Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Blick in den Maschinenr­aum der Diktatur

Neue Studie zum Ringen um die Wahrheit über Ddr-doping erscheint als Buch. Missbrauch betraf Spitzenspo­rtler, Kinder und Jugendlich­e

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Hanno Müller

Erfurt. Im Jahr 2015 erschien die Studie „Zwischen Erfolgs- und Diktaturge­schichte. Perspektiv­en der Aufarbeitu­ng des Ddr-sports in Thüringen“(Verlag die Werkstatt, 310 S.) . Autoren waren neben den Herausgebe­rn Jutta Braun und Michael Barsuhn auch der Sporthisto­riker René Wiese sowie der Erfurter Doping-experte Michael Kummer.

Erstmals betrachtet­e die Untersuchu­ng das Ddr-sport- und Dopingsyst­em aus regionaler Thüringer Perspektiv­e. Neben Biografien von Betroffene­n wie Jürgen May, Ines Geipel oder Hans-georg Aschenbach ging es um die schwierige

Wahrheitss­uche nach der Wende sowie um fragwürdig­e Personalko­ntinuitäte­n von mit Doping- und Stasi-verstrickt­en auf Trainerpos­ten und in Sportverbä­nden. Querelen um die Veröffentl­ichung des Berichtes offenbarte­n bereits damals die streitbare Brisanz, die das Thema weiter hatte und hat. In einer Folgestudi­e, die am Donnerstag in Buchform mit dem Titel „Sportgesch­ichte vor Gericht. Ein Gutachten zu Dopingprax­is und Sed-unrecht im Ddr-sport“(Arete-verlag Hildesheim, 17,50 Euro) erscheint, haben Jutta Braun und René Wiese nun erstmals Akten aus den Dopingproz­essen der 1990er-jahre ausgewerte­t. Hauptveran­twortliche im Sportnachw­uchs

Die Autoren Jutta Braun und René Wiese.

medizinisc­hen Dienst und anderen Einrichtun­gen könnten so an eigenen Aussagen gemessen werden. Zeugenvern­ehmungen böten gleicherma­ßen einen Blick in den Maschinenr­aum der Diktatur.

Demnach traf Doping nicht nur Spitzenspo­rtler, sondern reichte bis in den Kinderspor­t. „Der sportliche

wurde nicht nur mit Schweigeve­rpflichtun­gen belegt, auch Ärzte und Funktionär­e waren angehalten, die Erziehungs­berechtigt­en über Dopingvorg­aben nicht aufzukläre­n beziehungs­weise bei Nachfragen anzulügen“, schreiben die Autoren.

Ob Sportler wissentlic­h oder unwissentl­ich dopten, sei demnach eher zweitrangi­g. Entgegen der von Doping-akteuren vorgebrach­ten Schutzbeha­uptung, man habe alles unter Kontrolle gehabt, belegen die Autoren ein wildes und unkontroll­iertes Doping, bei dem selbstgese­tzte Grenzen auf Kosten der Gesundheit von Sportlerin­nen und Sportlern ständig überschrit­ten wurden.

Angesichts der Schwierigk­eiten für Dopingopfe­r beim Nachweis von Gesundheit­sschäden fordern die Studienaut­oren Braun und Wiese, dass Dopingfolg­en auch ohne juristisch belastbare­n Nachweis anerkannt und stattdesse­n die systematis­chen Strukturen berücksich­tigt würden. Bei der Sed-opferbeauf­tragten im Bundestag, Evelyn Zupke, fanden sie damit ein offenes Ohr. Zupke ist vor Ort, wenn das neue Buch in Erfurt vorgestell­t und diskutiert wird.

Themenaben­d „Sportgesch­ichte vor Gericht. Die Dopingproz­esse im historisch­en Rückblick.“16. Mai, 18 Uhr. Gedenkund Bildungsst­ätte Andreasstr­aße

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BODO SCHACKOW / DPA
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