Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Fünf Gramm Marihuana führen hinter Gitter

Cybercrime-experten des Landeskrim­inalamtes beenden nach einem kleinen Drogenfund einen illegalen Onlinehand­el und finden millionenf­ach erbeutete Daten

- Von Kai Mudra

Erfurt. Ein kleines Päckchen bei der Polizei in Meiningen führt Thüringer Interneter­mittler tief in die Bereiche Cybercrime und Drogenhand­el. Sein Inhalt sind gerade einmal fünf Gramm Marihuana. Anfangs können die Experten des Landeskrim­inalamtes (LKA) nur wenig mit dem Asservat anfangen. Dem Marihuana liegt Werbung für einen Onlineshop bei, dessen Spezialitä­t der Verkauf illegaler Drogen ist.

Als kurz nach dem ersten ein zweites Päckchen auftaucht, diesmal in Österreich, wieder mit Drogen gefüllt und wieder vermeintli­ch aus Südthüring­en, nehmen die Ermittlung­en Fahrt auf. Das LKA entscheide­t, der Sache nachzugehe­n. Zuständig für den Fall ist das Dezernat 64 „Cybercrime“. Gefährlich­e Machenscha­ften, Kinderporn­ografie und kriminelle Geschäfte im Internet gerichtsfe­st aufzudecke­n, ist die Aufgabe der Experten. Der Onlineshop sei damals ganz normal im Internet zu finden gewesen, erzählt Manuel Nolte, Chef des Dezernats 64. Vergangene­n Donnerstag präsentier­t er die Arbeit der Interneter­mittler im LKA. Und genau diese Beamten finden damals einen weiteren Onlinehand­el, diesmal im sogenannte­n Darknet, der offensicht­lich denselben, noch unbekannte­n Anbieter hat. Vor allem wegen seiner Anonymität und der schwer zu verfolgend­en Spuren ist dieser dunkle Bereich des Internets bei Kriminelle­n beliebt.

Im zweiten Shop sei alles an Drogen zu bekommen gewesen, heißt es. Zudem wurde ganz wie auf den großen Plattforme­n mit positiven Bewertunge­n von Kunden geworben. Fotos präsentier­ten die Angebote, darunter illegale Drogen. Genau diese Bilder helfen später dem LKA, die Geschäfte auch nachzuweis­en. Denn die Drogen wurden immer auf einem schwarzen Tablett abgelichte­t.

Per Paketdiens­t erreicht die heiße Ware ihre Empfänger. Genau da setzten die Kriminalis­ten an. Um den Päckchen auf die Spur zu kommen, borgen sich die Thüringer aus einem der Nachbarlän­der einen verdeckten Ermittler, der sich im Bereich Cybercrime auskennt. Dem Freistaat fehlt bisher ein solcher Experte. Dieser veranlasst Scheinbest­ellungen beim verdächtig­en Versandhan­del.

Alles läuft glatt, beim Paketdiens­t können die Sendungen nachverfol­gt werden. So weiß die Polizei recht schnell, wo die Päckchen aufgegeben werden. Während der Observatio­n

Jens Kehr, Lka-präsident einer Postfilial­e fallen zwei Personen – eine 19-jährige Frau und ein etwa 50jähriger Mann – auf, weil sie immer wieder kleinere Lieferunge­n verschicke­n. Parallel dazu durchforst­en die Beamten weiter das Internet. Beim genauen Prüfen des Onlineshop­s im Darknet stoßen sie auf 2300 vermutlich illegale Drogengesc­häfte.

Die Ermittler durchleuch­ten auch weiter die verdächtig­en Bereiche des Internets und entdecken die Frage eines anonymen Nutzers nach einem „Mister P.“. Die Antwort lautet, dass genau dieser Mister P. den verdächtig­en Onlinehand­el betreiben soll.

