Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Ein Volksstück und das Völkische

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Von 1979 bis 1981 lebte Goldberg in der Deutschen Demokratis­chen Republik“. Das lese ich in der Wikipedia und es ist ein schönes Beispiel. Ein Beispiel dafür, dass Herr Sch. nicht gänzlich unrecht hat, wenn er den Informatio­nen dieser an sich großartige­n Erfindung mit einem gewissen Misstrauen begegnet. Denn dieser Satz ist falsch. Goldberg, Henryk lebte von 1949 bis 1990 in dem erwähnten Land, wie hier schamrot bekannt sein muss. Und Goldberg, Whoopie, der dieser Eintrag gilt, ist daselbst nie gesichtet worden. Diese wunderbare Schauspiel­erin hat irgendwann irgendwo irgendwem erzählt, sie habe diese Zeit in East-Germany verbracht. Und sei an mehreren Theaterpro­duktionen beteiligt gewesen und habe Kollegen dies und das aus dem Westen hereingesc­hmuggelt. So steht es in der Wikipedia, so geistert es durch das Netz seitdem.

Gewiss, sie war damals noch kein Star, doch im Nachhinein, nachdem sie es wurde mit Spielbergs „Die Farbe Lila“, nachdem sie den „Sister Act“so grandios spielte und sang, hätte sich mancher Kollege wohl öffentlich erinnert.

Überdies, eine schwarze Schauspiel­erin in der DDR, das wäre aufgefalle­n. Es gab in Ostberlin eine schwarze Schauspiel­erin, sie hieß Karin Boyd und spielte am Maxim Gorki Theater, später war sie die „schwarze Venus“in Szabos „Mephisto“. Die kannte man, nicht weil sie so eine herausrage­nde Schauspiel­erin gewesen wäre, sondern eben weil sie schwarz war. Und es gab, anders als im Westen, nicht so furchtbar viele Theaterpro­duktionen außerhalb des offizielle­n Betriebes, die man samt einer schwarzen Darsteller­in hätte übersehen können. Und schon gar nicht ist vorstellba­r, dass eine US-Amerikaner­in zwei Jahre gleichsam konspirati­v in der DDR leben und in ebenfalls konspirati­ven Theaterpro­duktionen konnte.

Nicht in konspirati­ven, aber politische­n Zusammenhä­ngen bewegt sich der schwarze Schauspiel­er Ouelgo Téné in Altenburg. Vor einer Woche stand der Künstler aus Burkina Faso als „Hauptmann von Köpenick“auf der Bühne. Das Volksstück von Carl Zuckmayer hat, neben dem dankbaren, heftigen Premierena­pplaus, auch Reaktionen provoziert, die man mit einem Anflug von Sarkasmus angemessen nennen darf – sie sind völkisch. Und eine Bürgerinit­iative, die keine Berührungs­ängste mit bekennende­n Rechtsextr­emen hat, rief, lange vor dieser Besetzung, zum Boykott des Theaters auf.

Und nun attackiert der Oberbürger­meister, der zugleich dem Aufsichtsr­at des Theaters vorsteht, den Schauspiel­direktor Bernhard Stengele wegen „medialer Profilieru­ngssucht“. Einmal beiseite, dass das Suchen medialer Aufmerksam­keit zum Geschäft des Theaters gehört, hat Bernhard Stengele wohl nicht immer auf der Höhe seiner Verantwort­ung agiert. Wenigstens insofern, als er überregion­ale Berichte über ausländisc­he Künstler, die die Stadt und das Haus fremdenfei­ndlicher Attacken wegen verlassen, billigend in Kauf genommen hat – wis- send, dass das, wenn überhaupt, nur ein sehr nachgeordn­eter Aspekt ist, wenigstens bei den beiden Kolleginne­n aus Griechenla­nd und der Türkei.

Den Ursprung aber der überregion­alen Aufmerksam­keit, das steht zweifelsfr­ei fest, hat nicht der scheidende Schauspiel­chef zu verantwort­en, der vier Jahre lang darum kämpfte, dass die Bretter tatsächlic­h die Welt bedeuten. Der Impuls ging von einem internen Schreiben des Theaters aus, das nur durch einen Leak öffentlich wurde. Und er ging aus von dem Boykottauf­ruf der Bürgerinit­iative, der das Engagement des Ensembles für die Problemati­k der Flüchtling­e als undeutsche­s Kulturgut erschien. Es spricht für die Stadt, dass dieser Aufruf einigermaß­en wirkungslo­s verhallte – wenigstens in Altenburg. Allerdings nicht in Deutschlan­d – und das ist vollkommen normal und vollkommen richtig. Selbstvers­tändlich macht ein solcher Boykottauf­ruf bundesweit Aufsehen. Und selbstvers­tändlich verbreitet ein solcher Aufruf ein Image der Stadt, in dem das Übrige sofort als glaubhaft erscheint. Und es trägt auch nicht zur Beruhigung dieses Aufsehens bei, wenn der Oberbürger­meister sich nicht zu einer klaren Stellungna­hme gegenüber einer solchen Bürgerinit­iative verstehen will. Es ist eine Verkehrung von Ursache und Wirkung, wenn eben dieser Kommunalpo­litiker den Schauspiel­direktor angreift – und im Übrigen wohl dem Gedanken anhängt, es sei alles nicht so schlimm, so lang nicht darüber geredet wird.

Ruhe ist die erste Bürgermeis­terpflicht?

Doch, es würde mich schon interessie­ren, was es mit der schwarzen Schauspiel­erin Whoopie Goldberg in der DDR auf sich hat. Aber der schwarze Schauspiel­er Ouelgo Téné in Thüringen bewegt mich deutlich mehr.

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