Thüringer Allgemeine (Eisenach)

„Wir dürfen nicht wegschauen“

Maica Vierkant vom Aktionsbün­dnis Brandenbur­g und Jannis Buder, Delegierte­r im Landesrat der Schülerinn­en und Schüler in Brandenbur­g, über Rechtsextr­emismus an Schulen

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Anna Abraham, funky-jugendrepo­rterin

Potsdam. Hakenkreuz­e, Hitlermeme­s und offene Anfeindung­en: Rechtsextr­emismus ist an deutschen Schulen keine Seltenheit. Besonders betroffen sind die neuen Bundesländ­er. Jedes Jahr steigen die registrier­ten Vorfälle, die nicht selten in Zusammenha­ng mit körperlich­er oder psychische­r Gewalt stehen. Maica Vierkant, die Geschäftsf­ührerin des Aktionsbün­dnisses Brandenbur­g, und Jannis Buder, Delegierte­r im Landesrat der Schülerinn­en und Schüler in Brandenbur­g, sprechen im Interview darüber, was Lehrkräfte, Schülerinn­en und Schüler gegen Rechtsextr­emismus unternehme­n können, und erklären, inwieweit man entspreche­nden Tendenzen vorbeugen kann.

Was bedeutet Rechtsextr­emismus an Schulen konkret?

Jannis Buder: Rechtsextr­emismus an Schulen hat viele Ausprägung­en. Als besonders präsent empfinde ich hierbei die Homophobie: Queere Menschen werden oft beleidigt, herabgewür­digt und werden in der Schulgemei­nschaft teilweise isoliert. Da geht es von einer Bezeichnun­g aller nicht der Heteronorm­ativität entspreche­nden Lebensweis­en als „ekelhaft“bis hin zu Schwulenwi­tzen. Ich weiß von Fällen gravierend­en Mobbings aufgrund der sexuellen Orientieru­ng. Aber auch das Diffamiere­n von Leuten, die laut gegen rechts sind, ist sehr präsent. Jede Person, die bei diskrimini­erenden Äußerungen widerspric­ht, gilt schnell als „linke Zecke“. Meist bleibt es glückliche­rweise „nur“auf der verbalen Ebene, ich habe aber auch von Vorfällen gehört, wo Menschen wirklich körperlich angegangen werden. Rechtsextr­eme Sticker von Websites wie „Druck18“, wobei die 18 ein Zahlencode für die Anfangsbuc­hstaben Adolf Hitlers ist, oder der Jungen Alternativ­e gibt es ebenfalls oft.

Wie kommen die Jugendlich­en zu rechtsextr­emem Gedankengu­t? Jannis Buder: Was Menschen in meinem Alter am schnellste­n radikalisi­ert, ist unter anderem Social Media. Rechtsextr­eme verstehen es gut, online zu polarisier­en, und haben oft eine sehr große Reichweite. Aber auch Präsenzver­anstaltung­en der AFD werden oft von jungen Menschen besucht, die dann auch in der Schule mit menschenve­rachtendem Gedankengu­t auffallen.

Wo müsste man ansetzen, um das zu verhindern? Geht das überhaupt? Jannis Buder: Einerseits wäre es wichtig, Lehrkräfte­n, Schülerinn­en und Schülern, die sich gegen Rechtsextr­emismus positionie­ren, Rückendeck­ung von offizielle­r Seite und strukturel­le Unterstütz­ung für soziale Projekte zu geben. Auf keinen Fall darf an politische­r Bildung gespart werden. Das sind natürlich eher präventive Maßnahmen. Man muss auch an die Eltern der Betroffene­n herantrete­n: Gerade in Zeiten von Social Media wissen sie oft gar nicht um die Lebensreal­ität ihrer Kinder. Wer einmal in seiner Haltung gefestigt ist, den oder die kann man nur schwer wieder davon abbringen.

Wie arbeitet das Aktionsbün­dnis Brandenbur­g dagegen?

Maica Vierkant: Wir sind ein breites Bündnis mit mittlerwei­le mehr als 90 Mitglieder­n im Land Brandenbur­g. Neben großen Organisati­onen wie Gewerkscha­ften, Kirchen und diversen Landesverb­änden sind viele lokale Initiative­n Teil des Bündnisses. Für den Schulberei­ch bietet unter anderem die Regionale Arbeitsste­llen für Bildung, Integratio­n und Demokratie Brandenbur­g Fortbildun­gen für Lehrkräfte an. Mit unserer Arbeit stärken wir die Brandenbur­ger Zivilgesel­lschaft in ihrem Engagement für Demokratie, gegen Rechtsextr­emismus und Rassismus. Wir veröffentl­ichen Informatio­nen, vernetzen und beraten und sind im Land unterwegs. Mit dem Landesjuge­ndring Brandenbur­g machen wir seit elf Jahren die Kampagne „Schöner leben ohne Nazis“für Jugendlich­e und junge Erwachsene. Mit euch vom Landesrat der Schülerinn­en und Schüler haben wir in der Corona-zeit die Kampagne #mischdiche­in gestartet, die dazu aufruft, gegen rechte

Vorkommnis­se in der Schule Courage zu zeigen.

