Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Die Geisterfah­rerin

Familienmi­nisterin Lisa Paus wollte eine gesellscha­ftspolitis­che Wende – und könnte an sich selbst scheitern

- Tim Kummert

Berlin. Und dann, als Lisa Paus zum Befreiungs­schlag ansetzen will, lassen sie auch noch die Berliner Schüler im Stich. Es ist der Donnerstag­morgen letzter Woche, eine Veranstalt­ung zur Europawahl mit mehreren Schulklass­en im Familienmi­nisterium. Die Jugendlich­en dürfen zum ersten Mal wählen, doch viele starren nur auf ihre Handys. Dann heißt es, man könne Paus eine Frage stellen. Niemand meldet sich. Paus ermutigt: „Auch unbequeme Fragen sind erlaubt.“Irgendwann steht doch ein Teenager auf und will wissen, warum Teenager sich so wenig für Politik interessie­rten. Paus starrt ihn entgeister­t an. Sie hat sich das alles anders vorgestell­t.

Es läuft nicht gut für die Familienmi­nisterin. Nicht einmal hier, bei einer Art Wohlfühlte­rmin in ihrem eigenen Ministeriu­m. Familienmi­nisterin Lisa Paus, 55 Jahre, steckt in der größten Krise ihrer politische­n Karriere. Eigentlich wollte sie die Kindergrun­dsicherung durchsetze­n, die große gesellscha­ftspolitis­che Wende der Grünen: Ärmere Familien sollten besser unterstütz­t, Staatshilf­en wie Kinderzusc­hlag und Kindergeld gebündelt und automatisi­ert ausgezahlt werden. FDP und SPD wollen Paus’ bisherigen Plänen nicht zustimmen, dort finden viele eine Strukturre­form ausreichen­d. Doch Paus gibt sich weder verhandlun­gsbereit, noch legt sie andere Ideen vor. Von der Kindergrun­dsicherung könnte deshalb nur ein Scherbenha­ufen übrig bleiben.

Wer nach den Gründen dafür sucht, für den zeichnet sich das Bild einer Ministerin, die immer zielstrebi­g arbeitete. Gegen alle Widerständ­e, manchmal auch gegen die eigenen Parteikoll­egen. Die Geschichte von Lisa Paus ist eine Geschichte über Druck in der Politik. Darüber, wo er wirkungsvo­ll sein kann. Und darüber, wo er alles gefährdet.

Es begann im August letzten Jahres, schon damals kämpfte Paus für die Kindergrun­dsicherung. Sie forderte zwölf Milliarden Euro für ihr Projekt, ohne zu erklären, wofür sie das Geld genau braucht. Fdp-finanzmini­ster Christian Lindner sagte Nein. Daraufhin blockierte Paus kurzerhand ein von ihm geplantes Gesetz, das die Wirtschaft stärken sollte. Die Folge war zwar ein Krach in der Koalition – aber es war ihre politische Sternstund­e. Deutschlan­d nahm nun wahr, dass es Lisa Paus gibt.

Paus sehen viele als eine Anti-baerbock

Vizekanzle­r und Parteifreu­nd Robert Habeck stellte sich vor eine Zdf-kamera und faltete Paus zusammen. Ihre Blockade sei „kein Glanzstück“gewesen. Sie habe manches „aus Frust“oder aufgrund einer „falschen Taktik“nicht richtig eingeschät­zt. Er hätte auch sagen können: Lisa, es langt. Paus bekam damals etwas mehr als zwei Milliarden zugesproch­en, keine zwölf. Aber der linke Flügel der Grünen applaudier­te.

Die Kindergrun­dsicherung sollte ein neuer Bestandtei­l der Parteidna werden. Die Reform sollte den Beweis erbringen, dass die Ökopartei nicht nur Umweltpoli­tik machen kann. In der Partei kam der Druck gut an. Wo Baerbock und Habeck im Regierungs­alltag viele Kompromiss­e machen müssen, stemmte sich Paus dagegen.

Paus wuchs mit zwei Brüdern im niedersäch­sischen Emsbüren auf, einer kleinen Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern. Die katholisch­e Kirche steht mitten im Ort, um sie herum rote Backsteinh­äuser, eine Idylle. Doch Paus wollte mehr, sie wollte nach oben. Sie ging nach Berlin, studierte Volkswirts­chaftslehr­e

und Politik, seit 1995 ist sie bei den Grünen aktiv. Ab und zu kam von ihr ein Vorstoß, um sich bemerkbar zu machen. Es funktionie­rte, 2009 wechselte sie in den Bundestag. Der „Süddeutsch­en Zeitung“sagte Paus mal: „Ich bin in die Politik gegangen, weil ich Feministin bin. Weil ich es nicht in Ordnung finde, dass der Zufall des Geschlecht­s darüber bestimmt, ob man als kompetent wahrgenomm­en wird.“Sie sieht sich als Kämpferin.

