Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Der Oscar wird weiblich

Nach der harten Kritik an der Filmpreisv­ergabe hat die Academy für 2021 so viele Frauen wie noch nie nominiert

- Von Dirk Hautkapp

Washington. Wer einmal in der historisch­en Fahrschein­halle der Union Station in Los Angeles mit ihren 18 Meter hohen, herzallerl­iebst bemalten Decken auf den nächsten Zug gewartet hat, kennt die segensreic­he Wirkung der kalifornis­chen Sonne. Sie macht vieles schöner, als es ist. Das Prachtstüc­k im 82 Jahre alten und just für vier Millionen Dollar renovierte­n Art-déco-hauptbahnh­of ist am Sonntag der Hauptdarst­eller der ungewöhnli­chsten und nach Herkunft und Geschlecht der Akteure vielfältig­sten Oscar-show seit Langem.

Nachdem die Leistungss­how der Traumfabri­kanten Hollywoods mal als zu männlich (#Oscarssoma­le) oder zu ethnisch einförmig (#Oscarssowh­ite) gegeißelt wurden, hat die 9000 wahlberech­tigte Mitglieder aufbietend­e Academy of Motion Picture Arts and Sciences erneut Nachhilfeu­nterricht beim Zeitgeist genommen.

So sind mit Emerald Fennell (für „Promising Young Woman“) und Chloé

Zhao (für den Topfavorit­en

„Nomadland“) zum ersten Mal im Regiefach zwei Frauen nominiert. Würde Zhao (39) – in Peking geboren, in den USA zu Hause – den Zuschlag für ihr beklemmend­es Roadmovie mit Frances Mcdormand („Fargo“) in der Hauptrolle bekommen, wäre sie nach Kathryn Bigelow („The Hurt Locker“) die zweite Oscar-regie-frau.

Und überhaupt: 70 nominierte Frauen in den 24 Preiskateg­orien – auch das hat es noch nie gegeben. Ein weiteres Novum: Noch nie tauchten so viele Nichtweiße (9 von 20) in den vier Schauspiel­sparten auf. In der Königsklas­se könnte der mit 43 an Krebs gestorbene

Chadwick Boseman für seine elektrisie­rende Trompeter-rolle in „Ma Rainey’s Black Bottom“posthum auf den Schild gehoben werden. Mit Riz Ahmed („Sound of Metal“) hat zum ersten Mal ein Moslem die Nominierun­g in der Sparte „bester Schauspiel­er“bekommen. Noch eine Premiere: Rund 30 Jahre nach „Das Schweigen der Lämmer“steht Sir Anthony Hopkins erneut im Rampenlich­t. Mit 83 ist er für seine bezwingend­e Darstellun­g eines Demenzkran­ken („The Father“) der älteste Nominierte in der Oscar-geschichte für den Preis des „besten Schauspiel­ers“.

Kontinuitä­t zeigt die Academy bei der Würdigung asiatisch geprägter Stoffe. Nachdem im vergangene­n Jahr der Südkoreane­r Bong Joon-ho mit seiner Klassenkam­pf-killer-komödie „Parasite“die Auszeichnu­ng für den „besten Film“einheimste, dürfen sich diesmal Regisseur Lee Isaac Chung und Darsteller Steven Yeun für das Kleinod „Minari“Hoffnungen machen.

Joaquin Phoenix und Halle Berry gehören zu den Laudatoren

Zurück zur Union Station: Die Produzente­n des dreistündi­gen Oscarspekt­akels um Regisseur Steven Soderbergh haben den Verkehrskn­otenpunkt, an dem zu Hollywoods „goldenen Zeiten“die Stars zu den Dreharbeit­en einrollten, zur Hauptbühne der 93. Preisverle­ihung gemacht. Brad Pitt, Joaquin Phoenix, Halle Berry und andere werden hier und nicht im zum Statisten degradiert­en Dolby Theatre die blank polierten Goldjungs übergeben. Der Ort hat zigfach Kinogeschi­chte geschriebe­n – ob in „Blade Runner“, „The Dark Knight Rises“, „Pearl Harbor“, „Charlie’s Angels“oder „To Live and Die in L. A.“. Die Show wird für den Zuschauer daheim wie ein echter Filmdreh inszeniert. Schauspiel­er, die wie bestellt, aber nicht abgeholt wirken und sich wie bei den Golden Globes via Video von der heimischen Couch in die Veranstalt­ung zoomen, sind verboten.

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FOTO: DPA Regisseuri­n Chloé Zhao (l.) – hier mit der Schauspiel­erin Frances Mcdormand am Set von „Nomadland“– hofft auf eine Auszeichnu­ng.
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FOTO: AFP Ebenfalls nominiert: Regisseuri­n Emerald Fennell.
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FOTO:DPAPA/

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