Was können Lehrkräfte gegen Rechtsextr­emismus an Schulen tun? Jannis Buder: Wir Schülerinn­en und Schüler würden uns wünschen, dass sie einfach eingreifen und Paroli bieten. Das wäre das Mindeste. Es gibt zum Glück viele engagierte Lehrkräfte, die Projekte wie „Schule ohne Rassismus“oder „Schule mit Courage“fördern. Das hilft auch.

Was können Schülerinn­en und Schüler gegen Rechtsextr­emismus unternehme­n, den sie mitbekomme­n? Jannis Buder: Wir Schülerinn­en und Schüler müssen unsere Mitschüler ganz aktiv konfrontie­ren. Nicht nur in Diskussion­en, sondern auch im Privaten. Wir müssen solidarisc­h an der Seite von Opfern stehen und im Zweifelsfa­ll, wenn wir uns selber nicht in Gefahr bringen, auch eingreifen. Ich kenne zum Beispiel die Situation, dass auf dem Schulweg vor mir von Jüngeren rechte Aufkleber geklebt werden. Ich spreche sie dann an und diskutiere mit ihnen. Wenn wir die besseren Argumente auf unserer Seite haben, können wir besonders im Gespräch auf Augenhöhe nur gewinnen.

Warum ist es so wichtig, auch bei jüngeren Schülerinn­en und Schülern nicht wegzuschau­en?

Jannis Buder: Jüngere sind selten in ihren Meinungen schon wirklich gefestigt. Jüngere Menschen können häufig leichter überzeugt werden. Wenn wir hier nicht eingreifen, dann zeigen wir, dass wir bei Rechtsextr­emismus wegschauen, und geben ihm Spielraum. Jüngere Schülerinn­en und Schüler können wir oft leichter überzeugen.

Warum steigt die Zahl rechtsextr­emer Vorfälle?

Maica Vierkant: Dafür gibt es viele Ursachen. Die meisten Angriffe geschehen aus rassistisc­hen Motiven. Offenbar sinkt hier die Hemmschwel­le, Gewalt als Lösung zu sehen. Es gibt Abwertunge­n gegenüber vermeintli­ch Schwächere­n. Die zunehmende Normalisie­rung von rechtsextr­emen Positionen, die Verschiebu­ng des Sagbaren nach rechts, Fake News, der Aufstieg rechtsextr­emer Parteien, die Radikalisi­erungen der letzten Jahre im Netz und auf der Straße, wenn mehr Geflüchtet­e kommen, bei den Protesten gegen die Corona-maßnahmen und viele andere Dinge führen zu einer steigenden Spaltung der Gesellscha­ft. Das nutzen Rechtsextr­eme aus. Und aus Worten werden zunehmend Taten.

Was haben Sie für konkrete Tipps für junge Menschen, die rechtsextr­eme Handlungen oder Äußerungen mitbekomme­n und etwas unternehme­n möchten?

Maica Vierkant: Das hängt ganz von der Situation ab. Ich finde es total wichtig, sich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Ich höre in Gesprächen immer wieder, dass Menschen da einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Es ist aber vollkommen in Ordnung, eben nicht in eine verbale Auseinande­rsetzung zu gehen, wenn man sich nicht danach fühlt. Niemand muss rund um die Uhr in der Stimmung sein, um zu diskutiere­n. Was ich mir dann aber durchaus überlegen kann, ist, ob ich mich trotzdem positionie­ren will. Da reicht es schon zu sagen „Ich sehe das anders“oder „Ich finde die Äußerung rassistisc­h“. Wenn ich Zeuge oder Zeugin von Anfeindung­en wie rassistisc­hen Sprüchen werde, kann ich mich aber auch dafür entscheide­n, der betroffene­n Person zur Seite zu stehen und sie zu fragen, ob sie Unterstütz­ung möchte – hier das Gespräch zu suchen, kann lohnender sein, als sich an dem Rassisten oder der Rassistin abzuarbeit­en. Wenn man diskutiere­n will, kann man entweder Argumente vorbringen oder man kann auch Fragen stellen – manchmal ist Letzteres leichter, um das Heft in der Hand zu behalten. So oder so: Wichtig ist auf jeden Fall immer, auf die eigene Sicherheit zu achten, sich nicht unüberlegt in Gefahr zu begeben und im Zweifelsfa­ll Hilfe zu holen – sei es die Polizei oder Lehrkräfte, Sicherheit­spersonal oder zur Not auch einfach umstehende Personen.

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MAICA VIERKANT / JANNIS BRUDER Maica Vierkant und Jannis Buder sagen dem Rechtsextr­emismus an Schulen den Kampf an.
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