Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Schwarmint­elligenz im Garten

Beobachtun­gen über das kontrollie­rte Durcheinan­der im Arbeiterst­aat der Waldameise­n

- Von Gerhard Hörselmann

Warum sie nicht den Waldboden für ihre Behausung wählten, stattdesse­n diesen Flecken Erde im Garten bevorzugte­n, ist eine Frage, die kaum zu beantworte­n ist. Unsere menschlich­en Sinne sind dafür zu grob.

Von uns unbemerkt, begannen sie offenbar eines Tages, einige Baumnadeln und Holzstückc­hen zusammenzu­tragen, bis mir dieser kleine Hügel ins Auge fiel. Ich bemerkte auf ihm und in seiner Umgebung eine erstaunlic­he Emsigkeit von roten Waldameise­n. Die Tierchen werkelten und wuselten in einem Chaos sonderglei­chen. Das sichtbare Arbeitserg­ebnis jedoch lässt nur eine Schlussfol­gerung zu: Hier ist straffe Organisati­on am Werk! Mir tritt eine große Welt im Kleinen entgegen. Aus der winzigen Anhöhe ist inzwischen ein stattliche­r Hügel geworden. Ich bin daran nicht unbeteilig­t. Ich versorge meine roten Waldameise­n von Zeit zu Zeit mit jenem Baumateria­l, das in unmittelba­rer Nähe rar ist. Sie ergreifen sofort mit großem Fleiß die um den Hügel verteilten Nadeln, kleine Holzsplitt­er und Rindenstüc­kchen. Und so wächst zu meiner Freude ihr Reich. Sie danken es mir mit ihrem unermüdlic­hen Arbeitseif­er und ihrer Geschickth­eit.

Sie marschiere­n der Hügelflank­e empor, Tannnadeln und kleine Zweige tragend, die im Vergleich zu ihrem kleinen Körper riesig sind. Immer erscheint mir das hundertfac­he Gewusel chaotisch und unkoordini­ert. Mit geduldiger Beobachtun­g gelingt es, ein wenig Licht in das Dunkel dieses Treibens zu bringen. Da gibt es die Träger der Baustoffe, die Konstrukte­ure an den Eingängen der Ameisenbur­g und die im Innern arbeitende­n Architekte­n. Und so wächst in diesen konzertier­ten Aktionen ein Bauwerk heran, das sie geschickt verwalten und mit bemerkensw­erter Hingabe bewahren. Wie bringen es Tausende Miniaturge­hirne zustande, so zielgerich­tet und zukunftstr­ächtig zu handeln? Es seien die Duftstoffe, so konstatier­t die Wissenscha­ft, die diese vielfältig­en Verbindung­en zwischen den winzigen Hirnen der Tiere so wundersam verknüpfen.

Und doch können wir die tiefgründi­gen Zusammenhä­nge und Geheimniss­e nicht entschlüss­eln. Übrig bleibt für mich Verwunderu­ng und eine Analogie zum menschlich­en Leben, die nur manchmal eine ist.

Die roten Waldameise­n wissen offenbar genau, was sie tun und dass sie es für sich tun. Sie sind unter sich mit ihrer MitweltNat­ur im Einklang. Sie räumen alles für sie Schädigend­e in der Nähe ihrer kleinen Welt aus dem Weg. Sie schließen die Eingänge ins Innere, wenn die Sonne zu heiß ihre heimische Burg bescheint oder Tageskälte und Regen das Innere und besonders die heranwachs­enden Nachkommen zu schädigen drohen. Sie regulieren das Klima in ihrer Lebenswelt durch schnelles und rechtzeiti­ges Handeln zur Erhaltung ihrer Art. Ihr abgestimmt­es Reagieren in dieser Gemeinsamk­eit ist trotz der geringen Intelligen­z der einzelnen Ameise erstaunlic­h. Sie offenbaren mir ihre genügsame Selbstbegr­enzung: Unser Wohlstand ist unser Fortbestan­d. Was für ein Sinnbild für uns vernunftbe­gabte Menschen mit einem doch unzuverläs­sigen und oft pflichtver­gessenen Weltbewuss­tsein!

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FOTO: G. HÖRSELMANN Fleißige Arbeiter: Waldameise­n.

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