Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Zierlich denken
Dieser Tage hatte ich Geburtstag, ich wurde, ähm, etwas älter. Ich will keine nachträglichen Glückwünsche, ich will nur erklären, weshalb mir, wie das Leben so spielt, ein klitzekleiner Goethe unterkam: „Zierlich denken und süß erinnern/ist das Leben im tiefsten Innern.“
Ich weiß nicht genau, wann der Alte das schrieb, aber diese bittersüße Melancholie kann ich gut nachvollziehen. Denn ich bin ein alter weißer Mann, wobei in diesem Zusammenhang nur eine dieser beiden Eigenschaften von Belang ist, das ist, wie man heute so sagt, meine Identität. Und während ich so angemessen melancholisch-zierlich vor mich hin dachte, las ich, natürlich, weiterhin die Zeitung.
Zwei Tage nach dem erwähnten Tag unter anderem einen Artikel in der Erfurter Lokalausgabe, es ging um die Buga, die Bundesgartenschau.
Und wiederum zwei Tage weiter las ich die Mail einer Leserin: „ich bin sprachlos über einen verletzenden Satz in dem Artikel… verfasst von…“Und der verletzende Satz wird dann zitiert: „...sagt Kathrin Weiß, die zierliche Chefin der großen Bundesgartenschau.“Und: „Aber diese verletzende Diskriminierung ist wirklich unglaublich beschämend und peinlich“. Und:
„Erkennen Sie JETZT die Diskriminierung?!“
Nein.
Ich kann nicht erkennen, dass die Beschreibung als „zierlich“für eine Frau „unglaublich beschämend und peinlich“sein soll, ich sehe nicht die darin enthaltene Diskriminierung. Das Antonym, das Gegenwort zu „zierlich“könnte es womöglich sein. Was ich erkenne, das ist die anhaltende Selbstdiskriminierung eines feministischen Furors, der alles, was an dieser gesellschaftlichen Debatte richtig und notwendig ist, desavouiert, der Lächerlichkeit preisgibt, der alte weiße Männer, denen die ganze Richtung nicht passt, nach