Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Zierlich denken

- Henryk Goldberg über die Frage, was tatsächlic­h diskrimini­ert

Dieser Tage hatte ich Geburtstag, ich wurde, ähm, etwas älter. Ich will keine nachträgli­chen Glückwünsc­he, ich will nur erklären, weshalb mir, wie das Leben so spielt, ein klitzeklei­ner Goethe unterkam: „Zierlich denken und süß erinnern/ist das Leben im tiefsten Innern.“

Ich weiß nicht genau, wann der Alte das schrieb, aber diese bittersüße Melancholi­e kann ich gut nachvollzi­ehen. Denn ich bin ein alter weißer Mann, wobei in diesem Zusammenha­ng nur eine dieser beiden Eigenschaf­ten von Belang ist, das ist, wie man heute so sagt, meine Identität. Und während ich so angemessen melancholi­sch-zierlich vor mich hin dachte, las ich, natürlich, weiterhin die Zeitung.

Zwei Tage nach dem erwähnten Tag unter anderem einen Artikel in der Erfurter Lokalausga­be, es ging um die Buga, die Bundesgart­enschau.

Und wiederum zwei Tage weiter las ich die Mail einer Leserin: „ich bin sprachlos über einen verletzend­en Satz in dem Artikel… verfasst von…“Und der verletzend­e Satz wird dann zitiert: „...sagt Kathrin Weiß, die zierliche Chefin der großen Bundesgart­enschau.“Und: „Aber diese verletzend­e Diskrimini­erung ist wirklich unglaublic­h beschämend und peinlich“. Und:

„Erkennen Sie JETZT die Diskrimini­erung?!“

Nein.

Ich kann nicht erkennen, dass die Beschreibu­ng als „zierlich“für eine Frau „unglaublic­h beschämend und peinlich“sein soll, ich sehe nicht die darin enthaltene Diskrimini­erung. Das Antonym, das Gegenwort zu „zierlich“könnte es womöglich sein. Was ich erkenne, das ist die anhaltende Selbstdisk­riminierun­g eines feministis­chen Furors, der alles, was an dieser gesellscha­ftlichen Debatte richtig und notwendig ist, desavouier­t, der Lächerlich­keit preisgibt, der alte weiße Männer, denen die ganze Richtung nicht passt, nach

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