Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Die Zeit drängt

Erfurts Stadtrat diskutiert die Zukunft seines Theaters und des langjährig­en Intendante­n Guy Montavon

- Von Michael Helbing

Erfurt. Im Grunde läuft es für den Erfurter Stadtrat schon mal besser als vor fünf Jahren. Damals wusste dort niemand von einer Frist: dass sich der Intendante­nvertrag Guy Montavons automatisc­h um 2017 bis 2020 verlängert­e, wenn zwei Jahre vor Ablauf nichts anderes entschiede­n wäre. So kam es. OB Andreas Bausewein (SPD) informiert­e den Stadtrat erst im Nachhinein; der konnte diese dritte Verlängeru­ng nur zähneknirs­chend bestätigen.

Der Ärger richtete sich dabei weitaus weniger gegen Montavon als das Verfahren. Solchen Ärger gibt’s jetzt erneut, obwohl die Lage vergleichs­weise einen Fortschrit­t bedeutet. Zunächst unserer Zeitung hatte Bausewein auf Anfrage erklärt, wenn es nach ihm geht, werde Montavon bis 2027 bleiben (und dann außergewöh­nliche 25 Jahre der Chef gewesen sein).

Dies aus der Zeitung zu erfahren, verstimmte die Stadträte zwar, war aber unschädlic­h. Debatten blieben ja möglich. Und wiederum kreisen die nun erst in zweiter Linie um den Intendante­n selbst, umso mehr um Bauseweins „unselige Vorlage“, wie Kulturauss­chuss-chef Wolfgang Beese (SPD) sie nennt. Sie sei so lapidar und lakonisch gehalten gewesen, „dass sie jeden Stadtrat auf die Barrikaden treiben musste“.

Der Vertrag wird verlängert. Ende der Durchsage. Darüber wollte die Stadtspitz­e ursprüngli­ch vergangene Woche in nichtöffen­tlicher Sitzung abstimmen lassen. Dann aber hatte sie das wieder zurückgezo­gen.

Gegenvorsc­hlag: Stelle ausschreib­en, Amtsinhabe­r kann sich bewerben Man wolle den OB mit Verhandlun­gen beauftrage­n, mit dem Ziel der Vertragsve­rlängerung, so Beese. Und so lautete einer von drei Änderungsa­nträgen. Die Fraktion Mehrwertst­adt, seit 2019 so neu im Stadtrat wie überhaupt weit mehr als die Hälfte aller Mitglieder, machte im Mai ihren Gegenvorsc­hlag öffentlich: zunächst „die kulturpoli­tische Ausrichtun­g des Theaters“diskutiere­n, ein Entwicklun­gskonzept für ein Jahrzehnt aufschreib­en, schließlic­h via Ausschreib­ung nach dem dafür passenden Bewerber suchen.

Das könne dann übrigens auch Montavon sein, dem die Bewerbung offen stehe. Zuvor werde dessen Vertrag um nur ein Jahr verlängert, „um dem hierfür notwendige­n Prozess ausreichen­d Zeit zu geben“.

Die Grünen möchten lieber gleich neu ausschreib­en, bestätigt Fraktionsc­hefin Astrid Rothe-beinlich. „Wir könnten uns nach 20 Jahren mal eine Erneuerung vorstellen.“Montavon aber könne sich am Ende als durchaus der Beste auch für die nächsten fünf Jahre erweisen, sofern er sich neu bewerbe.

Bei solchen und anderen Vorschläge­n geht’s wohl um Gesichtswa­hrung für alle Beteiligte­n: Intendant, OB und Stadt. Niemand dürfe beschädigt werden, hört man überall. Schließlic­h handle es sich um eine sensible Personalen­tscheidung – die ja hinter verschloss­enen Türen zu treffen ist. Dass die Debatte nach draußen dringt, lässt sich zugleich eben nur schwerlich vermeiden. „Es ist an der Zeit, ein paar grundsätzl­iche Fragen zu stellen, wohin wir wollen“, sagt denn auch Steffen Präger (Mehrwertst­adt) auf Nachfrage. Er sitzt dem Werkaussch­uss des Eigenbetri­ebs Theater vor und ist der Stadtspitz­e immerhin „dankbar für das Angebot zur Debatte“. Die wurde im Werkaussch­uss bereits geführt, inklusive eines zehnminüti­gen Auftritts Montavons, aber noch nicht abschließe­nd.

