Die Sehnsucht nach der Qual der Wahl
In der Halbzeitbilanz des Experiments „Überleben in der Krise“hinterfragt unser Versuchskaninchen die Konsumgesellschaft. Besuch bei Sterneköchin Maria Groß
Weimar. Es ist Nacht, und doch ist es taghell. Ein Blitz löst den anderen ab. Das Donnern wirkt wie ein rhythmischer Begleiter, mit dem Tief Bodo die Einwohner vom sonst so friedlichen Niederzimmern im Schach halten will. Seit sieben Tagen herrscht der Ausnahmezustand. Die Schweine der örtlichen Mastanlage laufen quiekend durch die Gegend und wünschen sich den Vorrat, den meine Frau Carla und ich für Krisenzeiten angelegt haben.
Dieses Szenario spielt sich gerade in unseren Köpfen ab, denn wir proben den Notfall. Getreu der Lebensmittelliste des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (siehe Infokasten) haben wir uns für den Ernstfall eingedeckt. 189,10 Euro haben wir dafür bei einem großen Supermarkt der Kassiererin in die Hand gedrückt. Für 14 Tage soll der Vorrat reichen. Zur Halbzeit unseres Selbstversuchs sieht der noch gut gefüllt aus, doch einige Zutaten wie die Bockwurst aus dem Glas sind bereits verkostet und werden schmerzlich vermisst. Andere, wie die Öl-Sardinen, haben mich an die Grenze meiner kulinarischen Weltoffenheit gebracht.
Natürlich kann man mit diesem Notvorrat problemlos 14 Tage überstehen. „Überleben in der Krise“bezieht sich weniger auf das tatsächliche körperliche Überstehen einer Phase des Ausnahmezustands, der Versuch zeigt vielmehr die Gewöhnung an schier grenzenlose Möglichkeiten unserer Konsumgesellschaft. Auch wenn ich jeden Samstag einen Wocheneinkauf mache, kann ich immer noch schwups in den Supermarkt und mir das kaufen, was ich will. Und wenn ich gar keine Lust habe mich zu bewegen, habe ich selbst in Niederzimmern die Auswahl zwischen zwei Lieferdiensten, wobei der eine mit einem Mindestbestellwert von 35 Euro andere Probleme aufwirft.
In unserem Experiment muss ich das essen, was da ist, auch wenn ich dazu keine Lust habe. Ich glaube, es ist noch ein wenig schwieriger, mit dieser Einschränkung zu leben, weil ich Bei durchschnittlicher täglicher Energiezufuhr von 2200 Kilokalorien empfiehlt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Getreideprodukte, Brot und Kartoffeln; 9,8 kg: Vollkornbrot: 1 kg Zwieback: 800 Gramm Knäckebrot: 2 kg
Nudeln, roh: 1 kg/ 200 g Reis, roh: 500 g/ 400 g Getreideflocken: 1,5 kg/
1,2 kg
Kartoffeln, roh: Gemüse, Hackfrüchte; 11,2 kg; je das Abtropfgewicht: Bohnen in Dosen:
700 g
Erbsen/Möhren Dose:
1,8 kg
Rotkohl in Dosen/Gläsern: 1,4 kg
Sauerkraut in Dosen: 1,4 kg Spargel in Gläsern: 800 g Mais in Dosen: 800 g
Pilze in Dosen: 100 g weiß, dass ich theoretisch alles haben könnte, denn Tief Bodo ist ja nur in meinem Kopf.
