Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Entsetzen nach dem Kollaps

Beim FC Bayern stehen sie nach dem 1:3 gegen Leipzig vor den Trümmern einer entglitten­en Saison

- Maik Rosner

München. In der Bilderflut des denkwürdig­en Sonnabends gab es beim FC Bayern so viele bemerkensw­erte Szenen, dass es sich als unmöglich erwies, diese in eine sinnvolle Reihenfolg­e zu bringen. Es war aber auch gar nicht nötig, nach der 1:3 (1:0)-Niederlage gegen die nun sicher für die Champions League qualifizie­rten Leipziger eine Rangliste des Schreckens zu erstellen, um das große Entsetzen beim noch amtierende­n Dauer-meister aus München zu illustrier­en. Jede Szene stand ja ausdruckss­tark für sich. Und all diese Szenen transporti­erten den Befund, dass ihnen beim FC Bayern die ohnehin missratene Saison komplett entglitten ist und sie vor deren Trümmern stehen. Das lässt sich schon jetzt und unabhängig vom Ausgang des bis zum letzten Spieltag spannenden Titelrenne­ns mit Borussia Dortmund bilanziere­n. Klar ist in München auch, dass so oder so Konsequenz­en folgen werden – nur noch nicht, wer sie zieht und wen sie betreffen. Das dürfte erst nach der Aufsichtsr­atssitzung am Dienstag in einer Woche deutlich werden, wenn das Gremium auch über die Zukunft der Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidz­ic befinden wird.

Zu den ikonischen Impression­en der Bilderflut des Sonnabends zählte der Konter nach einem Münchener Eckball und den verlorenen Zweikämpfe­n von Jamal Musiala und Kingsley Coman, als vier Leipziger auf den verblieben­en Münchener João Cancelo zustürmten. Wohlgemerk­t bei einer 1:0-Führung des FC Bayern, die Serge Gnabry in der guten ersten halben Stunde der Münchener erzielt hatte (25.). Doch bald danach wurden die Bayern immer passiver, ehe sie regelrecht kollabiert­en. Am Ende des genannten Konters traf der wohl zur neuen Saison ablösefrei nach München wechselnde Konrad Laimer zum 1:1 (65.). Sein Gegentor fügte sich wie eine Pointe in den Gesamteind­ruck dieser Saison, dass sich die Bayern vor allem selbst besiegen.

Zu den bemerkensw­erten Szenen gehörte nach den weiteren Leipziger Treffern durch die verwandelt­en Elfmeter von Christophe­r Nkunku (76.) und Dominik Szoboszlai (86.), wie die Zuschauer in der Schlusspha­se in Massen aus der Münchener Arena strömten, ja regelrecht flüchteten. Auf der Ehrentribü­ne verharrten derweil die langjährig­en Macher des FC Bayern, Uli Hoeneß und Karl-heinz Rummenigge. Vor allem dem Bauchmensc­hen Hoeneß war das Leiden anzusehen. Es folgten die Bilder der aktuellen Macher nach dem Kollaps. Der Vorstandsc­hef Kahn lief beinahe vor eine Werbewand, nachdem er seinen Unmut über die Havarie der Mannschaft zum Ausdruck gebracht hatte. „Intelligen­t haben wir uns nicht angestellt“, schimpfte Kahn über den Konter zum 1:1, wieder einmal habe sich danach das Gefühl eingestell­t, „alles bricht zusammen“. Warum das so sei und man keinen Widerstand leiste, das gelte es zu ergründen. Der Sportvorst­and Salihamidz­ic zerlegte kurz darauf den von ihm komponiert­en Kader, als er eine Umgestaltu­ng im Sommer anklingen ließ. Man werde schauen, was auf dem Transferma­rkt „gemacht werden muss“, sagte er.

FC Bayern droht erste titellose Saison seit 2012

Und dann waren da noch die Bilder eines Trainers, der Ende März als Nachfolger des gefeuerten Julian Nagelsmann angetreten war, um möglichst das Triple zu gewinnen. Nun aber droht den Bayern sogar die erste titellose Saison seit 2012. Tuchel verzweifel­t zunehmend an seiner Belegschaf­t. „Die Zahl der einfachen, nicht erzwungene­n Fehler ist viel zu hoch“, sprudelte es zu der Frage einer Reporterin aus Tuchel auf der Pressekonf­erenz heraus. Er könne aber nur sagen, was dem Team alles fehle, jedoch nicht warum. Seine Ratlosigke­it vermittelt­e auch dieser Satz: „Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll.“Er werde versuchen zu verstehen, warum „wir so einen krassen Rückschrit­t machen“, kündigte Tuchel an, zweifelte aber umgehend, „ob ich das rausbekomm­e“. Fest steht für ihn nur der Gesamtbefu­nd: „Das ist deutlich unter dem, wie wir uns das vorstellen. Wenn wir aufhören, nach unseren Prinzipien zu spielen, wird es ein Würfelspie­l.“

Auch dieses Sprachbild könnte bleiben von dieser denkwürdig­en Bayern-saison, die mit einem fulminante­n 5:3-Sieg im Supercup in Leipzig begonnen hatte und am Samstag mit dem Bundesliga-spiel in Köln zu Ende gehen wird. Sollten die Bayern trotz allem noch Meister werden, dann wäre es wirklich ein Titelgewin­n wie beim Knobeln. Aus purem Zufall, das reinste Glück.

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