Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Kann die Wahl manipuliert werden?
Fake News und Cyberattacken: Seit dem Hackerangriff auf den Bundestag sind die Sicherheitsbehörden in besonderer Alarmbereitschaft
Berlin. Auf einmal taucht der Ausweis im Internet auf. Ein biometrisches Foto, Dokument Nummer L01X39M54, ausgestellt von deutschen Behörden, gültig bis November 2029. Ganz oben der Name: Nawalny Abrosimowa, Julija. Die Frau des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny.
Die umstrittene russische Nachrichtenseite „Riafan“verbreitet das Dokument. Dazu die Überschrift: „Julia Nawalny hat den Pass einer deutschen Staatsbürgerschaft“. Alexej Nawalny, der gerade erst aus Deutschland zurückgekehrt ist, soll sich Russland heimlich abgewandt haben, seine Frau schon einen deutschen Ausweis besitzen. Diese Nachricht soll Alexej Nawalny in die Enge treiben. Und auch Deutschland als Fluchtort für Russlands Opposition diskreditieren. Nur: Der angebliche Ausweis von Nawalny ist eine Fälschung.
Deutschland ist wie kein anderes Eu-land von diesen Kampagnen aus Russland betroffen. Das zeigt ein Bericht der Taskforce Desinformation des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Seit 2015 hat die Arbeitsgruppe 700 Falschmeldungen dokumentiert, die sich gegen Deutschland richten. Im Vergleich: 300 Fakes bezogen sich auf Frankreich, 170 auf Italien, 40 auf Spanien. In wenigen Monaten ist die Bundestagswahl – und Sicherheitsbehörden bereiten sich darauf vor, dass Desinformationen die Wahl beeinflussen können. „Wir nehmen die Risiken durch Desinformation und Cyberangriffe als Formen illegitimer Einflussnahme im Vorfeld der Bundestagswahl sehr ernst und wirken dem aktiv entgegen“, sagt Markus Kerber, Staatssekretär im Innenministerium. Auch Bundeswahlleiter Georg Thiel wappnet sich gegen Angriffe auf die Integrität der Wahl. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) simuliert sein Team mögliche Szenarien für Cyberattacken und Desinformationskampagnen. Mittlerweile nutzen laut einer Studie des Oxford Internet Institute mehr als 80 Staaten computermanipulierte Propaganda. Die Forscher sprechen schon von einer „Industrialisierung der Desinformation“.
Seit 2015 ist klar: Die Sicherheitsbehörden müssen die Demokratie in Deutschland, und damit auch Wahlen, vor Angriffen schützen. Damals drangen Hacker auf Server des Bundestags ein, griffen massenhaft Daten ab, darunter E-mails und Dokumente von Abgeordneten. Sogar Merkel war betroffen.
Der Fdp-außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sieht einen „Systemwettbewerb“. Die Regierungsform Demokratie gerate unter Druck. Auch durch finanzielle Einflussnahme von außen. Mehrere Cdu-abgeordnete erhielten Zahlungen aus Aserbaidschan. Die Russland-nähe der Afd-fraktion wird argwöhnisch beobachtet. Eine zusätzliche Gefahr: Aufgrund der Corona-pandemie dürfte dieser Wahlkampf so stark wie noch nie digital ablaufen – und nicht in vollen Bierzelten oder an Infoständen.
Jetzt, rund fünf Monate vor der Bundestagswahl, registrieren die deutschen Sicherheitsbehörden nach Informationen unserer Redaktion keine schweren Cyberangriffe auf Parteien, Abgeordnete oder Kandidatinnen für den Bundestag. „Im Moment können wir uns glücklich schätzen, dass es sehr ruhig ist“, sagt ein Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde.
Schadsoftware an private Konten von Politikern
Und doch: Erste Versuche, mit getarnten E-mails, sogenannten Phishing-mails, eine Schadsoftware auf Computer von Bundestagsabgeordneten zu schleusen, mussten die Behörden bereits hinnehmen. Eine Hackergruppe namens „Ghostwriter“verschickte als offizielle Emails getarnte Schadsoftware an private Konten von Politikern. Dutzende Landtagsabgeordnete, aber auch einige Bundestagspolitiker sind betroffen. Die Sicherheitsbehörden stufen die Gefahr als hoch ein, da möglicherweise Passwörter geknackt werden konnten. Das Bundeskriminalamt ermittelt. Die Sorge: Die Angreifer könnten sich die Zugangsdaten aufsparen – und kurz vor der Wahl zuschlagen. Auch hier die Vermutung: Russische Stellen stecken dahinter.
Es ist derzeit nicht der große Hackerangriff, den die Fachleute im Bund fürchten. Es sind vielmehr die gut gemachten Falschmeldungen. „Eher die Nadelstiche als die Axt“, wie ein Insider der Behörden sagt.
Besorgt zeigen sich Fachleute auch über eine Strategie von Cyberkriminellen: „Hack and Leak“– zu
Deutsch: einen Server knacken und die Daten ins Netz stellen. Zuletzt sahen Sicherheitsbehörden diese Angriffsform etwa bei der Europäischen Arzneimittel-agentur EMA, interne Dokumente tauchten auf.
Je mehr Deutschland digitalisiert, desto mehr Chancen auf „Hacking“gibt es. „Und die werden teilweise ausgenutzt“, heißt es. Die USA nutzen Computertechnik sogar bei der Auszählung der Stimmen. In Deutschland ermitteln Wahlvorstände ganz altmodisch auf Papier das Ergebnis, „womit eine Manipulation durch Cyberangriffe ausgeschlossen ist“, erläutert Wahlleiter Thiel. Guter Schutz kann manchmal ganz einfach sein.
„Die Erfahrungen haben gezeigt, dass unterschiedliche Akteure die Wahlen stören wollen.“Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik