Abschiedsvorstellungen
Seine Eisenacher Ära beendet Meiningens Schauspiel furios mit Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“
Eisenach. Niemand zählt die Nächte, in denen Martha und George, ein Ehepaar seit 23 Jahren, ihre bitterbösen Spiele spielten vor Gästen, die ihr Publikum waren. Sie führten ihren Rosenkrieg variantenreich auf sowie sich vor in Szenen der Verachtung und Enttäuschung. Hektoliterweise konservierten Whiskey, Brandy, Gin den Status quo ihrer Hassliebe.
So wird es auch diesmal sein. Und doch wird es anders sein. Was noch niemand weiß, als das Duell erneut beginnt: Einer ewigen Nacht lange Reise in den Tag rüstet sich zu ihrer Schlussetappe. Martha und George geben eine Abschiedsvorstellung.
Gezählt hat wohl auch niemand die Abende, an denen das Meininger Schauspiel in Eisenach auftrat, nachdem die Stadt ihre Theaterehe mit Rudolstadt 2003 aufkündigte. Nun hat es seine letzte Eisenacher Premiere hinter sich gebracht, nach dem Sommer übernimmt: Rudolstadt.
Die groteske Ehehölle, mit der USDramatiker Edward Albee (1928– 2016) dem Theater vor 55 Jahren einen modernen Bühnenklassiker bescherte, wartet auf der Schlussetappe: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“heißt’s bei sechs Abschiedsvorstellungen. Damit können sich die Meininger mehr als nur sehen lassen, auch wenn nicht übermäßig viele Eisenacher diese Premiere sehen wollten (was traurige Tradition ist).
Zu besichtigen ist ein furioses, präzises, auch ideenreiches Spiel mit Lebenslügen; jahrelang mit Mühe aufrechterhalten, fallen sie binnen Stunden zusammen. „Ich habe mir mein Leben anders vorgestellt“, presst Ulrike Walther als Martha heraus. Es sind Imaginationen, die innere Leere kaum zu füllen vermögen. Bleiben viele Drinks auf viel Eis: „Dann schütten wir die gefrorenen Tränen in unsere durstigen Seelen.“
Peter Bernhardt unterlegt seine Inszenierung mit dem Gefühl allgemeinen Mangels an Liebe und Anerkennung in jungen Jahren; Partnerschaft und Karriere sollen’s kompensieren. Die vier Menschen, die hier aufeinandertreffen, haben ein recht unterschiedliches, jedenfalls aber gestörtes Verhältnis zu dem, was die Psychotherapie inneres Kind nennt.
Derweil erfanden Martha und George in einem Spiel, das bislang ohne Publikum stattfand, ein äußerliches, das sie nie bekommen konnten. Auf dieser Leerstelle fußt die Beziehung bühnenbildlich: Monika Maria Cleres macht unterm Wohnzimmerpodest eine Kinderzimmerunterwelt hinter Glas sichtbar. Der „Sohn“soll jetzt volljährig werden. Doch George wird ihn sterben lassen für die Chance auf eine erwachsene Ehe.
Auch Nick und Honey, die jungen Gäste, verbindet nichts als ein Kind, das ausblieb: Ihre Scheinschwangerschaft zwang ihn zur Hochzeit.
Bernhardt inszeniert, vor akademischem Hintergrund, die ÜberKreuz-Begegnung: Schwäche, die man für Stärke hält – und umgekehrt. Ulrike Walther erlaubt Martha exaltierte und auftrumpfende Auftritte, nennt den Gatten und Geschichtsdozenten Versager, labt sich an Nick, der ist, wie sie George gern hätte. Der arrogante Biologieprofessor, ein Karrierist, besteigt die Frau des Hauses (und Tochter des Rektors), die ausgestellte Potenz versagt aber unter Alkohol. Beider Konzept der Stärke, mit der sie etwas darstellen wollen, wirkt immer schwächer gegenüber George und Honey, die einfach sein wollen und so an Kraft gewinnen.
Diese Konstellation gelingt vor allem, weil Bernhardt das vermeintliche Dummchen Honey aufwertet und Carla Witte ihr selten gesehene Konturen verleiht. Nervös kichernd, unsicher und ungelenk tritt sie auf, sie verträgt keinen Alkohol, den sie gleichwohl in sich kippt, um sich auszukotzen und immer deutlicher ein mehrfach traumatisiertes Mädchen offen zu legen. Sie tut, was wohl ihr Leben bestimmt: Sie verbiegt sich bis zur Unkenntlichkeit; diese Nacht aber verhilft ihr zum heilsamen Schock und lässt sie mündig werden.
Hans-Joachim Rodewald und Ulri- ke Walther befinden sich gleichsam auf Augenhöhe in ihren permanenten Stimmungsumschwüngen: Sie treffen einander zynisch und sarkastisch (sie mit Penetranz, er mit Beiläufigkeit und gespielter Zerstreutheit), schütten aber die verunglückte Liebe zueinander dabei nie zu.
Yannick Fischer legt Nick geschickt zwischen Schnösel und Flegel an, ein paar weichere Untertönen täten der Figur allerdings gut.
Da eine Reihe von Zuschauern dieses kraftvolle Schauspielertheater bereits zur Pause verließ, fragen wir uns unterdessen, wozu Eisenach überhaupt Theater brauchen kann.
Über-Kreuz-Begegnungen von Stärke und Schwäche