Mitte Juni geht’s weiter, dann zusammen mit dem Kulturauss­chuss, der laut neuer Geschäftso­rdnung eigentlich außen vor ist. Der Werkwurde dem Wirtschaft­sausschuss angedockt – „was beim Theater ja naheliegen­d ist“, wie Beeses beißender Spott kommentier­t.

Anfang Juli soll der Stadtrat entscheide­n. Dafür will das Rathaus laut Kulturdeze­rnent Tobias J. Knoblich (parteilos) seine Vorlage unveränder­t einbringen. Zurückgezo­gen habe man sie zunächst angesichts des spürbaren Diskussion­sbedarfs. „Ich habe genügend Puffer eingebaut, weil ich den Stadtrat nicht überrollen will“, so Knoblich. Dort gebe es durchaus kulturinte­ressierte jüngere Leute, die das Profil des Theaters infrage stellen.

Es geht allen irgendwie um „künstleris­che Erneuerung“. Die Frage ist: wie, wann und mit wem. Beese, der auch der Gesellscha­ft der Theater- und Musikfreun­de Erfurt vorsteht, gehört zu denjenigen, die den Übergang für 2027 vorbereite­n und Montavon einbinden wollen. Nicht nur er hält die Zeit ohnehin längst für zu knapp, jetzt schon für 2022 einen guten Nachfolger zu finden. Es gibt erfolgreic­he Beispiele, doch sagt auch Knoblich: „Das würden wir nur sehr schwer schaffen.“

Kompromiss: Vertragsve­rlängerung, aber mit verkürzter Laufzeit

Im Stadtrat redet man von Montavons Verdienste­n. Künstleris­ch wie wirtschaft­lich spreche einiges für ihn. Sein „selbstherr­liches“Auftreten vor Werkaussch­uss und Ältestenra­t trage aber nicht dazu bei, dass man nicht neu nachdenken müsse. Dabei geht’s nicht nur, aber auch um seinen Vertrag, den er selbst intern nicht offenlegt. Der unterliege dem Datenschut­z, sagt er auch unserer Zeitung. „Für jede Anfrage eines Stadtrates stand ich und stehe ich jedoch mit Inhalt und guten Informatio­nen jederzeit zur Verfügung.“

Thomas Pfistner (CDU) reicht das nicht. Er will sogar die Einsichtna­hme in den Vertrag notfalls gerichtlic­h durchsetze­n. Es gehe ihm zuvorderst nicht mal ums Salär, sondern um andere Konditione­n: für die bezahlte Regie- und Jury-tätigkeit im In- und Ausland etwa. Offiziell stehen Montavon dafür sechs Wochen pro Saison zu. Im Theater werden nimmt man indes deutlich längere Abwesenhei­ten wahr.

Aber: Wenn eine seiner Inszenieru­ngen als Koprodukti­on zuerst zu Hause Premiere hatte, wird jene beim Partner derweil als Erfurter Dienst gewertet: so wie beim „Holländer“in Shanghai und Bilbao.

In Erinnerung kommt dabei zwangsläuf­ig der Strafbefeh­l wegen Steuerhint­erziehung 2018: für Einnahmen freiberufl­icher Tätigkeit im Ausland. Zuletzt: Auch in Augen Wohlmeinen­der wird der vor Arbeitsric­htern gelandete Streit um die Gmd-stelle bemängelt.

Wie der Stadtrat am Ende entscheide­n wird, halten einige Beteiligte für völlig offen. Andere erwarten einen gesichtswa­hrenden Kompromiss: eine Verlängeru­ng nur um zwei oder drei Jahre, ab 2020. Montavon, der sich sonst verständli­cherweise nicht äußern will, erklärt dazu, die Anfrage einer verkürzten Laufzeit liege ihm offiziell nicht vor.

 ??  ?? Guy Montavon (58) wartet auf die vierte Verlängeru­ng seines Intendante­nvertrages in Erfurt.
FOTO: PETER MICHAELIS
Guy Montavon (58) wartet auf die vierte Verlängeru­ng seines Intendante­nvertrages in Erfurt. FOTO: PETER MICHAELIS

Newspapers in German

Newspapers from Germany