Wenn ich eine Erkenntnis aus den ersten sieben Tagen ziehen Saure Gurken im Glas: 300 g
Rote Bete im Glas:
600 g
Zwiebeln, frisch: Obst; 7,2 kg:
Kirschen im Glas:
1,2 kg
Birnen in Dosen:
400 g
Aprikosen in Dosen:
250 g
Mandarinen in Dosen: 700 g
Ananas in Dosen: 700 g Rosinen: 300 g Haselnusskerne:
200 g
Trockenpflaumen: 500 g Frischobst 2 kg, roh: Apfel (2), Birne (1), Banane, Orange
Getränke; 56 Liter :
56 l/ 26 l
0,4 l/ 0,3 l
500 g/ 350 g soll, ist es die Einsicht, von den überwältigen Möglichkeiten unserer Konsumgesellschaft abhängig zu sein. Ich denke an die Kriegsjahre und die Mangelwirt- Tee schwarz, trocken: 250 g
Milch, Milchprodukte; 7,4 kg:
H-Milch, 3,5% Fett: 4l Hartkäse: 1,4 kg/900 g
Fisch, Fleisch, Eier; 4,2 kg: Thunfisch in Dosen:
150 g
Ölsardinen in Dosen: 200 g Heringsfilet Konserve:
200 g
Corned Beef in Dosen:
150 g Bockwürstchen im Glas/ Dosen: 600 g Kalbsleberwurst im Glas/ Dosen: 200 g Dauerwurst 100 g
8 frische Eier, Gewichtsklasse M
Fette, Öle; 1 kg:
Streichfett, Butter, Margarine 450 g
Öl (z.B. Maiskeim,Sonnenblumen): 0,3 l schaft in der DDR. Ich habe diese Zeit allerdings nicht miterlebt, und die Tage, an denen ich noch dem Speiseplan meiner Eltern unterworfen war, liegen auch schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Selbst bei der einen oder anderen Diät, die sich als zwecklos herausstellte, hatte ich stets die Wahl.
Jetzt ist es eine kleine Variation aus Konserven und Gläsern, die meine Kreativität fordert und schnell überfordert. So habe ich mir Hilfe gesucht. Eine Sterneköchin schien mir dabei eine sinnvolle Anlaufstation.
Maria Groß hat sich im Erfurter Kaisersaal einen der berühmten Michelin Sterne erkocht, jetzt führt sie ihren eigenen Laden, die „Bachstelze“, die sie liebevoll ihre Kneipe nennt. Sie hat das Erfurter Traditionshaus mit der Kreativität, mit der sie sich den Stern erkochte, zu ihrem gemacht. Diesen Ideenreichtum brauchte es auch, um aus den Lebensmitteln der „Liste“Leckereien zu zaubern. Sauerkraut mit Kartoffeln und angebratenen Salamistückchen war mein persönliches Highlight. Maria hat aus dem tristen Dosenfutter reichlich kleine, aber feine Gerichte gekocht, die sie in einem Video auf unserer Internetseite erklärt.
Es ist natürlich skurril, mit einem Notfallmobil während einer gedachten Krise aus den Tiefen des Weimarer Landes ins weit entfernte Erfurt-Bischleben zu fahren, um sich von einer Spitzenköchin verzaubern zu lassen. Allerdings erscheint es mir auch als sonderbar, wie viele Menschen sich damit beschäftigen, für einen Fall vorzusorgen, den es seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat.
Da ist das Bundesministerium des Inneren, das sich mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nicht ganz einig ist, ob die Bürger für 10 oder 14 Tage vorsorgen sollten. Dann das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dessen Bundesanstalt und das Max-Rubner-Institut, die alle nicht so recht wissen, wo diese ominöse Liste denn eigentlich herkommt, außer dass sie sie gemeinsam im Jahr 2013 überarbeitet haben, um den Liter-Karton Frischei aus der Ration zu streichen, „denn erst mal offen, verdirbt er schnell“, so die stellvertretende Leiterin des Max-Rubner-Instituts, Cornelie Pfau.
Doch verstehe ich, wenn mein Kollege seit der Atomkatastrophe in Fukuschima stets für einen Notvorrat sorgt, und Tschernobyl ist auch noch vielen in Erinnerung. Ich weiß noch nicht, was ich von all dem halten soll. Die nächsten sieben Tage werden mir hoffentlich Erleuchtung bringen.