Jetzt werden die Thüringer CyberExper­ten erst recht hellhörig und bitten das Bundeskrim­inalamt um Hilfe. Vielleicht finden sich ja Hinweise auf Mister P. in einer der sichergest­ellten Datenbanke­n. Es folgt ein Volltreffe­r. Ein älteres Geschäft im Darknet bezahlt Mister P. mit seiner Kreditkart­e und richtigen Angaben.

Diese Echtdaten führen zum Freund der 19-jährigen Frau, erzählt Kriminaldi­rektor Nolte. Sie befindet sich bereits im Fokus des LKA, weil sie die Drogenpäck­chen aufgegeben haben soll. Die Ermittler können es anfangs kaum glauben, Drogensend­ungen und der Onlineshop stammten offensicht­lich wirklich aus Südthüring­en, aus einer Gemeinde im Kreis Schmalkald­en-meiningen.

Jetzt läuft die Spurensuch­e auf Hochtouren. Die Kriminalte­chnik beim LKA untersucht die abgefangen­en Drogensend­ungen auf mögliche Dna-rückstände und Fingerabdr­ücke. Beim Auswerten der Drogenfoto­s fällt auf, dass immer wieder das gleiche Samsung-smartphone benutzt wird. Um weiterzuko­mmen, greifen die Experten tief in ihre technische Trickkiste. Sie setzen einen sogenannte­n Imsi-catcher in der verdächtig­en Region ein. Dieser simuliert eine Mobilfunkz­elle und kann so Kommunikat­ions-daten abgreifen – mit Erfolg, denn in der Gemeinde, in der die Verdächtig­en vermutet werden, befinden sich auch drei Smartphone­s des gesuchten Typs im Funknetz. „Zwei davon hatten auswärtige Registrier­ungsadress­en“, erklärt Manuel Nolte. Das sei auffällig.

Damit haben Ermittler und Staatsanwa­ltschaft alles beisammen, um erfolgreic­h einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss zu beantragen. Mit 13 Seiten ist dieser riesig, listet er doch mehr als 1000 Straftaten auf. Die kriminelle Energie der Verdächtig­en sollte so deutlich werden.

Doch die Ermittlung­en sind noch immer nicht am Ende. Der Zufall führt die Beamten auf eine weitere Spur. Diesmal ist das Polizeiprä­sidium Köln Ausgangspu­nkt. Dort geht eine Anzeige ein, wonach per Mail versucht wurde, Daten wie Passwörter abzufische­n. Phishing nennt sich deshalb dieses Vorgehen. Das Interesse der Thüringer Lka-beamten weckt ein Detail. Die technische Absende-adresse der verdächtig­en Mail weist nach Südthüring­en.

Beim genauen Auswerten der Daten zeigt sich, die Mail stammt offenbar von der Adresse eines engen Bekannten des Mister P.

Also übernimmt das LKA den Fall aus Köln. Im Dezernat Cybercrime wird die Frage diskutiert, ob der mutmaßlich­e Drogendeal­er auch ein Cyberkrimi­neller ist, denn beim Analysiere­n ihrer Daten finden die Experten eine Darknet-anfrage von Mister P. Er sucht offenbar Hilfe beim Programmie­ren spezieller Mails zum Ausspähen von Daten eines Bezahlsyst­ems.

Während der Razzia bei ihm können offenbar einige Drogen sichergest­ellt und das Tablett gefunden werden, auf dem diese fotografie­rt wurden. Beschlagna­hmt wird auch ein Smartphone sowie eine Festplatte. Diese ist verschlüss­elt und nur schwer zu knacken.

Doch die Ermittler haben Glück und finden eine Hintertür. It-forensiker, also Kriminalte­chniker im Dezernat 43, die auf Digitaltec­hnik spezialisi­ert sind, entdecken beim Auslesen der Handydaten das Passwort für eine Online-seite. Dieser Code entschlüss­elt auch die Festplatte. Damit knackt der Bereich Cybercrime den Jackpot.

