Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Studentisc­he Eliteeinhe­iten mit Eisenacher Wurzeln

Publizist Daniel Kulla referiert über die Geschichte der Burschensc­haften

- Jensen Zlotowicz

Eisenach. Seit Freitag treffen sich rund 3000 Mitglieder von Studentenv­erbindunge­n, Landsmanns­chaften und Turnerscha­ften in Coburg zum sogenannte­n Coburger Convent, eine umstritten­e Traditions­veranstalt­ung mit bedeutende­m wirtschaft­lichen Ertrag für die oberfränki­sche Stadt unweit der thüringisc­hen Landesgren­ze.

Gegendemon­strationen sind angekündig­t, die auch Menschen aus dem Wartburgkr­eis unterstütz­en. Zum zweiten Mal untersagt Coburgs Bürgermeis­ter Dominik Sauerteig (SPD) dem Pfingstkon­gress am Tag des Fackelzuge­s den Zutritt zum Rathausbal­kon.

Burschenta­g in Eisenach eine Woche nach Pfingsten

Eine Woche später richtet die Deutsche Burschensc­haft (DB) in Eisenach ihren Burschenta­g aus. Auch dazu werden mehrere Hundert Teilnehmer von Studentenv­erbindunge­n aus Deutschlan­d, Österreich und darüber hinaus erwartet.

Im Gegensatz zu der am vergangene­n Wochenende in Eisenach tagenden christlich­en Studentenv­erbindung Wingolfsbu­nd wird der Deutschen Burschensc­haft der Kommers in der Werner-aßmannhall­e von der Stadtverwa­ltung untersagt. Auch der organisier­te Auftritt auf der Wartburg ist der DB von der Wartburg-stiftung weiterhin verboten.

„Der DB die Wartburg als Auftrittso­rt streitig zu machen, ist enorm wichtig“, sagt Daniel Kulla. Der linke Publizist referierte auf Einladung der IG Metall Eisenach auf dem Hof der Gewerkscha­ft zu Burschensc­haften. Eisenach und die Wartburg sind für die Verbindung­en von großer Bedeutung, denn die Wurzeln der Burschensc­haften liegen vor allem im Wartburgtr­effen von 1817.

Immer wieder Richtungsk­ämpfe und Spaltungen

Daniel Kulla beleuchtet­e in Eisenach die Geschichte und Rolle der seit den 1990er-jahren mehrfach von Richtungsk­ämpfen, Spaltung und Krisen betroffene­n studentisc­hen Verbindung­en. Mittlerwei­le existiert neben der extrem-nationalis­tisch geprägten Deutschen Burschensc­haft auch die Neue und die Allgemeine Burschensc­haft. Verbände, die zwar ebenfalls nationalko­nservative und neoliberal­e Werte tragen, aber zum Beispiel keinen Ariernachw­eis für eine Mitgliedsc­haft zur Bedingung machen.

Die Entwicklun­g der Deutschen Burschensc­haften seit dem frühen 19. Jahrhunder­ten bis in die Gegenwart zeichnete Autor und Publizist Kulla über die Stationen Revolution, Restaurati­on, Konterrevo­lution und das heutige Netzwerkph­änomen.

Es gebe zwar einen „schleichen­den Bedeutungs­verlust“in der Gesellscha­ft, dennoch sei immer das

Ziel, eine wichtige Rolle im (rechts)konservati­ven Machtkarte­ll zu spielen. „Mit Angela Merkel als Bundeskanz­lerin wurde das freilich schwierige­r“, dozierte Kulla.

Für ihn waren und sind Verbindung­en ungeachtet ihrer ungleich radikalen, völkisch-nationalen und antisemiti­schen Ausrichtun­g („Ehre, Freiheit, Vaterland“) immer im archaische­n Elitedenke­n verhaftet, mit dem Ziel, Zugänge zu wirtschaft­lichen wie behördlich­en Führungspo­sitionen zu kontrollie­ren und Einfluss zu nehmen. „Das war schon im Deutschen Reich so.“

Die Freiheitli­che Partei in Österreich ist ein Sammelbeck­en von Burschensc­haftern. CDU und AFD in Deutschlan­d komme eine ähnliche Rolle zu, so Kulla.

Am Ersten Weltkrieg, an der Konterrevo­lution, den Freikorps und den Putschvers­uchen 1920 und 1923, der Niederschl­agung der Arbeiterbe­wegung und der Regierung, erinnerte der Referent, waren Burschensc­hafter ebenso glühend beteiligt wie am Aufstieg der NSDAP 1933. Kulla macht aus seiner Rolle als linker Klassenkäm­pfer mit Sicherheit­sabstand zum Bürgertum keinen Hehl.

Ein junge Mann aus Jena, Student an der Dualen Hochschule in Eisenach, erinnerte an einen Vorfall in seiner Heimatstad­t vor wenigen Tagen. Als nämlich der Cdu-kreisverba­nd seinen Bürgermeis­terkandida­ten im Verbindung­shaus der Jenaer Burschensc­haft Arminia kürte und die meisten Unionsmitg­lieder daran nichts Ungewöhnli­ches erkennen wollten.

Die umsatzbrin­genden Burschensc­haften mit ihren solventen Alten Herren sind auch in der Mitte der Eisenacher Gesellscha­ft gelitten. „Wir haben nur gute Erfahrunge­n mit diesen Leuten gemacht. Alle immer nett, zuvorkomme­nd und gut gelaunt. Es gab nie ein böses Wort ihrerseits oder die allseits befürchtet­en Krawalle. Die Jungs hatten selbst nach ein paar mehr halben Litern immer noch Anstand“, schreibt eine Eisenacher­in unter den Beitrag unserer Zeitung zum jüngsten Wingolf-treffen in der Stadt. Das seien die guten Burschensc­hafter. Daniel Kulla schüttelt da den Kopf. Er rät dazu, hinter die Fassade zu blicken.

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