Thüringer Allgemeine (Eisenach)

Wenn das Gute über das Böse siegt

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Susanne Krauß über einen hartherzig­en Leierkaste­nspieler

Eisenach. Zwei Geschwiste­r gehen zum Markt, um für die kranke Mutter Milch zu kaufen. Geld haben sie keins, also singen sie und hoffen auf Almosen. Der hartherzig­e Leierkaste­nspieler Brundibàr, der dadurch um seine Einnahmen fürchtet, verjagt die Kinder wütend, doch finden die beiden rasch Hilfe von Mensch und Tier. In solidarisc­her Gemeinscha­ft gelingt es, den üblen Brundibàr zu vertreiben.

Eine einfache Geschichte, in der das Gute übers Böse triumphier­t – so wie in vielen Märchen. Eine von Kindern gesungene Oper für ein Publikum von Kindern, die beim Zuschauen mit dem armen Geschwiste­rpaar mitfühlen und sofort mit antreten möchten gegen den gemeinen, selbstsüch­tigen Kerl. Ein Publikum, das seine Herzen weit öffnet – für das Unrecht, das den Protagonis­ten angetan wird, wie auch für die Erleichter­ung und Freude über das glückliche Ende.

Viermal ist die Oper „Brundibàr“am Eisenacher Theater aufgeführt worden, viermal waren die Zuschauer

ganz und gar eingenomme­n, berührt und gaben langanhalt­enden, stehenden Applaus. Stolze Eltern und Großeltern der kleinen Bühnenakte­ure? Gewiss. Kinderchor und Orchester der Musikschul­e Johann Sebastian Bach sind über sich selbst hinausgewa­chsen. Auch Kostüme und Bühnenbild – beides entstand in Kooperatio­n mit Eisenacher Schulen – verdienten den Beifall vollauf.

Ein rundum gelungenes, großartige­s Erlebnis, das mir dennoch oder gerade deshalb fortwähren­d die Tränen in die Augen trieb. „Stell dir vor…“so begann der Prolog, der die Gefühlswel­t der 12-jährigen Mimi Goldstein zum Ausdruck brachte. „Stell dir vor, du bist ein ganz nortungsla­ger males Mädchen in dieser Stadt, fröhlich und sorglos, und mit einem Mal bricht nur noch unverständ­liches, grenzenlos verstörend­es Unheil über dich herein…“

Das besagte Mädchen war Jüdin, eine von den 240 in Eisenach lebenden jüdischen Menschen, die 1942 sämtlich deportiert wurden. Mimi kam nach Theresiens­tadt, von wo aus es für die Mehrzahl der Interniert­en in die östlichen Vernichwei­terging. Und hier, im Vorhof des Grauens, durfte sie zusammen mit anderen Schicksals­gefährten die Oper einüben, aufführen und dabei der Hölle für einen Augenblick entrinnen.

Insgesamt gab es 55 Aufführung­en in Theresiens­tadt, von den Nazis sogar als Beleg für die kulturvoll­e „heile-lage-welt“propagiert. Von 15.000 gefangen gehaltenen Kindern überlebten das Konzentrat­ionslager gerade 1000. Ermordet wurde auch der Prager Komponist Hans Kràsa, der einfach eine moderne Kinderoper hatte schaffen wollen, ein für Kinder ansprechen­des Märchen, das er dann für dieses „Vorzeigeth­eater“bearbeitet hat. Mir schien, als würde es bei der Vorrede

um mich herum plötzlich kälter und düsterer. Wie aufgeforde­rt versuchte ich mir das Erzählte „vorzustell­en“. Es gelang mir, und zugleich gelang es mir nicht, denn „Emotionen“, „Empathie“… all die oft bemühten Begriffe und Definition­en versagen im Grunde doch kläglich vor dem Unvorstell­baren, das vor 80 Jahren Realität gewesen ist. Gewesen…? Man kann, man darf es nicht vergessen. „Brundibàr“lässt mich nicht los, und wird auch an keinen anderen Menschen wirkungslo­s vorbeiraus­chen... denke und hoffe ich.

Susanne Krauß schreibt mit Freundinne­n den Blog „Die Zauberinne­n von Ost“, an den sich die Kolumne anlehnt.

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SUSANNE KRAUß Die Kinder verjagen im Landesthea­ter Eisenach den Leierkaste­nspieler.
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