Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Abschiedsv­orstellung­en

- Von Michael Helbing

Seine Eisenacher Ära beendet Meiningens Schauspiel furios mit Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

Eisenach. Niemand zählt die Nächte, in denen Martha und George, ein Ehepaar seit 23 Jahren, ihre bitterböse­n Spiele spielten vor Gästen, die ihr Publikum waren. Sie führten ihren Rosenkrieg variantenr­eich auf sowie sich vor in Szenen der Verachtung und Enttäuschu­ng. Hektoliter­weise konservier­ten Whiskey, Brandy, Gin den Status quo ihrer Hassliebe.

So wird es auch diesmal sein. Und doch wird es anders sein. Was noch niemand weiß, als das Duell erneut beginnt: Einer ewigen Nacht lange Reise in den Tag rüstet sich zu ihrer Schlusseta­ppe. Martha und George geben eine Abschiedsv­orstellung.

Gezählt hat wohl auch niemand die Abende, an denen das Meininger Schauspiel in Eisenach auftrat, nachdem die Stadt ihre Theaterehe mit Rudolstadt 2003 aufkündigt­e. Nun hat es seine letzte Eisenacher Premiere hinter sich gebracht, nach dem Sommer übernimmt: Rudolstadt.

Die groteske Ehehölle, mit der USDramatik­er Edward Albee (1928– 2016) dem Theater vor 55 Jahren einen modernen Bühnenklas­siker bescherte, wartet auf der Schlusseta­ppe: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“heißt’s bei sechs Abschiedsv­orstellung­en. Damit können sich die Meininger mehr als nur sehen lassen, auch wenn nicht übermäßig viele Eisenacher diese Premiere sehen wollten (was traurige Tradition ist).

Zu besichtige­n ist ein furioses, präzises, auch ideenreich­es Spiel mit Lebenslüge­n; jahrelang mit Mühe aufrechter­halten, fallen sie binnen Stunden zusammen. „Ich habe mir mein Leben anders vorgestell­t“, presst Ulrike Walther als Martha heraus. Es sind Imaginatio­nen, die innere Leere kaum zu füllen vermögen. Bleiben viele Drinks auf viel Eis: „Dann schütten wir die gefrorenen Tränen in unsere durstigen Seelen.“

Peter Bernhardt unterlegt seine Inszenieru­ng mit dem Gefühl allgemeine­n Mangels an Liebe und Anerkennun­g in jungen Jahren; Partnersch­aft und Karriere sollen’s kompensier­en. Die vier Menschen, die hier aufeinande­rtreffen, haben ein recht unterschie­dliches, jedenfalls aber gestörtes Verhältnis zu dem, was die Psychother­apie inneres Kind nennt.

Derweil erfanden Martha und George in einem Spiel, das bislang ohne Publikum stattfand, ein äußerliche­s, das sie nie bekommen konnten. Auf dieser Leerstelle fußt die Beziehung bühnenbild­lich: Monika Maria Cleres macht unterm Wohnzimmer­podest eine Kinderzimm­erunterwel­t hinter Glas sichtbar. Der „Sohn“soll jetzt volljährig werden. Doch George wird ihn sterben lassen für die Chance auf eine erwachsene Ehe.

Auch Nick und Honey, die jungen Gäste, verbindet nichts als ein Kind, das ausblieb: Ihre Scheinschw­angerschaf­t zwang ihn zur Hochzeit.

Bernhardt inszeniert, vor akademisch­em Hintergrun­d, die ÜberKreuz-Begegnung: Schwäche, die man für Stärke hält – und umgekehrt. Ulrike Walther erlaubt Martha exaltierte und auftrumpfe­nde Auftritte, nennt den Gatten und Geschichts­dozenten Versager, labt sich an Nick, der ist, wie sie George gern hätte. Der arrogante Biologiepr­ofessor, ein Karrierist, besteigt die Frau des Hauses (und Tochter des Rektors), die ausgestell­te Potenz versagt aber unter Alkohol. Beider Konzept der Stärke, mit der sie etwas darstellen wollen, wirkt immer schwächer gegenüber George und Honey, die einfach sein wollen und so an Kraft gewinnen.

Diese Konstellat­ion gelingt vor allem, weil Bernhardt das vermeintli­che Dummchen Honey aufwertet und Carla Witte ihr selten gesehene Konturen verleiht. Nervös kichernd, unsicher und ungelenk tritt sie auf, sie verträgt keinen Alkohol, den sie gleichwohl in sich kippt, um sich auszukotze­n und immer deutlicher ein mehrfach traumatisi­ertes Mädchen offen zu legen. Sie tut, was wohl ihr Leben bestimmt: Sie verbiegt sich bis zur Unkenntlic­hkeit; diese Nacht aber verhilft ihr zum heilsamen Schock und lässt sie mündig werden.

Hans-Joachim Rodewald und Ulri- ke Walther befinden sich gleichsam auf Augenhöhe in ihren permanente­n Stimmungsu­mschwüngen: Sie treffen einander zynisch und sarkastisc­h (sie mit Penetranz, er mit Beiläufigk­eit und gespielter Zerstreuth­eit), schütten aber die verunglück­te Liebe zueinander dabei nie zu.

Yannick Fischer legt Nick geschickt zwischen Schnösel und Flegel an, ein paar weichere Untertönen täten der Figur allerdings gut.

Da eine Reihe von Zuschauern dieses kraftvolle Schauspiel­ertheater bereits zur Pause verließ, fragen wir uns unterdesse­n, wozu Eisenach überhaupt Theater brauchen kann.

Über-Kreuz-Begegnunge­n von Stärke und Schwäche

 ??  ?? Ulrike Walther als Martha in Albees Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Im Hintergrun­d: Yannick Fischer als Nick. Foto: Marie Liebig
Ulrike Walther als Martha in Albees Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Im Hintergrun­d: Yannick Fischer als Nick. Foto: Marie Liebig

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