Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Merkels zweifelhafter Einflüsterer
Im Wirecard-untersuchungsausschuss spricht die Kanzlerin über Karl-theodor zu Guttenberg
Berlin. Nach mehr als 15 Jahren Kanzlerschaft kann Angela Merkel wenig schocken, erst recht kein Untersuchungsausschuss. 2011 musste sie sich nach dem Luftangriff der Bundesregierung bei Kundus kritischen Fragen der Abgeordneten stellen, ein Jahr später wurde sie zur Standortwahl beim Atomendlager Gorleben befragt. Und vor vier Jahren erläuterte sie ihre Sicht der Dinge in der Nsa-abhöraffäre und beim Vw-abgasskandal.
Zum Ende ihrer Kanzlerschaft musste sich Merkel nun erneut in den Zeugenstand begeben. Als vorerst letzte Zeugin musste die 66-Jährige am Freitag im Wirecard-untersuchungsausschuss erklären, warum sie auf ihrer Chinareise im Jahr 2019 für das Skandalunternehmen, das für den größten Bilanzbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte verantwortlich ist, geworben hat.
Von Beginn an bildet die Kanzlerin einen Gegensatz zu Olaf Scholz, den die Abgeordneten am Vortag neun Stunden lang löcherten und der gewohnt trocken die Angriffe über sich ergehen ließ. Merkel zeigt sich konzentriert, bisweilen verwundert über bizarre Details des Skandals, von denen sie anscheinend in der Befragung zum ersten Mal hört. Aber sie ist auch für Späße zu haben. Als Grünen-obmann Danyal Bayaz eine Frage mit dem Satz „Ich will auch gar nicht wissen, wer Ihr privater Berater ist“beginnt, fügt Merkel an: „Das sind wahrscheinlich mehr, als ich kenne.“
Csu-politiker entschuldigt sich für zu Guttenbergs Verhalten
Es sind Momente, die die Atmosphäre auflockern. Der Ernst der Sache bleibt aber allen Anwesenden bewusst, auch der Kanzlerin. Es müsse alles getan werden, um „eine Wiederholung eines solchen Falls zu verhindern“, stellt sie klar.
Merkel hatte Wirecard auf ihrer Chinareise im Jahr 2019 im Gespräch mit Chinas Staatschef Xi Jinping thematisiert. Kurze Zeit später konnte Wirecard das chinesische Unternehmen Allscore übernehmen. Eine Sonderbehandlung habe Wirecard aber nicht erhalten, betont Merkel.
Dass sich Merkel für einen Daxkonzern wie damals Wirecard einsetzt, erscheint auch der Opposition plausibel. Brisant bleibt die Frage nach dem Warum. Denn zwei Tage vor Merkels Abflug nach Peking schaute der frühere Verteidigungsminister Karl-theodor zu Guttenberg bei Merkel vorbei, offiziell aus persönlichen Gründen. Die Realität sah anders aus. „Er war interessengeleitet da und hat in den 45 Minuten zwei Interessen gut platziert“, berichtet Merkel. So warb zu Guttenberg für das Start-up Augustus Intelligence – und für Wirecard. Merkel habe ihn an ihren Wirtschaftsberater Lars-hendrik Röller verwiesen. Zwei Tage später stand
Wirecard beim Chinabesuch auf der Tagesordnung.
Der Lobbyismus von Karl-theodor zu Guttenberg ist im Untersuchungsausschuss sogar seinem Csu-parteikollegen und langjährigen Freund Hans Michelbach peinlich. „Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht – etwa eine Bundeskanzlerin für das eigene Geschäft einzusetzen“, sagt Michelbach.
Er könne sich für seine Partei nur bei Merkel entschuldigen, führt der Csu-politiker aus und fragt die Kanzlerin, wie sie es aktuell mit dem Kontakt zu zu Guttenberg halte. „Der Kontakt ist mittlerweile erstorben“, antwortet die Kanzlerin knapp.
Auch zu ihrem wichtigsten Wirtschaftsberater muss sich die Kanzlerin unangenehme Fragen gefallen lassen. Denn Lars-hendrik Röllers Frau, die nach Aussage von Röller selbst als „Hausfrau“tätig ist, soll einen Kontakt zwischen Wirecard und der chinesischen Firma Mintech hergestellt haben. Merkel stellt sich vor ihren Berater. Sie habe „nicht den geringsten Anlass“, ihr Vertrauen in Röller oder andere Mitarbeiter infrage zu stellen.
Merkel schätzt die Arbeit ihres Beraters, der für sie auch eine „Filterfunktion“habe. So verweise sie Unternehmen häufig zuerst an Röller, um herauszufinden, ob es ihnen nur um das Prestige oder tatsächlich um die Sache gehe. Im Fall Wirecard funktionierte das. Ex-wirecard-chef Markus Braun, der Merkel treffen wollte, schlug ein Gespräch mit Röller aus. Über zu Guttenberg fand Wirecard dennoch einen Zugang zur Kanzlerin.