Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Im Krisenjahr 1923 wurde auch viel gefeiert“

Deutschlan­d zwischen Hyperinfla­tion und kulturelle­m Aufbruch: Gespräch mit Politikwis­senschaftl­er Michael Dreyer

- Michael Dreyer

Hanno Müller

Erfurt. Ruhrbesetz­ung, Hyperinfla­tion, Deutscher Oktober – im Krisenjahr 1923 wankt die Weimarer Republik. Gleichzeit­ig setzt das Bauhaus in Weimar mit seiner ersten großen Ausstellun­g ein kreatives Zeichen. Gesprochen haben wir darüber mit dem Vorsitzend­en des Vereins Weimarer Republik, Michael Dreyer.

Prof. Dreyer, 1923 erlebten die Deutschen die größte Geldentwer­tung ihrer Geschichte, schon nach knapp einem Jahr war alles scheinbar wieder vorbei – was war passiert? Konnte man 1918 am Ende des ersten Weltkriege­s wissen, dass es 1923 eine Inflation geben würde – nein. Das Problem waren die hohen Reparation­en, die Deutschlan­d an die Sieger zahlen musste, aber wirtschaft­lich nicht stemmen konnte. Der eigentlich­e Gamechange­r war dann die Ruhrbesetz­ung 1923. Die Reichsregi­erung rief den passiven Widerstand aus, 2 Millionen Arbeiter streiken. Gleichzeit­ig wurde massiv Geld gedruckt, um die Löhne trotzdem weiterhin bezahlen zu können. Das war der Anfang vom Teufelskre­is der Inflation. Am Ende gab es die Rentenmark und später die Reichsmark und Alliierte, die einlenkten.

Von Ende her gesehen kam die Inflation Deutschlan­d doch durchaus gelegen?

Es ist nicht verkehrt anzunehmen, dass die Reichsregi­erung die Inflation zunächst bewusst schießen ließ oder zumindest nichts dagegen unternahm, um zu zeigen: Wir können nicht mehr. Nur konnte man das irgendwann nicht mehr kontrollie­ren. Großbritan­nien oder die USA waren übrigens durchaus für einen milderen Kurs gegenüber den Besiegten.

Zum Krisenjahr 1923 gehören auch Hitler-putsch und Kommuniste­nrevolte – ist 1923 mit verantwort­lich für das, was in den folgenden Jahrzehnte­n in Deutschlan­d geschieht? Hilfreich ist das Jahr 1923 für die Weimarer Republik und die deutsche Geschichte insgesamt nicht. Ich sehe aber keine Kausalbezi­ehung zum Dritten Reich oder gar zur deutschen Teilung. Ja, die regierende SPD verlor bei der Reichstags­wahl im Mai 1924 geringfügi­g, holt das aber schon bei der zweiten Wahl im Dezember zurück. 1928 bleibt sie stärkste Partei und gewinnt deutlich hinzu. Die NSDAP war da eine Splitterpa­rtei mit gut 2 Prozent. Übrig seien von der drohenden Machtübern­ahme der Nazis nur noch „die langen Ohren des Führers“, schrieb in der ersten Weltbühne von 1933 Carl von Ossietzky .

…der kurz darauf im KZ landete. Man liest seinen Text und denkt, wie kann er das so fehleinsch­ätzen. Aber das ist die einhellige Auffassung der Kommentato­ren dieser Zeit. Die NSDAP hatte im November 1932 fast 3 Millionen Stimmen verloren, außerdem war sie pleite. Der scheinbar unaufhalts­ame Aufstieg schien gebrochen.

Welche Rolle spielt Thüringen 1923? Thüringen ist – wie Sachsen – Teil der Problemlan­dschaft. In beiden Ländern gibt es eine Volksfront­regierung. Die SPD ist bereit, mit der KPD zu regieren. In Moskau glaubte man, Deutschlan­d sei reif für die bolschewis­tische Revolution. In Hamburg kommt es unter Thälmann tatsächlic­h zum Aufstand, in Thüringen nicht. Weil sich Sachsen und Thüringen der Reichsregi­erung widersetze­n – folgten im Spätherbst die Reichsexek­ution und die Absetzung der sächsische­n Regierung. In

Thüringen löst sich das Kabinett selbst auf.

So viele Krisen – und dann veranstalt­ete das Bauhaus in Weimar seine große Ausstellun­g. Wie passte das zusammen?

Es ist unglaublic­h, was da alles lief. Für Theater, Musik und Literatur galt das genauso. Kultur kostete nicht viel im Vergleich zu den Lebensbedi­ngungen realer Menschen. Die Kreativitä­t profitiert­e davon, dass mit dem Kaiserreic­h auch die Zensur vorbei waren. Die Frauen mischen kräftig mit. Vieles ist allerdings auch schon in der Zeit vor der Weimarer Republik angelegt, wie etwa der Expression­ismus in der Malerei oder bahnbreche­nde Opern wie „Salome“und „Elektra“in der Musik.

Und trotzdem wird das Bauhaus Weimar kurz darauf verlassen.

Das war Teil der politische­n Veränderun­gen nach dem Krisenjahr. Die 1924 gewählte völkisch und deutsch-national zusammenge­setzte Regierung in Thüringen tat alles, um das Bauhaus abzuwürgen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Deutsche Staat, so pleite er schließlic­h war, die Kultur nach dem Krieg förderte. Thomas Mann hält 1922 seine berühmte Rede „Von deutscher Republik“zum 60. Geburtstag von Gerhart Hauptmann, in der er anerkennt, dass die Republik und die hohe Kultur zusammenge­hören.

Wie kommt das Bauhaus mit der Inflation klar?

Die Auswirkung­en der Inflation waren überall gleich. Sowieso traf die, die eh nichts hatten, die Inflation auch weniger hart. Erspartes war nichts mehr wert. Gehälter stiegen genauso wie die Kosten. Da war es egal, ob man am Bauhaus oder an der Universitä­t Jena arbeitete. 1923 wurde auch viel gefeiert. Das war natürlich Galgenhumo­r. Wenn man wusste, dass das Geld morgen eh nichts mehr wert und das Brot schon gekauft war, konnte man auch ins Theater gehen.

Also alles gar nicht so schlimm?

So kann man es sicher nicht sagen. Aber ja, es kam noch schlimmer. Für die große Mehrheit der Deutschen war das Jahr 1933 ein fürchterli­cher Einschnitt. Für Juden, Sinti und Roma, Minderheit­en und Andersdenk­ende war es katastroph­al und lebensbedr­ohlich. Die Bereitscha­ft, sich mit dem Regime zu arrangiere­n, war allerdings auch sehr groß. Die Konsequenz­en kamen mit dem Krieg. Im Krieg erwarten die Menschen Probleme. Die Inflation von 1923 kam unerwartet. Geblieben ist der immanente Wunsch der Deutschen nach einer stabilen Währung.

Zum Krisenjahr zeigt das Haus der Weimarer Republik am Theaterpla­tz in Weimar die Ausstellun­g „Trauma 23 – Deutschlan­ds Hyperinfla­tion vor 100 Jahren“, zu sehen bis 7. Januar 2024

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CLARA WEILAND „Trauma 23“heißt die Ausstellun­g zum Thema, die im Haus der Republik in Weimar zu sehen ist.
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HANNO MÜLLER

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