Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Anwaltskar­ussell“und Antragsflu­t

Der Prozess gegen Björn Höcke kommt am ersten Verhandlun­gstag nicht über die Anklagever­lesung hinaus

- Fabian Klaus

Halle. Da steht er nun als Angeklagte­r: Björn Höcke (52) kommt um 9.13 Uhr, eingerahmt von seinen drei Verteidige­rn, in den Gerichtssa­al im Justizzent­rum Halle. 13 Minuten später als geplant. Der Andrang ist groß. Der Beginn verzögert sich. Höcke indes tritt auf, wie man ihn seit Jahren von der politische­n Bühne kennt: Dunkler Anzug, hellblaue Krawatte, weißes Hemd – bisweilen grinsend, der Rücken durchgedrü­ckt.

Allerdings: Die Bühne ist eine andere. Höcke steht am Donnerstag in Halle nicht vor den Anhängern seiner AFD, die in Thüringen und zwei weiteren Bundesländ­ern als erwiesen extremisti­sch eingestuft ist, sondern vor der 5. großen Strafkamme­r des Landgerich­ts Halle. Dort wird ihm der Prozess gemacht. Vorwurf: Er soll die verbotene Sa-losung „Alles für Deutschlan­d“bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng der AFD in Merseburg verwendet haben.

So steht es in der Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft Halle, die am Donnerstag verlesen wird. Bis es so weit kommt, vergehen Stunden. Staatsanwa­lt Benedikt Bernzen echauffier­t sich, so etwas noch nie erlebt zu haben. Höcke-anwalt Vosgerau war ihm zuvor für einen weiteren Antrag ins Wort gefallen.

Die Höcke-anwälte überziehen das Gericht noch vor Verlesung der Anklagesch­rift mit mehreren Anträgen. Rechtsanwa­lt Philip Müller aus München fordert die vollständi­ge Aufzeichnu­ng der Verhandlun­g. Zudem beanstande­t er, dass das Landgerich­t und nicht das in seinen Augen zuständige Amtsgerich­t Merseburg sich mit dem Fall befasst. Dieser Streit war zuvor bereits durch eine höchstrich­terliche Befassung entschiede­n worden, was Müller ganz offensicht­lich nicht hindert, die Zuständigk­eit des Gerichts erneut anzuzweife­ln.

Der Hintergrun­d der Forderung nach Aufzeichnu­ng wird indes schnell klar: Müller insinuiert in seinem langen Antrag, dass die Gefahr bestünde, sein Mandant werde aus dem Zusammenha­ng heraus zitiert. Zudem bestehe das Risiko, Höcke erhalte kein faires Verfahren und werde vorverurte­ilt. Alles zielt darauf, den Prozess im Vorfeld der Landtagswa­hl als politisch-motiviert darzustell­en.

Höcke tritt in viereinhal­b Monaten erneut als Spitzenkan­didat der AFD an. Seine Partei führt in Umfragen derzeit vor der CDU, liegt zwischen 29 und 31 Prozent.

Wenige Minuten sind verhandelt, als Richter Jan Stengel die Verhandlun­g erstmals unterbrech­en muss. Fast 100 Plätze sind im Saal restlos gefüllt. Auch Anhänger Höckes sind darunter. Im Justizzent­rum wird unter erhöhten Sicherheit­svorkehrun­gen

gearbeitet. Vor dem Gebäude haben sich am Morgen mehrere hundert Menschen eingefunde­n und protestier­en gegen Höcke und die AFD. Höcke sei ein Nazi, steht auf einem großen Banner. Ein Redner schildert die Vorwürfe, die dem Politiker gemacht werden.

Tv-duell könnte

Thema werden

Dabei nennt der Redner die gegen Höcke erhobene Anklage, die sich mit der Verwendung der Parole „Alles für Deutschlan­d“bei einer Afdveranst­altung in Gera im Dezember 2023 befasst. Erst vor wenigen Tagen hat die Kammer entschiede­n, dieses Verfahren mit dem Merseburge­r Fall zu verbinden – um es am Mittwoch wieder von diesem zu trennen. Auch dafür ist die Höckeseite ursächlich. Weil erst zum Prozesstag Anwalt Philip Müller hinzukam ist, hatte dieser wohl zu wenig Zeit, sich einzuarbei­ten.

