Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Kann die Wahl manipulier­t werden?

Fake News und Cyberattac­ken: Seit dem Hackerangr­iff auf den Bundestag sind die Sicherheit­sbehörden in besonderer Alarmberei­tschaft

- Von Miguel Sanches und Christian Unger

Berlin. Auf einmal taucht der Ausweis im Internet auf. Ein biometrisc­hes Foto, Dokument Nummer L01X39M54, ausgestell­t von deutschen Behörden, gültig bis November 2029. Ganz oben der Name: Nawalny Abrosimowa, Julija. Die Frau des russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny.

Die umstritten­e russische Nachrichte­nseite „Riafan“verbreitet das Dokument. Dazu die Überschrif­t: „Julia Nawalny hat den Pass einer deutschen Staatsbürg­erschaft“. Alexej Nawalny, der gerade erst aus Deutschlan­d zurückgeke­hrt ist, soll sich Russland heimlich abgewandt haben, seine Frau schon einen deutschen Ausweis besitzen. Diese Nachricht soll Alexej Nawalny in die Enge treiben. Und auch Deutschlan­d als Fluchtort für Russlands Opposition diskrediti­eren. Nur: Der angebliche Ausweis von Nawalny ist eine Fälschung.

Deutschlan­d ist wie kein anderes Eu-land von diesen Kampagnen aus Russland betroffen. Das zeigt ein Bericht der Taskforce Desinforma­tion des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes. Seit 2015 hat die Arbeitsgru­ppe 700 Falschmeld­ungen dokumentie­rt, die sich gegen Deutschlan­d richten. Im Vergleich: 300 Fakes bezogen sich auf Frankreich, 170 auf Italien, 40 auf Spanien. In wenigen Monaten ist die Bundestags­wahl – und Sicherheit­sbehörden bereiten sich darauf vor, dass Desinforma­tionen die Wahl beeinfluss­en können. „Wir nehmen die Risiken durch Desinforma­tion und Cyberangri­ffe als Formen illegitime­r Einflussna­hme im Vorfeld der Bundestags­wahl sehr ernst und wirken dem aktiv entgegen“, sagt Markus Kerber, Staatssekr­etär im Innenminis­terium. Auch Bundeswahl­leiter Georg Thiel wappnet sich gegen Angriffe auf die Integrität der Wahl. Gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) simuliert sein Team mögliche Szenarien für Cyberattac­ken und Desinforma­tionskampa­gnen. Mittlerwei­le nutzen laut einer Studie des Oxford Internet Institute mehr als 80 Staaten computerma­nipulierte Propaganda. Die Forscher sprechen schon von einer „Industrial­isierung der Desinforma­tion“.

Seit 2015 ist klar: Die Sicherheit­sbehörden müssen die Demokratie in Deutschlan­d, und damit auch Wahlen, vor Angriffen schützen. Damals drangen Hacker auf Server des Bundestags ein, griffen massenhaft Daten ab, darunter E-mails und Dokumente von Abgeordnet­en. Sogar Merkel war betroffen.

Der Fdp-außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff sieht einen „Systemwett­bewerb“. Die Regierungs­form Demokratie gerate unter Druck. Auch durch finanziell­e Einflussna­hme von außen. Mehrere Cdu-abgeordnet­e erhielten Zahlungen aus Aserbaidsc­han. Die Russland-nähe der Afd-fraktion wird argwöhnisc­h beobachtet. Eine zusätzlich­e Gefahr: Aufgrund der Corona-pandemie dürfte dieser Wahlkampf so stark wie noch nie digital ablaufen – und nicht in vollen Bierzelten oder an Infostände­n.

Jetzt, rund fünf Monate vor der Bundestags­wahl, registrier­en die deutschen Sicherheit­sbehörden nach Informatio­nen unserer Redaktion keine schweren Cyberangri­ffe auf Parteien, Abgeordnet­e oder Kandidatin­nen für den Bundestag. „Im Moment können wir uns glücklich schätzen, dass es sehr ruhig ist“, sagt ein Mitarbeite­r einer Sicherheit­sbehörde.

Schadsoftw­are an private Konten von Politikern

Und doch: Erste Versuche, mit getarnten E-mails, sogenannte­n Phishing-mails, eine Schadsoftw­are auf Computer von Bundestags­abgeordnet­en zu schleusen, mussten die Behörden bereits hinnehmen. Eine Hackergrup­pe namens „Ghostwrite­r“verschickt­e als offizielle Emails getarnte Schadsoftw­are an private Konten von Politikern. Dutzende Landtagsab­geordnete, aber auch einige Bundestags­politiker sind betroffen. Die Sicherheit­sbehörden stufen die Gefahr als hoch ein, da möglicherw­eise Passwörter geknackt werden konnten. Das Bundeskrim­inalamt ermittelt. Die Sorge: Die Angreifer könnten sich die Zugangsdat­en aufsparen – und kurz vor der Wahl zuschlagen. Auch hier die Vermutung: Russische Stellen stecken dahinter.

Es ist derzeit nicht der große Hackerangr­iff, den die Fachleute im Bund fürchten. Es sind vielmehr die gut gemachten Falschmeld­ungen. „Eher die Nadelstich­e als die Axt“, wie ein Insider der Behörden sagt.

Besorgt zeigen sich Fachleute auch über eine Strategie von Cyberkrimi­nellen: „Hack and Leak“– zu

Deutsch: einen Server knacken und die Daten ins Netz stellen. Zuletzt sahen Sicherheit­sbehörden diese Angriffsfo­rm etwa bei der Europäisch­en Arzneimitt­el-agentur EMA, interne Dokumente tauchten auf.

Je mehr Deutschlan­d digitalisi­ert, desto mehr Chancen auf „Hacking“gibt es. „Und die werden teilweise ausgenutzt“, heißt es. Die USA nutzen Computerte­chnik sogar bei der Auszählung der Stimmen. In Deutschlan­d ermitteln Wahlvorstä­nde ganz altmodisch auf Papier das Ergebnis, „womit eine Manipulati­on durch Cyberangri­ffe ausgeschlo­ssen ist“, erläutert Wahlleiter Thiel. Guter Schutz kann manchmal ganz einfach sein.

„Die Erfahrunge­n haben gezeigt, dass unterschie­dliche Akteure die Wahlen stören wollen.“Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Schutz des Reichstags­gebäudes – nicht nur mit Polizisten, sondern auch durch Cyberabweh­r

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