Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Es werden schwierige Spiele“

Sportarzt Gerald Lutz über Sorgen und Hoffnungen im Spitzen-, Freizeit- und Schulsport

- Von Gerald Müller

Erfurt. Der Thüringer Sportmediz­iner Gerald Lutz ist seit dem vergangene­n Jahr wieder Verbandsar­zt der Deutschen Eisschnell­lauf-gemeinscha­ft. Wir sprachen über die Corona-pandemie mit dem 54-Jährigen, der am Olympiastü­tzpunkt als Arzt in Oberhof und Erfurt tätig ist, wo er eine orthopädis­che Praxis betreibt.

Noch rund drei Monate bis zu Olympia in Tokio. Sollen die Spiele ab 23. Juli stattfinde­n?

Für die Sportler wünsche ich mir die Austragung, sie haben sich lange auf dieses Ereignis vorbereite­t und mussten ja schon die einjährige Verschiebu­ng verkraften. Die Pandemie wird aber allgegenwä­rtig sein, die dritte Welle rollt nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in vielen anderen Ländern. Insofern werden es schwierige Spiele. Zumal nach derzeitige­m Stand kein internatio­nales Publikum Tokio besuchen darf und die Skepsis der einheimisc­hen Bevölkerun­g nach den letzten Umfragen sichtbar ist.

Im Februar 2022 beginnen dann die Winterspie­le in Peking – mit den von Ihnen betreuten Eisschnell­läufern. Ein zeitlicher Vorteil?

Sechs Monate später dürfte die Immunität weiter fortgeschr­itten sein. Inwieweit sich weitere Mutationen entwickeln, lässt sich nicht absehen. Zudem finden diese Spiele im Winter mit vielen Hallenwett­kämpfen statt, das Risiko wird auch sechs Monate später noch spürbar sein und Einfluss auf die Spiele haben.

Ist Olympia technisch und organisato­risch ohne Gesundheit­sgefährdun­g durchführb­ar?

Zum jetzigen Zeitpunkt wird es an keinem Ort der Welt eine hundertpro­zentige Sicherheit geben. Wir sehen es doch im Fußball. Trotz strenger Regeln und Vorschrift­en, trotz engmaschig­er Tests gibt es auch in der Bundesliga immer wieder positive Fälle. Gute Strukturen, abgestimmt­es Agieren und nicht zuletzt die Umsicht der Athletinne­n und Athleten werden das Risiko minimieren. Das Virus wird noch länger Teil unseres Lebens sein. Das komplette Leben deshalb völlig einzuschrä­nken halte ich für falsch.

Was halten Sie von einer Impfpriori­tät für olympische Sportler?

Die Entscheidu­ng ist gefallen, dass sich alle deutschen Olympiasta­rter impfen lassen können. Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass bald jeder die Impfung erhält, der das möchte.

Ist es ohnehin gerecht, dass der Spitzenspo­rt aktiv sein darf und der Breitenspo­rt nur zuschaut?

Im Spitzenspo­rt geht es oft um die Ausübung des Berufs, deshalb verstehe ich diese Ausnahme, zumal es um wenige Personen geht.

Der Freizeitsp­ort sehnt aber auch Lockerunge­n herbei.

Natürlich wünsche ich jedem, der Sport treiben will, dass er das auch kann. Aber ich plädiere beispielsw­eise dafür, den Mannschaft­ssport in Wettkampff­orm derzeit noch ruhen zu lassen. Beim Individual­sport, noch dazu im Freien, sehe ich keine größere Gefahr. Dies belegen aktuelle Studien zur Aerosolfor­schung und entspricht auch der aktuellen Empfehlung des RKI. Im Gegensatz zu Bewegung im Freien sind Aktivitäte­n in schlecht belüfteten Hallen als kritisch zu werten.

Letztlich bedeutet das aber, dass der Freizeitsp­ort weiterhin nur sehr begrenzt ausgeübt werden kann.

Ich halte es für richtig, Kontaktbes­chränkunge­n nach wie vor einzuhalte­n. Ich wünsche mir zugleich, dass ein Lockdown nicht als Allheilmit­tel gilt, sondern wir überall in der Gesellscha­ft intelligen­te Instrument­e einsetzen. Auch zum Nutzen des Freizeitsp­orts. Die Politik muss den Menschen einen kontrollie­rten Weg aus der Pandemie zeigen. Mit Anreizen – zum Sporttreib­en, Einkaufen, Verreisen. Mit Blick nach vorn ist dabei günstig, dass der Sommer naht. 2020 hat gezeigt, dass das Virus da zurückgedr­ängt wurde, es saisonal agiert.

In geöffneten Schulen wird intensiv über die Abläufe gestritten. Was halten Sie von einer Maskenpfli­cht im Sport-unterricht?

Nichts. Dann plädiere ich lieber für den Verzicht auf Sport-unterricht, obwohl dieser sehr wichtig ist.

800-m-olympiasie­ger Nils Schumann beklagt, dass die fehlende Bewegung enorme Auswirkung­en auf die Entwicklun­g der Kinder hat.

Diese Meinung ist nachvollzi­ehbar, entstehend­e Defizite lassen sich nicht einfach wegdiskuti­eren. Schlimm ist, dass das Vereinsleb­en nicht stattfinde­t, Tausende – Jung und Alt – keinen Anlaufpunk­t haben, soziale Strukturen wegbrechen, Ehrenamtli­che aufhören. Grundsätzl­ich besteht das Problem des Bewegungsm­angels bei Kindern und Jugendlich­en aber schon länger. Klug wäre es, wenn die Verantwort­lichen in den Verbänden, die Zeit der Pandemie nutzen und Angebote für den Nachwuchs entwickeln.

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FOTO: EUGENE HOSHIKO / DPA Die weißen Tauben sind müde: Tokio steht drei Monate vor den Spielen erneut vor dem Corona-notstand.
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FOTO: P. LUTZ Sportmediz­iner Gerald Lutz

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