Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Aus der Schönheit der Natur Kraft schöpfen
Christine Voigt ist Pfarrerin im Pfarrbereich Bischofroda
Wir leben mitten im Wonnemonat Mai. Die Sonne lässt die Blüte, auf die wir sehnsüchtig gewartet haben, regelrecht explodieren.
Viele Maienlieder singen davon. Eines der schönsten, wenn nicht das schönste, ist das Lied „Wie lieblich ist der Maien“, die Nummer 501 in unserem Evangelischen Gesangbuch. Über 400 Jahre ist es her, dass Martin Behm, ein lutherischer Pfarrer und Schriftsteller, dieses Lied gedichtet hat.
Seitdem haben sich die Welt und die Menschen völlig verändert. Damals waren die Menschen Leibeigene ohne eigene Rechte, ohne Strom, Heizung, Waschmaschine, ohne wirksame Arzneien und Impfungen. Bis Neuigkeiten sie erreichten, dauerte es lange. Sie gingen zu Fuß und verreisten, wenn überhaupt, in Kutschen. Ihre Lebenserwartung lag bei unter 30 Jahren.
Hat uns ein Lied, das für Menschen geschrieben wurde, deren Lebensumstände wir uns nur schwer vorstellen können, heute noch irgendetwas zu sagen?
Erstaunlicherweise beschreibt der Liedautor ein Lebensgefühl und eine Freude über das Wiedererblühen der Natur, das wir Heutigen ebenso kennen. Auch wir staunen darüber, wenn wieder die Blumen in all ihrer Vielfalt und Farbenpracht erblühen. Auch wir freuen uns, wenn wir die Vögel singen hören. Endlich Frühling, Farben, Wärme, Licht und Leben!
Wie haben die Menschen damals gelebt? Ich stelle mir ihr Leben sehr beschwerlich vor. Martin Behm wollte ihnen mit diesem Lied die Schönheit der Natur bewusst vor
Augen führen, damit sie hinsehen und -hören, sich an der Natur, an Gottes guter Schöpfung freuen, um daraus Kraft für den schweren Alltag zu schöpfen.
Auch uns belasten Sorgen und Ängste, oftmals so stark, dass wir völlig in uns gefangen sind in persönlicher Trauer, in Sorgen und Ängsten wegen der Kriege, der Waffengewalt und der Konflikte, des Klimawandels – unserer eigenen Zukunft und der der Menschheit.
Singen wir dagegen an: „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht. Die Tier sieht man jetzt springen mit Lust auf grüner Weid, die Vöglein hört man singen, die loben Gott mit Freud.“