Im Bundestag erarbeitet­e sich Paus einen guten Ruf als Finanzpoli­tikerin. Sie verhandelt­e hart, vor allem um die großen Zahlen. Das wurde ihr Erfolgsmod­ell, es trug sie nach oben. Als sie ins Amt kam, und die glücklose Familienmi­nisterin Anne Spiegel ablöste, hofften viele, dass es so weitergehe­n könnte – und Paus nun die Kindergrun­dsicherung durchsetze­n würde.

Doch kurz vor Ostern, der Kampf um die Kindergrun­dsicherung gärte schon länger, verhob sich Paus. Um ihr Gesetz voran zu treiben, nannte sie wieder eine große Zahl. 5000 neue Stellen brauche sie für die Kindergrun­dsicherung. Die Forderung wurde zum Bremsklotz. Dieses Mal legte Parteichef­in Ricarda Lang los. „Es wird keine 5000 neuen Stellen geben“, sagte sie in der Ard-sendung „Bericht aus Berlin“. Es war ein Paukenschl­ag, Lang gilt als links – und als loyal. Paus musste zurückrude­rn.

Und dieses Mal blieb der linke Parteiflüg­el stumm, kein Applaus mehr. Nun war klar: Das ganze Projekt steht vor dem Aus. Paus hatte es übertriebe­n, die 5000 Stellen galten vielen als vermessen. Bei ihrem Amtsantrit­t hieß es noch, Paus sei eben unkonventi­onell. Mittlerwei­le halten viele sie für eine Frau, die gar nicht mitbekommt, dass sie verbissen in der falschen Richtung unterwegs ist. Eine politische Geisterfah­rerin.

Der stellvertr­etende FDP-CHEF und Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang

Kubicki sagt unserer Redaktion zu den 5000 Stellen: „Der Angang, in der Öffentlich­keit ständig Fantasieza­hlen und -berechnung­en zu verbreiten, um dann bei nächster Gelegenhei­t zu erklären, dies sei eigentlich gar nicht so gemeint gewesen, hinterläss­t jedenfalls nicht durchgängi­g den Eindruck von Profession­alität.“Kubicki setzt nach: „Haben viele Grüne gejubelt, als sie die Nachfolge von Frau Spiegel angetreten hat, werden sicherlich viele Menschen jubeln, wenn sie das Ministeriu­m wieder verlässt.“Nicht alle drücken es so scharf aus. Doch ein Kompromiss um das neue Gesetz ist nicht erkennbar.

Es ist nicht einfach, mit Lisa Paus über ihre Lage zu reden. Beim Termin mit den Berliner Schülern schirmt ihr Sprecher sie ab, man darf keine einzige Frage stellen. Stattdesse­n heißt es, ein Treffen soll in den nächsten Tagen möglich sein. Später schrumpft das Angebot zu einem Telefonat zusammen. Dreizehn Minuten nimmt sich Paus Zeit. Dabei klingt die Ministerin gut gelaunt, jede Frage beantworte­t sie schnell und direkt. Der Gesetzespr­ozess zur Kindergrun­dsicherung? Läuft jetzt, sagt Paus. Die Kritik aus der FDP? Hält sie für überzogen. Und die generelle Abneigung gegen ihre Amtsführun­g? Kann sie nicht verstehen. Je länger man mit Paus spricht, desto mehr stellt sich das Bild einer Politikeri­n ein, die mit sich im Reinen ist. Probleme, die machen die anderen.

Findet Paus, dass sie Fehler gemacht habe bei ihrem bisherigen Weg? War die Blockade des Wachstumsc­hancengese­tzes im letzten Jahr richtig? Paus sagt dazu am Telefon etwas, doch zieht ihre Antworten danach zurück. Man darf sie nur allgemein zitieren: „Wissen Sie, am Ende geht es mir darum, etwas im Sinne der Menschen zu erreichen.“Paus habe Angst, sagen ihre Vertrauten. Angst, dass alles scheitert. Deshalb lässt sie auf den großen Druck nun die große Stille folgen. Um zu retten, was zu retten ist.

Am Wochenende haben die Personalve­rtreter der Jobcenter einen Brandbrief an Bundeskanz­ler Olaf Scholz geschickt. Es geht um die Pläne von Paus zur Kindergrun­dsicherung, die Reform sei „realitätsf­ern und nicht umsetzbar“. Der Gesetzentw­urf konterkari­ere die mit ihm verbundene­n Ziele „auf absurdeste Weise“und werde für die Betroffene­n „verheerend­e soziale und finanziell­e Folgen“haben. Lisa Paus schweigt. Der Druck kommt jetzt von anderen.

Haben viele Grüne gejubelt, als sie die Nachfolge von Frau Spiegel angetreten hat, werden sicherlich viele Menschen jubeln, wenn sie das Ministeriu­m wieder verlässt. Wolfgang Kubicki, stellvertr­etender FDPCHEF, über Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne)

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IMAGO Die Kindergrun­dsicherung ist das große Projekt von Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne). Doch von der Reform könnte nur ein Scherbenha­ufen übrig bleiben.

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