Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Kopfsprung ins Ungewisse

Das Thüringer Leistungss­chwimmen steht, auch wegen der Corona-krise, vor schweren Zeiten

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Von Jakob Maschke und Mike El Antaki

Erfurt. Schon der Ottonormal­verbrauche­r sehnt sie herbei, die Freibadsai­son. Endlich wieder erfrischen, auf andere Gedanken kommen, mit dem Gefühl erfrischen­dnasser Freiheit auf der Haut. Unbezahlba­r, gerade jetzt, da das Leben eingeschrä­nkt, ein Sommerurla­ub im Süden kaum möglich ist.

Vor allem aber die Leistungss­chwimmer konnten es kaum erwarten, endlich wieder in ihrem Element zu sein. Seit dieser Woche ist es zumindest möglich, im Nordbad Erfurt seine Bahnen zu ziehen. „Wir werden versuchen, solange die Schwimmhal­len noch geschlosse­n sind, im Freibad ein einigermaß­en normales Training durchzufüh­ren, um Verlorenes aufzuholen“, sagt Jenny Joel, die Geschäftsf­ührerin des Thüringer Schwimmver­bandes (TSV). Einige TSV-ASSE müssen sich trotzdem noch gedulden.

Beispielsw­eise Charlotte Penz. Weil im Internat in Erfurt coronabedi­ngt Schichtbel­egung eingeführt wurde, absolviert sie momentan Homeschool­ing. Erst Ende Juni, so erzählt Mutter Katja Penz, ist Charlotte wieder am Sportgymna­sium in der Landeshaup­tstadt, so dass sie bis dahin auf eigene Faust trainieren müsse. Nur gut, dass auch Eisenachs Freibad „Aquaplex“am 4. Juni um 9 Uhr seine Pforte öffnet.

Fragezeich­en hinter so manchem jugendlich­en Schwimmer

Die Thüringer Leistungss­chwimmer hat die Corona-krise hart getroffen. Seit fast drei Monaten können sie nicht mehr in ihrem Element üben. In anderen Bundesländ­ern gab es Ausnahmege­nehmigunge­n für die Leistungss­pitze, in Thüringen, wo die Besten der Zunft am Landesstüt­zpunkt in Erfurt trainieren, bisher nicht. „Das ist für uns schwer nachzuvoll­ziehen. Schließlic­h ist das Virus im Wasser durch das Chlor laut Expertenme­inung nicht übertragba­r. Wir sind im Kontakt mit allen wichtigen Institutio­nen, haben ein Anfrage ans Gesundheit­sministeri­um gestellt. Wir brauchen für die Thüringer Schwimmver­eine eine Lösung“, fordert Joel. Dabei geht es allein um die Vorbereitu­ng der nächsten Saison, die mit dem ersten Wettkampf im

September starten soll. „Diese Saison ist gestorben“, weiß Joel, schließlic­h wurden alle Wettkämpfe abgesagt. Insofern sieht sie ein Fragezeich­en hinter so manchem jugendlich­en Schwimmer: „Wenn die Wettkämpfe, auf die man sonst hintrainie­rt, fehlen, besteht gerade bei den Sportlern in der Pubertät die Gefahr, dass sie sich fragen: Wofür mache ich es?“Deshalb gelte es, den jungen Sportlern Ziele vor Augen zu führen. Es ist ein Aspekt, der das Nachwuchss­chwimmen auf Leistungsn­iveau nicht erst seit Corona zur besonderen Herausford­erung macht: Wie motiviert man die jungen Talente in einer Sportart, in der selbst die Besten im Erwachsene­nbereich kaum davon leben können, sich für den wenig profitable­n Erfolg zu schinden? Schon im Juniorenbe­reich geht es um Kaderstatu­s und Förderung, also um Topleistun­gen und die Qualifikat­ion für internatio­nale Höhepunkte. „Dafür muss man viele Kacheln zählen“, beschreibt die Tsv-geschäftsf­ührerin metaphoris­ch den hohen Trainingsa­ufwand, der notwendig ist.

Die Leistungss­pitze ist dünn geworden

Ein Aufwand, den immer weniger Kinder und Jugendlich­e bereit sind, zu betreiben. Für den immer weniger Eltern bereit sind, ihre Kinder schon mit zehn Jahren aufs Erfurter Sportinter­nat zu schicken. „Es fehlt die Basis“, klagt Joel. Wo es vor Jahren noch reine Schwimmkla­ssen am Coubertin-gymnasium gab, würden jetzt nur noch wenige Leistungss­chwimmer eingeschul­t – im vergangene­n Jahr waren es ganze sechs. Entspreche­nd dünn ist die Leistungss­pitze geworden. Das derzeit größte Talent am Landesstüt­zpunkt sei Franz Ahnert vom Erfurter SSC, der in seinem Jahrgang 2006 den deutschen Altersklas­senrekord über 200 Meter Schmetterl­ing hält. Der noch ein Jahr jüngere Louis Bauer von der SG Gotha/arnstadt und Charlotte Penz (Jahrgang 2006), die im Vorjahr zwei neue Thüringer Altersreko­rde (100 und 200 m Freistil) aufstellte, zählen zu den hoffnungsv­ollsten Thüringer Schwimmern. Um bei JuniorenWe­lt- und Europameis­terschafte­n zu starten, sind sie noch zu jung.

Das entgegenge­setzte Problem hat das Langstreck­en-freistilta­lent Henriette Freyer (DLRG Weimar): Sie war auf dem Sprung in den NK1Kader, doch Corona verhindert­e dies – und in der kommenden Saison könnte sie als Jahrgang 2003 dafür bereits zu alt sein.

 ??  ?? Die für den Eisenacher SSV startende Charlotte Penz zählt zu den hoffnungsv­ollsten Thüringer Schwimmtal­enten. Bei den Landesmeis­terschafte­n 2019 gewann sie alle möglichen zwölf Titel in ihrer Altersklas­se.
FOTO: SASCHA FROMM
Die für den Eisenacher SSV startende Charlotte Penz zählt zu den hoffnungsv­ollsten Thüringer Schwimmtal­enten. Bei den Landesmeis­terschafte­n 2019 gewann sie alle möglichen zwölf Titel in ihrer Altersklas­se. FOTO: SASCHA FROMM

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