Denn das Speicherme­dium enthält millionenf­ach persönlich­e Daten. Die Ermittler stehen vor der Frage, ob diese gekauft oder gehackt wurden. Für ein künftiges Gerichtsve­rfahren ist das ein entscheide­nder Punkt. Letztlich finden die Beamten heraus, dass der Verdächtig­e bei mehreren Kampagnen sechs Millionen Phishing-mails verschickt hat. Dabei soll er etwa 4000 Bankkontod­aten, 3500 Zugangsdat­en für einen großen Internetsh­op sowie 13.000 Bezahldate­n für ein OnlineSyst­em erbeutet haben. Es sei ihm gelungen etwa 500 Internetsh­ops zu hacken, sagt Manuel Nolte.

BKA und LKA informiere­n die Betroffene­n. Viele davon, auch unter den Onlinehänd­lern, haben den Datenverlu­st bis dahin nicht bemerkt.

Die Cybercrime-experten zeigen, dass der Verdächtig­e nur mit frei zugänglich­er Software und Hilfe aus

Cybercrime im LKA

Erfurt. Im Dezernat 64 „Cybercrime“arbeiten derzeit 20 Spezialist­en. Zu ihren Aufgaben gehören neben Betrug im Internet auch Ermittlung­en zu Kinderund Jugendporn­ografie im Netz. In Thüringen werden Daten zur strafbaren Pornografi­e zentral vom Dezernat 64 ausgewerte­t. Sechs Beamtinnen und Beamte sind dafür zuständig. Sie erhalten zunehmend auch Unterstütz­ung durch den Einsatz künstliche­r Intelligen­z. Die letzte Entscheidu­ng über die Strafbarke­it von Bildern oder Videos treffen die Beamten.

Im Dezernat 43, „Forensisch­e Imformatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k“, werden im LKA digitale Geräte ausgewerte­t. Die acht spezialisi­erten Kriminalte­chniker können unter anderem Speicherme­dien ohne sie zu verändern entschlüss­eln und auslesen, aber auch Daten noch aus zerstörten aus Handys oder verschlüss­elten Speicherch­ips gewinnen. (kmu)

Postfilial­e ist die erste Spur zum illegalen Onlinehand­el

Smartphone-daten helfen den Ermittlern mehrfach weiter

Nach Abschluss des Falls gibt das LKA etwa 2000 Ermittlung­sverfahren bundes- und weltweit an die zuständige­n Dienststel­len der Polizei ab. Diese betreffen Kunden des Onlineshop­s, sollten sie Drogen gekauft haben.

Die Erkenntnis­se sind so umfassend, dass die Staatsanwa­ltschaft Gera 2017 vor dem Landgerich­t Meiningen drei Tage zum Verlesen der Anklage braucht. Die 318 Seiten listen akribisch jeden einzelnen Fall auf. Im Dezember 2017 wird der Angeklagte wegen der Drogendeli­kte zu zehn Jahren Haft verurteilt. Bisher ist der Richterspr­uch noch nicht rechtskräf­tig.

Wegen der Cybercrime-straftaten klagt die Staatsanwa­ltschaft Mühlhausen den Beschuldig­ten 2018 an. Er wird noch einmal zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt.

Auf die Frage, ob der Verdächtig­e mit einem Täterprofi­l enttarnt worden wäre, meint Manuel Nolte „nein“. Der Mann habe einen Realschula­bschluss, spricht nur Deutsch, war Langzeitar­beitsloser ohne eine It-ausbildung oder spezielle It-kenntnisse. Seine einzige Erfahrung sei der Straßenhan­del mit Drogen gewesen, ergänzt ein Ermittler.

Der Fall zeige, wie aufwendig Cybercrime-verfahren sind und warum dringend mehr Personal benötigt werde, meint der Dezernatsl­eiter.

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FOTO: KAI MUDRA Auch die Kriminalte­chnik im LKA rüstet auf. Kriminalha­uptkommiss­ar Richter zeigt ein Gerät, das Chips zum Auslesen der Daten automatisc­h von einer Platine lötet und wieder einsetzten kann.
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„Im It-bereich haben wir einiges vor und sind auf dem Weg, aber noch nicht da, wo wir hin müssen.“

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