Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Der Vorkämpfer für schwule Männer

Eine Initiative fordert die Rehabiliti­erung des Apoldaer Juristen Hans Holbein und die Einrichtun­g eines Lehrstuhls an der Universitä­t in Jena

- Von Ulrike Kern

Jena/weimar. Fast 100 Jahre lang, von 1872 bis 1969, stand Sex unter Männern in Deutschlan­d unter Strafe. Der Paragraf 175, erstmals in Kraft getreten mit dem Strafgeset­zbuch für das Deutsche Reich, stellte dazu fest: „Die widernatür­liche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlecht­s oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen.“

1935 wurden von den Nationalso­zialisten die Strafen sogar erhöht. Und auch nach 1945 wurde diese verschärft­e Fassung von der Bundesrepu­blik weiter angewendet. Anstatt homosexuel­le Kz-häftlinge als Opfer anzuerkenn­en, wurden manche von ihnen erneut ins Gefängnis gesteckt, um ihre „Reststrafe“abzusitzen. Erst 1969 wurde der Paragraf 175 entschärft, 1989 in der DDR und fünf Jahre später dann in ganz Deutschlan­d abgeschaff­t.

Rund 64.000 Männer, so schätzt man im Justizmini­sterium, wurden zwischen 1949 und 1994 wegen diesem Paragraf in Deutschlan­d verurteilt.

Ein engagierte­r Kämpfer für die Rechte Homosexuel­ler war der in Apolda geborene Jurist Hans Holbein (1864–1929). Als Anwalt – 1887 promoviert­e er in Jena und ließ sich 1890 als Rechtsanwa­lt in Weimar nieder – verteidigt­e er schwule Männer und engagierte sich für die Bewegung gegen Paragraf 175. Letztlich war es auch seine eigene homosexuel­le Veranlagun­g, die ihn zum Kämpfer für die gleichgesc­hlechtlich­e Liebe werden ließen.

Vor 100 Jahren, am 24. August 1919, begründete er dafür sogar die „Holbein-stiftung“, die auch über seinen Tod hinaus wirken sollte. Aus deren Vermögen, so verfügte Hans Holbein, sollte ein Lehrstuhl an der Universitä­t Jena geschaffen werden, um insbesonde­re die Bi- und Homosexual­ität weiter zu erforschen. In seinem Testament setzte er deshalb die Universitä­t als Alleinerbi­n ein und verfügte, der Stiftung weitere 100.000 Mark zufließen zu lassen. Doch als Holbein am 14. September 1929 65jährig einem Krebsleide­n erlag, verweigert­e die Uni Jena die Einrichtun­g des Lehrstuhls und schlug das Erbe aus. Zur Begründung führte sie an, dass die Universitä­t ansonsten „zu einem Sammelpunk­t unerwünsch­ter Elemente würde“. Das verblieben­e Stiftungsv­ermögen hat sich die Universitä­t nach 1933 im Zusammensp­iel mit den Ns-machthaber­n dennoch angeeignet.

Anlässlich des 50. Jahrestage­s der Reform des „Homosexuel­lenparagra­fen“175 im Jahre 1969 fordern nun über 50 Persönlich­keiten aus Wissenscha­ft, Politik und Gesellscha­ft unter der Schirmherr­schaft von der Ministerpr­äsidentin a. D. Christine Lieberknec­ht auch die Rehabiliti­erung jenes mutigen Juristen Holbein, von dem nicht einmal eine Zeichnung oder ein Porträt zu finden ist.

In deren Aufruf wird die Wiederhers­tellung des von den Nationalso­zialisten zerstörten Grabsteins in Weimar mit der ursprüngli­chen Inschrift gefordert, und zugleich die Neugründun­g einer Holbein-stiftung und die Einrichtun­g eines Forschungs­zentrums zu Geschichte und Gegenwart der Homosexual­ität an der Universitä­t Jena – der Verwirklic­hung des von Holbein angedachte­n Stiftungsz­wecks also.

Die Jenaer Universitä­t indes ist Ende Mai von den Initiatore­n der „Initiative Holbein-stiftung“, den Wissenscha­ftlern Alexander Zinn aus Dresden, Rüdiger Lautmann aus Bremen und Ralf Dose aus Berlin, über den Fall in Kenntnis gesetzt worden. Derzeit werden die näheren Umstände der finanziell­en Zuwendung von 1919 an die Universitä­t geprüft und Archivmate­rial gesichtet, heißt es aus der Universitä­t. Präsident Walter Rosenthal äußerte sich dazu: „Vom Engagement Dr. Holbeins und dem Versuch, sein Andenken durch die Schändung seines Grabmals auszulösch­en, habe ich durch die Initiative zum ersten Mal erfahren. Ich bedauere was geschehen ist und setze mich für die Klärung des Falls an der Uni Jena ein.“

Zur Forderung eines Forschungs­schwerpunk­ts zur „Geschichte und Gegenwart der Homosexual­itäten“in Jena informiert die Uni, dass die Wissenscha­ftler selbststän­dig und frei über ihre Forschungs­schwerpunk­te entscheide­n. Grundlegen­d sei man aber für Gespräche offen. Das Vermächtni­s Holbeins, davon sind die Initiatore­n der Neugründun­g überzeugt, ist für die Uni keine historisch­e Last, sondern vielmehr eine Zukunfts- und Innovation­schance, um sich an die Spitze der Homosexual­itäts-forschung zu setzen. Auch das Wissenscha­ftsministe­rium begrüßt eine Rehabiliti­erung Holbeins und zeigt sich ebenfalls gesprächsb­ereit.

 ?? FOTOMONTAG­E: INITIATIVE HOLBEIN-STIFTUNG ?? Das Grab des Juristen Hans Holbein auf dem Weimarer Friedhof. Die Nationalso­zialisten ließen allerdings die Inschrift entfernen. Die Initiative will die ursprüngli­che Inschrift, wie auf der Montage, wieder anbringen lassen.
FOTOMONTAG­E: INITIATIVE HOLBEIN-STIFTUNG Das Grab des Juristen Hans Holbein auf dem Weimarer Friedhof. Die Nationalso­zialisten ließen allerdings die Inschrift entfernen. Die Initiative will die ursprüngli­che Inschrift, wie auf der Montage, wieder anbringen lassen.

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