Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Multimilliardär trotz Mini- Gehalt
Hat der türkische Präsident Erdogan sein Amt ausgenutzt, um sich persönlich zu bereichern?
Gerd Höhler
Ankara. Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei am 28. Mai geht es für Recep Tayyip Erdogan nicht nur um den Erhalt der Macht. Auch seine Immunität steht auf dem Spiel. Solange Erdogan Staatsoberhaupt ist und eine Mehrheit im Parlament hat, kann er nicht strafrechtlich belangt werden. Verliert er die Immunität jedoch, könnten alte Korruptionsvorwürfe gegen ihn wieder hochkommen. Die Opposition will ihn wegen Machtmissbrauch und Bestechlichkeit zur Rechenschaft ziehen.
Jeden Monat bekommt Erdogan eine Überweisung von 66.751 Lira auf sein Konto, umgerechnet 5.563 Euro. Es ist das Gehalt, das ihm als türkischer Staatspräsident zusteht. Ein bescheidenes Salär. Der deutsche Bundeskanzler verdient fünfmal so viel. Aber trotz der moderaten Bezüge ranken sich seit Jahren Gerüchte um das sagenhafte Vermögen des türkischen Staatschefs.
Michael Rubin, ein Us-autor, Nahostexperte und Mitglied der Denkfabrik American Enterprise Institute, nennt Erdogan einen „mehrfachen Milliardär“. Als „korrupter Führer“habe er „das Amt des Regierungschefs und Staatspräsidenten dazu missbraucht, Milliarden gestohlene Dollar anzuhäufen“, schrieb Rubin diese Woche in der griechischen Zeitung „Kathimerini“. Mutmaßungen zum Vermögen des Erdogan-clans gehen weit auseinander. Sie reichen von 2,5 Millionen Euro bis in eine Größenordnung von über hundert Milliarden. Aber für keine dieser Schätzungen gibt es belastbare Belege.
Was man weiß: Erdogan stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Er wuchs als Sohn eines Seemanns im ärmlichen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa auf. Dort besserte er das Einkommen der Familie mit dem Straßenverkauf von Limonade und Sesamkringeln auf. Später fand er einen Job bei den Istanbuler Verkehrsbetrieben und schloss sich der islamistischen Wohlfahrtspartei an. Als deren Kandidat gewann er 1994 die Wahl zum Istanbuler Oberbürgermeister. Bereits damals habe es 13 Korruptionsermittlungen gegen Erdogan gegeben, schreibt Rubin.
2001 gründete Erdogan seine eigene Partei, die AKP, mit der er 2002 seine erste Parlamentswahl gewann. Der bekannte Unternehmer Rahmi Mustafa Koc, einer der reichsten Männer der Türkei, sagte damals der Zeitung „Hürriyet“, Erdogan
habe „keine finanziellen Probleme“. Er habe „eine Milliarde Dollar angespart“. 2004 meldete der damalige Us-botschafter in Ankara, Eric Edelman, in einem Telegramm an das State Department, man habe Informationen, wonach Erdogan acht Bankkonten in der Schweiz unterhalte. Das geheime Telegramm des Diplomaten wurde 2010 von Wikileaks publiziert. Erdogan bestritt, dass er Geld auf Schweizer Konten habe und kündigte eine Klage an.
Drei Jahre später kam die mutmaßlich größte Korruptionsaffäre in der jüngeren Geschichte der Türkei ins Rollen. Im Dezember 2013 verhaftete die Polizei binnen weniger Tage 84 Personen, darunter Söhne von drei Ministern der Regierung Erdogan und den Chef der staatlichen Halkbank. In dessen Wohnung fanden die Fahnder 4,5 Millionen Dollar in Schuhkartons.
Auch gegen den Erdogan-sohn Bilal wurde ermittelt. Dabei ging es um Geldwäsche, Schmiergeldzahlungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie illegale Goldtransfers an den Iran, mit denen die Ussanktionen gegen Teheran unterlaufen wurden. Erdogan sprach von einer „Schmutzkampagne“.
Ex-ministerpräsident Davutoglu: „Teile der Regierung sind mafiös“In Erklärungsnot kam der damalige Regierungschef, als zwei Monate später Mitschnitte angeblicher Telefonate mit seinem Sohn Bilal an die Öffentlichkeit kamen. „Bring alles weg, was im Haus ist“, sagt eine Stimme, die Erdogan gehören soll. In einem zweiten Telefonat, das einige Stunden später geführt wurde, sagt der angebliche Bilal, er habe alles weggeschafft – bis auf 30 Millionen Euro.
Erdogan bezeichnete die Aufnahmen als „schamlose Montage“und „schmutziges Komplott“. Der Ministerpräsident ließ die Korruptionsermittlungen niederschlagen.
Hunderte an dem Verfahren beteiligte Staatsanwälte, Richter und Polizisten wurden entlassen oder strafversetzt. Die Regierung stellte den angeblichen Skandal als verkappten Staatsstreich dar.
Dass Unternehmer sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gegenüber Politikern erkenntlich zeigen, ist in korrupten Ländern nicht unüblich. In der Türkei fällt in diesem Zusammenhang immer wieder der Begriff „Fünferbande“: Damit gemeint sind fünf eng mit Erdogan verbandelte Geschäftsleute, deren Baukonzerne die meisten staatlichen Großaufträge bekommen.
Unter Erdogan wuchere die Korruption wie nie zuvor, sagt Ahmet Davutoglu, von 2014 bis 2016 unter Erdogan Ministerpräsident. Dann kam es zum Bruch. Jetzt gehört er mit seiner Zukunftspartei zum Sechserbündnis, das den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu unterstützt. „Teile der Regierung sind mafiös“, kritisiert Davutoglu.