Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Einen Klimakanzl­er kann ich schwer erkennen“

Katrin Göring-eckardt, Bundestags­vizepräsid­entin, fordert mehr Geld für den Heizungsta­usch – und attackiert Scholz

- Jochen Gaugele

Berlin. Katrin Göring-eckardt kann nur leise sprechen – sie plagt eine Kehlkopfen­tzündung. Doch was die grüne Vizepräsid­entin des Bundestage­s im Interview mit unserer Redaktion zum Heizungsge­setz sagt, dürfte in der Ampel für einige Aufregung sorgen.

Die Grünen sind in der Wählerguns­t abgestürzt. Woran liegt’s?

Katrin Göring-eckardt: In der Gesellscha­ft gibt es sehr große Zustimmung zum Klimaschut­z. Jetzt wird es konkret und man spürt, dass sich was ändert, auch im persönlich­en Leben, und dass es auch was kostet. Veränderun­gen empfinden viele als bedrohlich. Das verstehe ich. Dazu kommt, dass wir Grünen die Klimaschut­zfrage und die soziale Frage zu oft nacheinand­er angehen: erst den existenzie­llen Klimaschut­z, dann die soziale Abfederung. Diese Reihenfolg­e funktionie­rt nicht. Wir müssen beides zusammen denken und gleichzeit­ig machen.

Was bedeutet das für das Heizungsge­setz?

Ich möchte an den Ursprungse­ntwurf des Gesetzes von Klara Geywitz und Robert Habeck erinnern, der eine nach Einkommen gestaffelt­e Förderung für den Einbau einer klimafreun­dlichen Heizung vorsieht. Dahin müssen wir unbedingt zurück. Auf die Leute kommt eine Veränderun­g zu, mit der sie nicht gerechnet haben. Wir hätten von Anfang an deutlicher machen müssen: Die Umstellung auf Erneuerbar­e Energien beim Heizen ist auch ein Schutz vor den hohen Kosten, die mit Öl- und Gasheizung­en auf die Menschen zukommen würden. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Gas- und Ölpreise in den nächsten Jahren durch die Decke gehen werden. Zugleich werden die Erneuerbar­en Energien immer günstiger.

Die Anschaffun­g einer Wärmepumpe schlägt ganz anders zu Buche als die steigenden Preise für fossile Energien. Deswegen wollen wir die neue Heizung bis zu 80 Prozent fördern – und nicht wie im aktuellen Entwurf vorgesehen nur zu maximal 50 Prozent. Niemand darf gezwungen werden, sein Haus zu verkaufen. Und auch für Mieter darf es keine großen Belastunge­n geben.

Halten Sie daran fest, dass neue Ölund Gasheizung­en schon zum 1. Januar verboten werden?

Ich halte es für sehr sinnvoll, beim 1. Januar zu bleiben. Wir müssen Planungssi­cherheit schaffen. Jede Verzögerun­g sendet das falsche Signal, dass es noch ein bisschen so weitergehe­n könne wie bisher. Ich möchte nicht, dass Menschen aus Verunsiche­rung durch irgendwelc­he Kampagnen sich jetzt noch für Öl- und Gasheizung­en entscheide­n – und am Ende in einer fossilen Sackgasse stecken und draufzahle­n.

Als Architekt der Wärmewende gilt der Habeck-vertraute Patrick Graichen, der die Trauzeugen-affäre ausgelöst hat. Was ändert sich nach der Entlassung des Staatssekr­etärs?

Das Gebäudeene­rgiegesetz ist vom Koalitions­ausschuss vereinbart worden, dann ist es durch das Kabinett gegangen – unabhängig von einzelnen Personen.

Die Grünen sind eine Partei mit besonderen moralische­n Ansprüchen. Welchen Schaden richtet Vetternwir­tschaft in Habecks Umfeld an?

