Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Schwarmintelligenz im Garten
Beobachtungen über das kontrollierte Durcheinander im Arbeiterstaat der Waldameisen
Warum sie nicht den Waldboden für ihre Behausung wählten, stattdessen diesen Flecken Erde im Garten bevorzugten, ist eine Frage, die kaum zu beantworten ist. Unsere menschlichen Sinne sind dafür zu grob.
Von uns unbemerkt, begannen sie offenbar eines Tages, einige Baumnadeln und Holzstückchen zusammenzutragen, bis mir dieser kleine Hügel ins Auge fiel. Ich bemerkte auf ihm und in seiner Umgebung eine erstaunliche Emsigkeit von roten Waldameisen. Die Tierchen werkelten und wuselten in einem Chaos sondergleichen. Das sichtbare Arbeitsergebnis jedoch lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Hier ist straffe Organisation am Werk! Mir tritt eine große Welt im Kleinen entgegen. Aus der winzigen Anhöhe ist inzwischen ein stattlicher Hügel geworden. Ich bin daran nicht unbeteiligt. Ich versorge meine roten Waldameisen von Zeit zu Zeit mit jenem Baumaterial, das in unmittelbarer Nähe rar ist. Sie ergreifen sofort mit großem Fleiß die um den Hügel verteilten Nadeln, kleine Holzsplitter und Rindenstückchen. Und so wächst zu meiner Freude ihr Reich. Sie danken es mir mit ihrem unermüdlichen Arbeitseifer und ihrer Geschicktheit.
Sie marschieren der Hügelflanke empor, Tannnadeln und kleine Zweige tragend, die im Vergleich zu ihrem kleinen Körper riesig sind. Immer erscheint mir das hundertfache Gewusel chaotisch und unkoordiniert. Mit geduldiger Beobachtung gelingt es, ein wenig Licht in das Dunkel dieses Treibens zu bringen. Da gibt es die Träger der Baustoffe, die Konstrukteure an den Eingängen der Ameisenburg und die im Innern arbeitenden Architekten. Und so wächst in diesen konzertierten Aktionen ein Bauwerk heran, das sie geschickt verwalten und mit bemerkenswerter Hingabe bewahren. Wie bringen es Tausende Miniaturgehirne zustande, so zielgerichtet und zukunftsträchtig zu handeln? Es seien die Duftstoffe, so konstatiert die Wissenschaft, die diese vielfältigen Verbindungen zwischen den winzigen Hirnen der Tiere so wundersam verknüpfen.
Und doch können wir die tiefgründigen Zusammenhänge und Geheimnisse nicht entschlüsseln. Übrig bleibt für mich Verwunderung und eine Analogie zum menschlichen Leben, die nur manchmal eine ist.
Die roten Waldameisen wissen offenbar genau, was sie tun und dass sie es für sich tun. Sie sind unter sich mit ihrer MitweltNatur im Einklang. Sie räumen alles für sie Schädigende in der Nähe ihrer kleinen Welt aus dem Weg. Sie schließen die Eingänge ins Innere, wenn die Sonne zu heiß ihre heimische Burg bescheint oder Tageskälte und Regen das Innere und besonders die heranwachsenden Nachkommen zu schädigen drohen. Sie regulieren das Klima in ihrer Lebenswelt durch schnelles und rechtzeitiges Handeln zur Erhaltung ihrer Art. Ihr abgestimmtes Reagieren in dieser Gemeinsamkeit ist trotz der geringen Intelligenz der einzelnen Ameise erstaunlich. Sie offenbaren mir ihre genügsame Selbstbegrenzung: Unser Wohlstand ist unser Fortbestand. Was für ein Sinnbild für uns vernunftbegabte Menschen mit einem doch unzuverlässigen und oft pflichtvergessenen Weltbewusstsein!