Thüringer Allgemeine (Eisenach)
Binseneier aus Eisenach bis nach Holland
Dagmar Neugebauer gehört zu den wenigen, die die Tradition fortführen. Ihre Kunstwerke verkauft sie auch ins Ausland
Eisenach. Das Osterfest steht vor der Tür. Jetzt noch damit anzufangen, Binseneier gestalten zu wollen, ist reichlich spät.
Dagmar Neugebauer setzt sich ab August bis November an den Basteltisch in ihrer Küche in Eisenachnord. Das hat aber auch damit zu tun, dass im Frühjahr ein Schädling seine Eier in den Binsen hinterlässt.
Dadurch wird das Mark der Pflanze unbrauchbar. Es muss aber möglichst weiß und unversehrt sein, denn mit der Binse wird das zuvor mit Stoffteilen beklebte Ei verziert.
„Es ist keine Borde und keine Lize, sondern ein Produkt aus der Natur“, zeigt Dagmar Neugebauer ein Bündel mit Binsen, die sie über das Jahr sammelt. Für diese Zwecke hat sie bei Wanderungen immer ein Beutelchen und eine Schere mit.
Binsen mögen feuchte bis nasse Standorte an Gewässern, in Sümpfen oder auf Feuchtwiesen. Solche Stellen kennt die Eisenacherin am Siebenborn, in Wilhelmsthal oder im Hainich.
Eine Tradition aus der Zeit um 1700
Auf keinen Fall darf es so trocken sein wie im Jahr 2022. Da hat Dagmar Neugebauer nicht genug Binsen gefunden, so dass sie zum Osterfest im vergangenen Jahr gar keine Binseneier gestalten konnte.
Das Mark wird mit einem Streichholz aus den Halmen geschoben. Es lässt sich anschließend wieder lang ziehen. Ist es zu trocken, kann es allerdings brechen. „Dann verwende ich ein feuchtes Tuch oder Wasserdampf“, erklärt die Eisenacherin.
Sie bietet ihre Binseneier über ein Kunstgewerbegeschäft in der Eisenacher Karlstraße an. „Ich habe probeweise einige Exemplare anlässlich des Sommergewinns geliefert. Frau Kneise hat sie im Schaufenster ausgestellt, und sofort haben Holländer die Binseneier gekauft“, weiß Dagmar Neugebauer noch genau. Sie freut es sehr, wenn sich ausländische Touristen eines ihrer filigranen Kunstwerke als Souvenir mit nach Hause nehmen.
Woher in Eisenach die Tradition kommt, ausgeblasene Hühnereier mit Stoff und Binsenmark zu bekleben, weiß heute keiner mehr genau.
Bereits um 1700 sind in der Vorfrühlingszeit kunstvoll verzierte Eier den Täuflingen als Zeichen des Glücks in die Wege gelegt worden. Frisch vermählten Paaren sollten die Eier reichlich Kindersegen bescheren.
Heimatschriftsteller Max Kürschner berichtet aus der Zeit um Mitte des 19. Jahrhunderts von bunten Eiern und aus Binsenmark gefertigten bunten Vögeln, die von Insassen des sogenannten Weibersiechens St. Spiritus vor dem Ehrensteig hergestellt worden sind.
Binseneier sind vom Prinzip her aus der Armut der Menschen heraus entstanden. Die Binsen kosteten nichts und die ausgeblasenen Eier waren Abfall. Ausgediente Kleider lieferten die Flicken und Läppchen.
„Doch wer trägt heute noch eine geblümte Baumwollkittelschürze?“, fragt Dagmar Neugebauer. Sie bringt Stoffe – sie müssen aus
Mit den Binsen werden die Nahtstellen der Stoffteile verziert.
Baumwolle sein – von ihren Reisen mit. „Der ist von Fuerteventura“, zeigt sie einen dunkel geblümten Flicken und erzählt davon, von einem nicht mehr getragenen Sommerkleid „noch viele Eier machen zu können“. Mit den Jahren hat sie eine solcher Fertigkeit entwickelt, dass sie die Stoffe ohne Schablone zuschneiden kann.
Früher ist einfacher Mehlkleister verwendet worden. Dagmar Neugebauer setzt heute Holzleim ein, bei dem sie auch mal korrigieren kann, wenn sie die Binse auf das Ei windet und das Muster nicht akurat genug ausfällt.
Mit Hahn und Brezel ein Symbol des Sommergewinns Das Binsenei gehört zusammen mit Hahn und Brezel zu den Symbolen des Eisenacher Sommergewinns. „Heimatliebe“ist auch für Dagmar Neugebauer ein Grund, sich dem besonderen Hobby zu widmen. Gern wählt sie rot und blau gemusterte Stoffe zum Bekleben der Eier aus. Zusammen mit den weißen Binsen sind das Eisenachs Stadtfarben. Dagmar Neugebauer hat ihr Handwerk vor mehr als 35 Jahren bei der Eisenacherin Christine Seeber gelernt, die inzwischen verstorben ist. An der Volkshochschule werden ab und zu Kurse angeboten worden. Wer heute überhaupt noch das österliche Brauchtum pflegt, lässt sich nur schwer feststellen. Außer in Eisenach werden Binseneier wohl auch noch im Odenwald und im Lahn-dill-kreis gestaltet.
Freunde und Bekannte versorgen mit ausgeblasenen Eiern. Denn so viel Rührei, von dem sie nur die intakten Schalen brauchen, können die Neugebauers allein gar nicht verzehren.
Die 68-Jährige gestaltet hauptsächlich Hühnereier, hat aber auch schon Eier von Zwerghühnern verziert oder größere Eier aus Styropor. Ausgeblasene Straußeneier hingegen seien zu teuer.
Zu Ostern hat Dagmar Neugebauer natürlich einen Strauß mit ihren eigenen Binseneiern in der Wohnstube stehen. Einige Exemplare dienen auch als Fensterschmuck.