Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Die Zeit drängt
Erfurts Stadtrat diskutiert die Zukunft seines Theaters und des langjährigen Intendanten Guy Montavon
Erfurt. Im Grunde läuft es für den Erfurter Stadtrat schon mal besser als vor fünf Jahren. Damals wusste dort niemand von einer Frist: dass sich der Intendantenvertrag Guy Montavons automatisch um 2017 bis 2020 verlängerte, wenn zwei Jahre vor Ablauf nichts anderes entschieden wäre. So kam es. OB Andreas Bausewein (SPD) informierte den Stadtrat erst im Nachhinein; der konnte diese dritte Verlängerung nur zähneknirschend bestätigen.
Der Ärger richtete sich dabei weitaus weniger gegen Montavon als das Verfahren. Solchen Ärger gibt’s jetzt erneut, obwohl die Lage vergleichsweise einen Fortschritt bedeutet. Zunächst unserer Zeitung hatte Bausewein auf Anfrage erklärt, wenn es nach ihm geht, werde Montavon bis 2027 bleiben (und dann außergewöhnliche 25 Jahre der Chef gewesen sein).
Dies aus der Zeitung zu erfahren, verstimmte die Stadträte zwar, war aber unschädlich. Debatten blieben ja möglich. Und wiederum kreisen die nun erst in zweiter Linie um den Intendanten selbst, umso mehr um Bauseweins „unselige Vorlage“, wie Kulturausschuss-chef Wolfgang Beese (SPD) sie nennt. Sie sei so lapidar und lakonisch gehalten gewesen, „dass sie jeden Stadtrat auf die Barrikaden treiben musste“.
Der Vertrag wird verlängert. Ende der Durchsage. Darüber wollte die Stadtspitze ursprünglich vergangene Woche in nichtöffentlicher Sitzung abstimmen lassen. Dann aber hatte sie das wieder zurückgezogen.
Gegenvorschlag: Stelle ausschreiben, Amtsinhaber kann sich bewerben Man wolle den OB mit Verhandlungen beauftragen, mit dem Ziel der Vertragsverlängerung, so Beese. Und so lautete einer von drei Änderungsanträgen. Die Fraktion Mehrwertstadt, seit 2019 so neu im Stadtrat wie überhaupt weit mehr als die Hälfte aller Mitglieder, machte im Mai ihren Gegenvorschlag öffentlich: zunächst „die kulturpolitische Ausrichtung des Theaters“diskutieren, ein Entwicklungskonzept für ein Jahrzehnt aufschreiben, schließlich via Ausschreibung nach dem dafür passenden Bewerber suchen.
Das könne dann übrigens auch Montavon sein, dem die Bewerbung offen stehe. Zuvor werde dessen Vertrag um nur ein Jahr verlängert, „um dem hierfür notwendigen Prozess ausreichend Zeit zu geben“.
Die Grünen möchten lieber gleich neu ausschreiben, bestätigt Fraktionschefin Astrid Rothe-beinlich. „Wir könnten uns nach 20 Jahren mal eine Erneuerung vorstellen.“Montavon aber könne sich am Ende als durchaus der Beste auch für die nächsten fünf Jahre erweisen, sofern er sich neu bewerbe.
Bei solchen und anderen Vorschlägen geht’s wohl um Gesichtswahrung für alle Beteiligten: Intendant, OB und Stadt. Niemand dürfe beschädigt werden, hört man überall. Schließlich handle es sich um eine sensible Personalentscheidung – die ja hinter verschlossenen Türen zu treffen ist. Dass die Debatte nach draußen dringt, lässt sich zugleich eben nur schwerlich vermeiden. „Es ist an der Zeit, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen, wohin wir wollen“, sagt denn auch Steffen Präger (Mehrwertstadt) auf Nachfrage. Er sitzt dem Werkausschuss des Eigenbetriebs Theater vor und ist der Stadtspitze immerhin „dankbar für das Angebot zur Debatte“. Die wurde im Werkausschuss bereits geführt, inklusive eines zehnminütigen Auftritts Montavons, aber noch nicht abschließend.
Mitte Juni geht’s weiter, dann zusammen mit dem Kulturausschuss, der laut neuer Geschäftsordnung eigentlich außen vor ist. Der Werkwurde dem Wirtschaftsausschuss angedockt – „was beim Theater ja naheliegend ist“, wie Beeses beißender Spott kommentiert.
Anfang Juli soll der Stadtrat entscheiden. Dafür will das Rathaus laut Kulturdezernent Tobias J. Knoblich (parteilos) seine Vorlage unverändert einbringen. Zurückgezogen habe man sie zunächst angesichts des spürbaren Diskussionsbedarfs. „Ich habe genügend Puffer eingebaut, weil ich den Stadtrat nicht überrollen will“, so Knoblich. Dort gebe es durchaus kulturinteressierte jüngere Leute, die das Profil des Theaters infrage stellen.
Es geht allen irgendwie um „künstlerische Erneuerung“. Die Frage ist: wie, wann und mit wem. Beese, der auch der Gesellschaft der Theater- und Musikfreunde Erfurt vorsteht, gehört zu denjenigen, die den Übergang für 2027 vorbereiten und Montavon einbinden wollen. Nicht nur er hält die Zeit ohnehin längst für zu knapp, jetzt schon für 2022 einen guten Nachfolger zu finden. Es gibt erfolgreiche Beispiele, doch sagt auch Knoblich: „Das würden wir nur sehr schwer schaffen.“
Kompromiss: Vertragsverlängerung, aber mit verkürzter Laufzeit
Im Stadtrat redet man von Montavons Verdiensten. Künstlerisch wie wirtschaftlich spreche einiges für ihn. Sein „selbstherrliches“Auftreten vor Werkausschuss und Ältestenrat trage aber nicht dazu bei, dass man nicht neu nachdenken müsse. Dabei geht’s nicht nur, aber auch um seinen Vertrag, den er selbst intern nicht offenlegt. Der unterliege dem Datenschutz, sagt er auch unserer Zeitung. „Für jede Anfrage eines Stadtrates stand ich und stehe ich jedoch mit Inhalt und guten Informationen jederzeit zur Verfügung.“
Thomas Pfistner (CDU) reicht das nicht. Er will sogar die Einsichtnahme in den Vertrag notfalls gerichtlich durchsetzen. Es gehe ihm zuvorderst nicht mal ums Salär, sondern um andere Konditionen: für die bezahlte Regie- und Jury-tätigkeit im In- und Ausland etwa. Offiziell stehen Montavon dafür sechs Wochen pro Saison zu. Im Theater werden nimmt man indes deutlich längere Abwesenheiten wahr.
Aber: Wenn eine seiner Inszenierungen als Koproduktion zuerst zu Hause Premiere hatte, wird jene beim Partner derweil als Erfurter Dienst gewertet: so wie beim „Holländer“in Shanghai und Bilbao.
In Erinnerung kommt dabei zwangsläufig der Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung 2018: für Einnahmen freiberuflicher Tätigkeit im Ausland. Zuletzt: Auch in Augen Wohlmeinender wird der vor Arbeitsrichtern gelandete Streit um die Gmd-stelle bemängelt.
Wie der Stadtrat am Ende entscheiden wird, halten einige Beteiligte für völlig offen. Andere erwarten einen gesichtswahrenden Kompromiss: eine Verlängerung nur um zwei oder drei Jahre, ab 2020. Montavon, der sich sonst verständlicherweise nicht äußern will, erklärt dazu, die Anfrage einer verkürzten Laufzeit liege ihm offiziell nicht vor.