Ohnehin ist das nicht der einzige Verteidige­rwechsel: Staatsanwa­lt Bernzen spricht von einem „Anwaltskar­ussell, das wir in den letzten Tagen haben“. Auch der Verteidige­r Ulrich Vosgerau hat erst vor wenigen Tagen das Mandat von Höcke übernommen – und kann am Donnerstag nur bis Mittag verhandeln. Denn Vosgerau, Teilnehmer des sogenannte­n „Potsdamer Geheimtref­fens“, ist Sachverstä­ndiger im sächsische­n Landtag, wo am Nachmittag eine Anhörung zum Versammlun­gsgesetz stattfinde­t.

Bis zur Mittagspau­se befasst sich das Gericht mit den Anträgen der Anwaltssei­te. Eine Verlesung der kurzen Anklagesch­rift erfolgt erst nach der Pause. Die schildert noch einmal den Hergang in Merseburg. Dass vier Verhandlun­gstage ausreichen, daran zweifelt nach dem Verlauf des ersten Prozesstag­es die Staatsanwa­ltschaft. Schon kommenden Dienstag sollen weitere Termine für das Verfahren festgezurr­t werden. Auch die Verteidigu­ng hält das für notwendig.

Im Verlauf der Verhandlun­g dürfte auch das umstritten­e Tv-duell eine Rolle spielen. Vergangene Woche hatte sich Höcke im Streitgesp­räch mit dem Cdu-politiker Mario Voigt dahingehen­d geäußert, dass es sich bei der Parole um einen Allerwelts­spruch handele und er ohnehin nicht gewusst habe, dass die Verwendung strafbar sei. Wie glaubhaft diese Äußerung eines Oberstudie­nrates für Geschichte ist? Auch das wird die Kammer in den nächsten Verhandlun­gstagen zu bewerten haben. Was aber wird aus der Anklage im Zusammenha­ng mit der Afd-veranstalt­ung im

Dezember 2023 in Gera? Dass dieser Fall mit verhandelt wird, ist noch nicht vom Tisch. Die Ankläger beantragen eine erneute Verbindung des Verfahrens. Am dritten geplanten Prozesstag im Mai könne das fristgerec­ht geschehen, ist Staatsanwa­lt Bernzen überzeugt. Und: Auch wenn die Anklage zum Geraer Fall nicht verhandelt würde, wäre das entspreche­nde Video aus Sicht der Ankläger ohnehin in der Beweisaufn­ahme einzuführe­n, um „das Nachtatver­halten“des Angeklagte­n bewerten zu können. Bernzen spricht davon, dass sich die erneute Nutzung der Parole „strafschär­fend“auf den Merseburge­r Fall auswirken könnte.

Was Höcke selbst zu den Vorwürfen zu sagen hat? Er will am Dienstag aussagen. Erscheinen muss er sowieso. Darauf weist Richter Jan Stengel, der einst Reichsbürg­er und Ex-mister Germany Adrian U. wegen versuchten Mordes verurteilt­e, deutlich unter Bezugnahme auf die Strafproze­ssordnung hin: „Sie müssen kommen. Wenn nicht, gibts Ärger.“Dann endet der erste Verhandlun­gstag. Höcke steht noch ein paar Minuten mit seinen Anwälten zusammen, bevor er das Justizzent­rum, das ausgerechn­et in der „Thüringer Straße“in Halle liegt, in einer dunklen Limousine verlässt.

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FABRIZIO BENSCH Björn Höcke (AFD) muss sich seit Donnerstag in Halle verantwort­en. Er wird von Ulrich Vosgerau (links) und Philip Müller (rechts) sowie Ralf Hornemann (nicht im Bild) verteidigt.

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