Proteste gegen Umbau der Justiz
Polen treibt den Umbau des Rechtswesens voran: Das könnte bald Auslieferungen aus Deutschland erschweren
Warschau/Berlin. Es sind Sommerferien in Polen, trotzdem haben sich rund 50 000 Menschen vor dem Präsidentenpalast in Warschau versammelt: „Freie Gerichte“, ruft die Menge und immer wieder „Veto, Veto“– eine verzweifelte und wohl vergebliche Aufforderung an Polens Präsident Andrzej Duda, sein Veto gegen die vom Parlament beschlossene Justizreform einzulegen.
Im Sejm und im Senat hatte die nationalkonservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bereits alle Register gezogen, um die umstrittene Reform in höchster Eile durchzusetzen – und damit einen weiteren Schritt zur Aushöhlung des Rechtsstaats zu machen. Der Umbau der Justiz löst inzwischen nicht nur europaweit Besorgnis aus, selbst von der US-Regierung kamen am Freitag kritische Töne.
Der Angriff auf die Unabhängigkeit der Richter hat womöglich bald sehr praktische Folgen, wie der Deutsche Richterbund schon warnt: Bestimmte Auslieferungsersuchen aus Polen könnten Gerichte in Deutschland und anderswo bald ablehnen, weil der Verdacht besteht, dass im Nachbarland kein faires, sondern ein politisches Verfahren zu erwarten wäre. Die Reform der Justiz ist weit fortgeschritten: Am Donnerstag hatte die PiS das Reformgesetz zum Obersten Gericht im Parlament in Rekordzeit durchgepeitscht, am Freitag debattierte der Senat über die Pläne – weil die PiS auch dort die Mehrheit hat, galt eine Zustimmung als sicher. Dann muss nur noch Präsident Duda unterschreiben.
Nicht nur in Warschau gehen Bürger auf die Straße, Opposition und Bürgerinitiativen haben auch in Krakau oder Posen zu Demonstrationen aufgerufen. Sie warnen, die Pläne der Regierung bedrohten nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz – sondern könnten Polen am Ende gar aus der EU drängen.
Die jüngste Reform gibt der Regierung freie Hand, Richter des Obersten Gerichtes in den Ruhestand zu schicken – der Justizminister kann entscheiden, wer bleiben darf, bei Neubesetzungen redet die PiS-Mehrheit im Parlament mit. Das Oberste Gericht muss unter anderem die Gültigkeit von Wahlen prüfen. Die politisch handverlesenen Richter könnten also, argwöhnen Kritiker, aus Sicht der Regierung missliebige Wahlergebnisse für ungültig erklären. Zudem soll eine neue Disziplinarkammer für Staatsanwälte, Richter und andere Justizbedienstete eingerichtet werden – die Aufsicht wird kontrolliert vom Justizminister.
Bereits zuvor hatte das Parlament die Neubesetzung des Nationalen Justizrats durch das Parlament beschlossen; der Rat soll eigentlich die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wahren. Längst aufgehoben ist auch die Trennung von Generalstaatsanwaltschaft und Justizminister, Leitungspositionen der Staatsanwaltschaften wurden neu besetzt.
Die Reformen sind nur ein Teil des Versuchs der Regierungspartei PiS, den Staat zügig umzubauen und so ihre Macht dauerhaft zu festigen; dazu gehört der Zugriff auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wo viele Journalisten entlassen wurden.
Auch vor diesem Hintergrund wird die Aushöhlung des Rechtsstaates in Polen jetzt zum Thema in der EU: Die EU-Kommission sieht in den Plänen Warschaus einen Verstoß gegen die gemeinsamen Grundprinzipien der Union und gegen die EUVerträge. „Alle Maßnahmen zusammen würden die Unabhängigkeit der Justiz beseitigen und die Rechtsprechung unter Kontrolle der Regierung stellen“, hat Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans erklärt.
Die Kommission als Hüterin der Verträge will am Mittwoch über ihr Vorgehen beraten. Brüssel droht ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages an – der sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“der im Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Staates vor. Doch weiß die Kommission, dass ihre Werkzeuge ziemlich stumpf sind. Schon 2016 hatte sie das „Rechtsstaatsverfahren“als Reaktion auf den antiliberalen Schwenk des PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski in Gang gesetzt. Jetzt müsste die nächste Stufe, die Drohung mit Stimmrechtsentzug, gezündet werden, doch Polen braucht wohl keine Angst haben: Einer solchen Sanktion müssten alle EU-Partner zustimmen – Kaczynskis Gesinnungsfreund Viktor Orbán hat aber schon klargemacht, dass er sein Veto einlegen wird.
Denkbar sind auch Vertragsverletzungsverfahren, wie sie die Kommission gegen Ungarn bereits eingeleitet hat. Doch die würden Jahre dauern, am Ende müsste ein EU-Gericht über Geldstrafen entscheiden. Empfindlicher treffen könnten Polen als größtem „Netto-Empfänger“von EU-Fördergeldern finanzielle Sanktionen. Doch bis 2020 sind die Fördergelder im laufenden Finanzplan festgelegt. Für die Zeit danach könnten Polen zwar monetäre Daumenschrauben angelegt werden, es gilt aber auch hier das Prinzip der Einstimmigkeit.
Polens Regierung sieht sich sowieso zu Unrecht kritisiert: Die Vorwürfe Brüssels seien „ungerechtfertigt“, sagt Ministerpräsidentin Beata Szydlo. Die Gerichte funktionierten schlecht, künftig sollten sie „effektiv und gerecht arbeiten“.
Zustimmung im Senat galt als sicher