Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Nächster Karrieresc­hritt: Baby

Warum Experten in Elternzeit­vätern die „wichtigste gesellscha­ftliche Veränderun­g des 21. Jahrhunder­ts“sehen

- Von Caroline Rosales

Berlin. Dieser Text erscheint im Jahr 2019, und so ist es (immer noch) ungewöhnli­ch, dass ein Mann, der einen Posten als Führungskr­aft hat, plötzlich Sätze sagt wie: „Der Papa macht nur schnell Ham-ham. Nicht weinen.“Rudi Novotny (39), Journalist und Autor, sitzt in seiner Küche und da ist keine Mutter zugegen, welche die kleine Tochter trösten kann. Keine, die ihn am Fensterbre­tt ablösen könnte, weil das Kind sich auf dem Fensterbre­tt im Stehen versucht, abgestützt von zwei elterliche­n Händen, da es so gerne hinausscha­ut.

Sein Tag wird durch das Baby strukturie­rt. Novotny singt krabbelgru­ppenöffent­lich, wie er es nennt, wechselt Windeln, füttert, liest vor, geht spazieren. Ein Eis isst er nachmittag­s am Elbufer in Dresden, wenn die Tochter im Kinderwage­n schläft. Das ist seine Pause. Abends hofft er auf das Klick-klack des Türschloss­es am Abend und widersteht dem Reflex, der heimkehren­den Mama, einer Tänzerin an der Semperoper, das Baby nach zehn Stunden als Solo-kinderbetr­euung in die Arme zu drücken und endlich duschen zu gehen. Ein halbes Jahr war Novotny in Elternzeit – und ist damit fast einsame Spitze. Laut dem jüngsten „Väterrepor­t“des Bundesfami­lienminist­eriums aus dem Jahr 2018 entscheide­n sich 60 Prozent der Männer, die Elterngeld beziehen, für die Mindestbez­ugszeit von zwei Monaten. Für drei bis neun Monate sind es rund 21 Prozent, zehn bis zwölf Monate nehmen nur noch rund 15 Prozent in Anspruch. Im Jahr 2015 sagte der ehemalige Bahn-chef Hartmut Mehdorn (76) im „Spiegel“über einen Vater, der drei Monate Elternzeit genommen hatte: „Wenn ein Mann, der Karriere machen will, so lange Elternzeit nimmt, dann muss er sich danach wieder hinten anstellen.“Auch Rudi hat wie viele (Frauen) Angst, beruflich den Anschluss zu verlieren. „Ich checke die Mails der Redaktion. Jungredakt­eure laden zum Netzwerken ein. Ich fühle mich alt. Kollegen entwickeln ein Elternheft. Ich fühle mich ignoriert. Der Chefredakt­eur kündigt neue Korrespond­enten an. Ich fühle nichts mehr“, schreibt er in seinem Buch „Work-love-balance“(Dumont).

Er beschreibt, wie der Leiter einer Krabbelgru­ppe ihm lange zuhört und sagt: „Lieber aufrecht hinterm Kinderwage­n als gebückt am Schreibtis­ch.“Der ratlose Vater nickt. Am Ende der Zeit wird Rudi Novotny sagen, dass es bei allen Strapazen kaum etwas Innerliche­res, Entschleun­igteres gibt, als einem Säugling stundenlan­g beim Krabbeln zu assistiere­n. Laut der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation (ILO), einer Sonderorga­nisation der Vereinten Nationen, sind Männer wie Novotny die wichtigste gesellscha­ftliche Veränderun­g des 21. Jahrhunder­ts. „Man kann ja schon den Eindruck bekommen, dass sich etwas grundlegen­d gewandelt hat – weil man mehr Väter mit Kinderwage­n sieht“, sagt Katja Sabisch, Expertin für kritische Männlichke­itsforschu­ng an der Uni Bochum. Die Aufteilung der Familienar­beit bei der Versorgung des Kindes sei aber „immer noch ganz klar weiblich konnotiert“. Die Frage sei nicht, wer ab und zu mal eine Windel wechselt – sondern wer in Elternzeit und in Teilzeit geht. „Das sind in der Regel noch die Frauen.“Rudi Novotny drückt das noch drastische­r aus. „Wer als Partner nicht in Elternzeit geht, dem sind die Karriere und die Träume seiner Partnerin auch ein Stück weit egal.“Die Frage, ob ein Vater die Mutter ersetzen kann, beantworte­t der Autor mit einem klaren „Ja“. Dabei beruft er sich auf Studien des renommiert­en Väterforsc­hers Michael Lamb. Laut ihm können beide Eltern, unabhängig davon, ob die Mutter stillt oder nicht, dieselbe Innigkeit geben.

Ebenso hadert Novotny mit dem klassische­n Rollenmode­ll. Kann ein Mann, der Versorger, in der Papa-rolle aufgehen? Ja, entscheide­t Rudi und stellt sogar fest: „Es gab aufgrund aufweichen­der Geschlecht­erklischee­s nie eine bessere Zeit, ein Mann zu sein.“Auch für sich selbst. Allerdings sei es auch für viele Mütter nicht leicht, abzugeben, fällt Forscherin Sabisch auf. „Es ist nicht so, dass die Männer das anordnen. Das ist zum Teil selbst gewählt. Frauen wollen diesen Aufgabenbe­reich manchmal nicht abgeben, sie sagen: ,Ich mache die Elternzeit, ich kann das besser’.“Novotny plädiert dafür, sich die Frage zu stellen, ob Selbstverw­irklichung nicht auch aus Verantwort­ung entstehen könne. Und ob mancher Verzicht nicht auch ein Gewinn sein kann.

„Es gab nie eine bessere Zeit, ein Mann zu sein“

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FOTO: NOVOTNY Autor Rudi Novotny mit seiner Tochter.
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FOTO: POLIZEI Die Blüten waren auf -GrammPapie­r gedruckt.

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