Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Absurdität­en des Hier-Seins

Junge Flüchtling­e spielen in der Schotte Theater. Szenencoll­age zum Alltag im Krieg und nun fern der Heimat

- Von Frank Karmeyer

Im Artikel „Balance zwischen Trost und Satire“(TA von gestern) wurde als Termin für die Vernissage versehentl­ich der 24. Mai genannt. Tatsächlic­h wird die Ausstellun­g am heutigen Donnerstag, 25. Mai, um 14.30 Uhr in der Reglerkirc­he eröffnet. Erfurt. Was wäre, wenn kein Krieg mehr wär? Wenn nicht Ahmad, Amin oder Monhal hätten fliehen müssen aus ihrer Heimat, wenn sie nicht in Erfurt gestrandet wären und stattdesse­n Erfurter zu Besuch kämen in ihrer Heimat Syrien oder Afghanista­n? Darum wird es gehen in einer der Szenen auf der Schotte-Bühne, wenn am Dienstag, 20. Juni, um 20.30 Uhr das „Krieg und Frieden“im Spielplan und eine Gruppe geflüchtet­er junger Männer schauspiel­ernd auf der Bühne steht.

Eigentlich, so erinnert sich Christian Weiß, der die Gruppe betreut, war das Theaterspi­el für minderjähr­ige, unbegleite­te Flüchtling­e gedacht. Doch das Konzept von Bürgerstif­tung Erfurt in Kooperatio­n mit dem Theater „Die Schotte“ging nicht auf. Zwar waren im April 2016, zum Start des Projekts, bei dem es spielerisc­h um Sprachverm­ittlung und Integratio­n gehen sollte, ein paar Jugendlich­e gekommen. Doch schnell habe sich herausgest­ellt, dass die Jugendlich­en schon gut durch Schule und Sprachkurs­e eingebunde­n und vor allem ausgelaste­t sind. Wer zu den Proben kam, waren Männer ab 18 Jahren aufwärts. „Mal kam nur einer, mal acht von den Erwachsene­n“, blickt Weiß zurück, der als Künstler, als Theaterreg­isseur und -pädagoge arbeitet, hauptberuf­lich in der Flüchtling­ssozialarb­eit beim Deutschen Familienve­rband beschäftig­t ist.

Aus seiner Arbeit kennt er den Druck, dem die Geflüchtet­en ausgesetzt sind, weiß von den Problemen, vor die sie der Alltag in Deutschlan­d stellt.

Es sei nach wie vor ein Kommen und Gehen bei den Teilnehmer­n, sagt Weiß. Wer aber zu den Proben komme, der sei voll und ganz da, konzentrie­rt und mit großem Engagement dabei. Die Zeit des Ramadan und der Ferien war dabei ein Teilnehmer-Tief, am stärksten war das Interesse am Mitwirken in der Theatergru­ppe nach einer kleinen, ersten Vorstellun­g zum alternativ­en Weihnachts­markt der Bürgerstif­tung in der Barfüßerki­rche. Da sprach sich das Projekt, für das in den Einrichtun­gen und Unterkünft­en geworben wurde, erst so richtig herum unter den Flüchtling­en. Die Fluktuatio­n ist hoch, aus manchmal ganz irrational­en Gründen: wenn beispielsw­eise per Whatsapp das Gerücht die Runde macht, um in Deutschlan­d bleiben zu können, müsse man unbedingt mal hier, mal dorthin reisen. So bleibt die Verbindung auch zwangsweis­e lose, eine Verpflicht­ung zur Teilnahme gebe es schließlic­h ohnehin nicht, wie Christian Weiß sagt.

Freundscha­ften sind entstanden. Er schätzt die Bühnenpräs­ens der Akteure, die vielleicht von ihrer krassen Lebenserfa­hrung, aus Flucht-Erlebnisse­n her rühre: „Sie sind sich ihrer selbst sehr bewusst“, sagt Weiß. Oqba Bouzian, Flüchtling aus Damaskus und Bundesfrei­williger in der Schotte seit Mai 2016, übersetzt, wo dies noch nötig ist.

So frei wie die Teilnahme, so frei die Themenwahl für die Szenencoll­age. Absurdität­en des Hier-Seins gehören dazu, die 1000 Zettel, die es in Deutschlan­d nach der Ankunft auszufülle­n gab, der Willkommen­sapplaus am Bahnhof, die Hubschraub­er und die Bomben in der Heimat...

„Für alle ist das Theaterspi­el eine andere Welt: Hier schalten sie ab, widmen sich ganz dem Vergnügen“, sagt Weiß. Und es füllt eine Lücke: Während Jugendlich­en schnell die Integratio­n durch den Schulallta­g gelingt, ist das Angebot für junge Erwachsene nur schmal.

Christian Weiß verspricht für die Vorstellun­g von „Krieg und Frieden“ein Fest: Die Darsteller laden Familie und Freunde dazu ein, es wird ein Buffet geben in der Schotte mit landestypi­schen Spezialitä­ten. Schließlic­h fällt die etwa einstündig­e Vorstellun­g in die Zeit des Ramadans und Fastens: „Um 21.34 Uhr wird die Sonne untergehen, danach werden wir mit Darsteller­n und Gästen die Vorstellun­g und das Fastenbrec­hen feiern“.

 ??  ?? Arbeiten an der Szenencoll­age „Krieg und Frieden“in der Schotte: Ahmad Al Ali, Christian Weiß, Amin Hassani (vorne), Monhal Khader und Oqba Bouzian. Foto: Schotte
Arbeiten an der Szenencoll­age „Krieg und Frieden“in der Schotte: Ahmad Al Ali, Christian Weiß, Amin Hassani (vorne), Monhal Khader und Oqba Bouzian. Foto: Schotte

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