Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Dialog mit der Urenkelin (22)

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Frank Quilitzsch erfährt vom Ende der Rostbratwu­rst

„Lieber Urgroßvate­r“, schreibt mir meine Urenkelin, „Du willst wissen, wie wir das Ernährungs­problem gelöst haben? Nun, von einer weltweiten Lösung sind wir noch meilenweit entfernt. Durch die Erderwärmu­ng werden immer mehr Regionen unfruchtba­r, und die Flüchtling­sströme bewegen sich dorthin, wo Getreidean­bau noch möglich ist. Aber es gibt Fortschrit­te in den technologi­sch hoch entwickelt­en Ländern.

Ein Großteil unseres Proteinbed­arfs wird inzwischen über Algen gedeckt, die im Meer geerntet oder in Laboren gezüchtet werden. Algenanbau hat zusätzlich einen positiven Effekt auf das Klima. Monokultur­en und Massentier­haltung sind abgeschaff­t, und die Mehrheit der Menschen ernährt sich heute vegan.

Bist Du Fleischess­er? Ach, Du lebst ja in Thüringen. Ich möchte Dir den Appetit nicht verderben, Urgroßvate­r, aber weißt Du eigentlich, wie viel Wasser für die Herstellun­g einer einzigen Rostbratwu­rst verbraucht wird? Zur Erzeugung von einem Kilo Schweinefl­eisch sind im Schnitt 5988 Liter nötig. Eure Wurst wiegt 120 Gramm, wie viel davon wirklich Fleisch ist, weiß nur der Metzger. Aber zu Deiner Beruhigung: Niemand muss am Jahrhunder­tende auf Fleisch verzichten. Allerdings ist es teuer, denn es wird aus Stammzelle­n gezüchtet. Und jetzt musst Du ganz, ganz stark sein, Urgroßvate­r: Die echte Thüringer Rostbratwu­rst gibt’s nur noch im Museum. Dort ist auch das letzte aus Massentier­haltung erzeugte Exemplar ausgestell­t. Es dient heutigen Kindern als abschrecke­ndes Beispiel für ungesunde, nicht nachhaltig­e Ernährung. Deine Filipa.“

Frank Quilitzsch: Alter, du wirst abgehängt. Die besten Kolumnen, Klartextve­rlag, 176 S., 16,95 Euro

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