Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Schauspieler proben den Corona-aufstand
Mehr als 50 bekannte Künstler kritisieren in ironischen Videos Regierung und Medien
Berlin. Die neue „Bundesnotbremse“war politisch kaum in trockenen Tüchern, da verabredete sich im Internet eine Künstler-phalanx zu einer aufsehenerregenden konzertierten Aktion. Mehr als 50 bekannte Schauspieler, das Who’s who der deutschen Film- und Fernsehschauspielerzunft mit großer Followerpower, stellte am Donnerstagabend auf Instagram und Youtube unter dem Schlagwort „Alles dicht machen“kurze Videos online, in denen die Corona-politik der Bundesregierung kritisch-ironisch hinterfragt wird.
Der Schauspieler Richy Müller, der im Stuttgarter „Tatort“im Retroporsche Verbrecher jagt, atmet in seinem Clip abwechselnd in zwei Tüten und sagt dazu: „Wenn jeder die Zwei-tüten-atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr. Also bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-maßnahmen. Ich geh jetzt mal Luft holen.“
Ard-liebling Jan Josef Liefers („Tatort“Münster) „bedankt“sich „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört – nämlich ganz, ganz oben“.
Profi-satiriker Böhmermann meint: „Alle nicht ganz dicht“Wissenschaftler, selbst Nobelpreisträger, die anderer Meinung als die Ratgeber der Bundesregierung seien, dürften keine Bühne bekommen, raunt Liefers verschwörerisch augenzwinkernd. Der preisgekrönte Darsteller und Musiker Ulrich Tukur fordert die Politik polemisch auf: „Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz. Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden, nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte.“Und er fügt hinzu: „Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage.“
Unbestritten geht es dem Kunstund Kulturbetrieb der Republik wirtschaftlich schlecht. Seit fast einem Jahr finden pandemiebedingt kaum öffentliche Veranstaltungen statt. Kinos und Theater sind geschlossen, viele Produktionen
wurden abgesagt. Zum ökonomischen Elend kommt für viele Künstler seelisches Leid hinzu. Sie fühlen sich wie mit einem Berufsverbot belegt. Diese Stimmungslage wollten die beteiligten Stars offenkundig aufnehmen und einer breiten Öffentlichkeit virtuell mitteilen. Unerwähnt bleibt in den Clips, dass es milliardenschwere Hilfen von Bund und Ländern auch für Kunst, Kultur und freischaffende Selbstständige gegeben hat und gibt. So betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), auch ihr blute das Herz wegen Schließungen im Kulturbereich. „Ich hätte mir von den an der Aktion beteiligten Schauspielerinnen und Schauspielern deutlich mehr Empathie für die Menschen gewünscht, die vom Corona-virus betroffen sind oder im Gesundheitssystem harte Arbeit leisten. Es geht in dieser Naturkatastrophe um die Rettung von Menschenleben – das dürfen wir nie vergessen.“
Derweil liefen die sozialen Medien heiß. Der frühere Tv-moderator Tobias Schlegl („Extra3“), der als Rettungssanitäter arbeitet, schrieb mit Blick auf volle Coronaintensivstationen auf Twitter: „Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben.“Jan Böhmermann empfahl, die ARD-DOKU aus der Berliner Charité „Station 43 – Sterben“anzuschauen. Und fügte den Hashtag #allenichtganzdicht und einen weinenden Smiley hinzu.
Der frühere nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister und Mitglied im Wdr-rundfunkrat, Garrelt Duin, brachte ins Spiel, dass Liefers, Tukur & Co. keine Engagements vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr erhalten dürften. Liefers und Tukur verdienten sehr viel Geld bei der ARD, „sind deren Aushängeschilder“. Durch ihre undifferenzierte Kritik an „den Medien“und demokratisch legitimierten Entscheidungen leisteten sie nun denen Vorschub, die auch den öffentlich-rechtlichen Sendern „gerne den Garaus“machen wollten. „Sie haben sich daher als deren Repräsentanten unmöglich gemacht. Die zuständigen Gremien müssen die Zusammenarbeit – auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden – schnellstens beenden. Viele Grüße, ein Rundfunkrat“, schrieb Duin auf Twitter. Später löschte er die Einträge.
Die Afd-fraktionschefin
im Bundestag, Alice Weidel, erwiderte darauf: „Leben wir noch in einem freien Land, wenn der Rundfunkrat Berufsverbote für jene Schauspieler fordert, die einfach nur das ‚Vergehen‘ begangen haben, ihre Meinung zu äußern?“
Die Schauspieler erhielten für ihre Aktion auch Rückendeckung – und zwar aus unterschiedlichen politischen Lagern. Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek betonte, er verstehe die Beiträge als Satire und Kritik an der Coronadiskurskultur. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nahm die Schauspieler in Schutz. Man könne über Aktion trefflich streiten, „aber immer mit Respekt“. Es müsse möglich sein, die Coronapolitik zu kritisieren, „ohne als ein Querdenker oder Menschenfeind abqualifiziert zu werden“.
Die Schauspieler wollen sich nicht in diese Ecke drängen lassen. So betonte Liefers: „Eine da hineinorakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern weise ich glasklar zurück.“Er sei bei all denen, die in der Coronazeit zwischen die Fronten geraten seien.
Heike Makatsch
entschuldigte sich.