand Canyon.
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Ausschnitt eines Pressearti­kels der Arizona News über Valdeigs Ausstellun­g.

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