Bei der Besetzung der Deutschen Energie-agentur ist ein Fehler unterlaufe­n, der als solcher klar benannt wurde. Es ist richtig, dass Robert Habeck jetzt Konsequenz­en gezogen hat. Patrick Graichen hat einen entscheide­nden Beitrag geleistet, dass wir gut durch den letzten Winter gekommen sind. Er ist ein langjährig­er und sehr anerkannte­r Fachmann und seine Expertise wird auch fehlen. Die Trennung ist menschlich hart. Aber sie ist notwendig.

Das Heizungsge­setz hat dazu geführt, dass die Grünen wieder als Verbotspar­tei wahrgenomm­en werden. Finden Sie das ungerecht?

Die Debatte ist müßig. Wir müssen mit Anreizen und Förderunge­n arbeiten, das wird auch immer wieder getan. Aber es reicht nicht immer aus. Wir haben sehr wenig Zeit, weil unsere Vorgänger in Sachen Klimaschut­z auf der Bremse standen. Klimaschut­z kann deswegen nicht auf das Ordnungsre­cht verzichten – genauso wenig wie der Straßenver­kehr. Weiter fossil zu heizen ist wie im Auto zu sitzen ohne Gurt und bei einem Unfall dann durch die Scheibe zu fliegen. Es ist immer schön, wenn die Leute sich aussuchen können, was sie machen. Aber am Ende muss Klimaschut­z auch funktionie­ren. Man kann noch lange über Wasserstof­f, E-fuels oder weiß der Geier was reden. Aber es ist sehr unrealisti­sch, dass das verfügbare und bezahlbare Alternativ­en sind. Hier dürfen die Leute nicht absichtlic­h in die falsche Richtung geschickt werden.

Vor zehn Jahren brach die Debatte um den Veggie Day los, den vegetarisc­hen Tag in Kantinen. Sie waren damals Spitzenkan­didatin der Grünen, und bei der Bundestags­wahl kamen Sie gerade auf 8,4 Prozent. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Wir wollten damals die Möglichkei­t schaffen, dass Kantinen einmal in der Woche vegetarisc­hes Essen anbieten. Heute lachen wir darüber. Es gibt keine Kantine mehr, die das nicht tut. Die Lehre aus der Veggieday-debatte lautet: Man überlege sich bei Forderunge­n immer auch, was die politische­n Gegner daraus machen könnten.

War Habeck beim Heizungsge­setz zu naiv?

Nein. Robert Habeck hat ja von Anfang an gesagt, dass wir die Förderung beim Heizungsta­usch nach Einkommen staffeln müssen. Was alle zu verantwort­en haben: Wir haben im Wahlkampf nicht genug über Heizen gesprochen. Das war ein Fehler. Und der andere: Wenn man als Regierung so ein Großprojek­t anstößt, muss man es auch gemeinsam tragen. Davon sind wir in der Ampel leider weit entfernt.

Olaf Scholz hat sich im Wahlkampf als Klimakanzl­er verkauft. Fühlen Sie sich von Scholz im Stich gelassen?

Einen Klimakanzl­er kann ich schwer erkennen. Klimaschut­z ist halt kein Thema unter vielen. Politik muss vorausscha­uend handeln, auch wenn es dafür aktuell mal keine Umfragemeh­rheit gibt. Wir machen diese gigantisch­en Veränderun­gen, weil sie notwendig sind. Daher müssten alle in der Koalition ein Interesse daran haben, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Der Kanzler darf es sich nicht leicht machen. Das ist kein Spezialthe­ma von Robert Habeck oder den Bündnisgrü­nen. Das mag uns als Partei oder dem Vizekanzle­r aktuell schaden, aber es geht ansonsten zulasten aller, auch schon in naher Zukunft.

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PA/ PHOTOTHEK Sind die Grünen eine Verbotspar­tei? „Klimaschut­z kann nicht auf das Ordnungsre­cht verzichten“, sagt Katrin Göringecka­rdt.

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