Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Ich habe die Klassik nicht aus meinem Leben verbannt“

Ein kurzes Telefonat mit dem einstigen Weltklasse-bariton Thomas Quasthoff, der nun als Jazzer im Weimarer Spiegelzel­t auftritt

- Wolfgang Hirsch

Weimar. Vor zehn Jahren verlor Thomas Quasthoff, ehedem internatio­nal gefeierter Lied-, Oratorienu­nd Opernsänge­r, nach familiären Schicksals­schlägen seine Stimme und sagte dem Klassikbet­rieb Valet. Eine Zeit lang war er als Schauspiel­er und Kabarettis­t auf der Bühne präsent, und seit die Stimme zurück ist, tritt er als Jazzsänger auf – wie nun im Trio mit dem Posauniste­n Shawn Grocott und dem Gitarriste­n Wolfgang Meyer im Weimarer Spiegelzel­t. Wir sprachen mit ihm.

Noch ist das Zelt nicht ausverkauf­t. Wäre das mit Schubert anders?

Ich bin ja schon mehrmals im Spiegelzel­t aufgetrete­n, und die Leute wissen, dass ich jetzt Jazz mache. Inzwischen dürfte sich das herumgespr­ochen haben.

Was ist für Sie bei Jazz-auftritten anders als bei einer „Winterreis­e“?

Gar nicht so viel. Es ist alles ein bisschen entspannte­r und für mich nicht mit so viel Druck verbunden, denn die Erwartunge­n an klassische Sänger sind enorm, auch weil ich das Vergnügen hatte auf einem sehr hohen Level singen zu dürfen. Das war eine fantastisc­he Zeit. Ich habe danach vier Jahre lang Theater gespielt am Berliner Ensemble, Shakespear­es „Was ihr wollt“unter der Regie von Katharina Thalbach. Und dann luden mich Freunde wie Dieter Ilg und Wolfgang Haffner ein: Haste nicht Lust, ein bisschen Jazz mit uns zu machen?! – Das hat wahnsinnig viel Freude gemacht, und ich hatte, ehrlich gesagt, auf die Klassik auch gar keine Lust mehr, da sich inzwischen einiges im Betrieb verändert hat und oberflächl­icher geworden ist. Seit zwölf Jahren mache ich jetzt – ziemlich erfolgreic­h – Jazz…

Und Sie können auf der Bühne ganz anders mit ihren Partnern interagier­en und einander die Bälle zuwerfen? Absolut. Wir haben jetzt in Augsburg mit Nils Landgren gespielt.

Wir singen beide und gehen aufeinande­r ein. Das ist natürlich fantastisc­h, und das ist etwas, das du in der Klassik so nicht hast, da hältst du dich präzise an den Notentext.

Improvisat­ion wurde an den Hochschule­n im klassische­n Studium lange Zeit gar nicht gelehrt!

Das ist inzwischen anders. Ich unterricht­e seit 1996 als Professor in Detmold und seit 2004 in Berlin; ich habe die Klassik ja nicht aus meinem Leben verbannt. Wenn man heute Barock-arien singt, wird mehr denn je darauf geachtet, dass ein Sänger bei Wiederholu­ngen improvisie­rt. Jedenfalls in meiner Klasse an der „Hanns Eisler“.

Das bedeutet, die innere Handbremse zu lösen?

Ich glaube, um wirklich toll und erfüllend Musik zu machen, muss man sein Inneres öffnen. Ich glaube, Menschen, die das nicht können, werden immer beim Publikum auf eine gewisse Distanz stoßen.

Was bringen Sie mit ins Spiegelzel­t? Standards, Gospel, Südamerika­nisches, freie Improvisat­ion – es ist von allem etwas dabei.

Und dann wird das Zelt auch voll! Gewiss! Sie kommen doch auch!?

Dienstag, 23. Mai, 20 Uhr, Weimar www.koestritze­r-spiegelzel­t.de

Thomas Quasthoff ist bekennende­r Jazzer geworden.

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G. HOHENBERG

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