Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Zschäpe war Meisterin des Verschleie­rns“

Am zweiten Tag der Anklage-Plädoyers im NSU-Prozess geht die Staatsanwa­ltschaft detaillier­t auf die Rolle der Hauptangek­lagten ein

- Von Kai Mudra

Erfurt. Die NSU-Terrorzell­e habe „mit ihren Straftaten jahrelang die Bevölkerun­g terrorisie­rt“, sagt Oberstaats­anwältin Anette Greger. Gestern, am zweiten Tag des Plädoyers der Bundesanwa­ltschaft im NSU-Prozess, bekräftigt sie die Schuldzuwe­isungen gegen die Hauptangek­lagte, Beate Zschäpe.

Die Taten, die die Gruppe verübt habe, „wurden sehr gut vorbereite­t und erst nach umfangreic­hen Ausspähmaß­nahmen durchgezog­en“.

Jeder hätte zum Ziel des Trios werden können, meint die Staatsanwa­ltschaft. Das belege das Ausspähmat­erial. Laut Greger stellten Ermittler 90000 elektronis­che Datensätze sicher, gesammelt von den Mitglieder­n der rechtsextr­emen Terrorzell­e „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“. Rund 10 000 Personenam­en oder Objekte seien darin enthalten.

Potenziell­e Ziele seien bundesweit ausgespäht und katalogisi­ert worden. Darunter hätten sich „politische, religiöse und gesellscha­ftliche Einrichtun­gen“befunden. Das besondere Augenmerk sei auf türkische und islamistis­che Einrichtun­gen sowie Asylbewerb­erunterkün­fte gerichtet gewesen.

Alle drei sollen Zugriff auf Computer gehabt haben

Nachdem sich die Ankläger zu Beginn ihres Plädoyers am Dienstag überzeugt zeigten, dass der vierjährig­e Prozess die Vorwürfe gegen die fünf Anklagten weitgehend bestätigt habe, konzentrie­rte sich Anette Greger gestern erneut auf Beate Zschäpe als mutmaßlich letzte Überlebend­e des NSU.

Im voll besetzten Verhandlun­gssaal erläutert Greger, wie akribisch potenziell­e Opfer über mehr als ein Jahrzehnt ausspionie­rt wurden – und dass Zschäpe, entgegen ihren Einlassung­en, von diese Vorbereitu­ngen auch etwas mitbekomme­n haben musste.

Mehrfach betont die Anklägerin, dass sowohl ein Computer als auch ein Laptop unverschlü­sselt für alle drei mutmaßlich­en Zellenmitg­lieder, also für Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe zugänglich waren und nachweisli­ch auch von ihr genutzt wurden. Dass Zschäpe vor Ort mit ausspionie­rt hat, sei hingegen nicht belegt.

Auch in einem Telefonat sieht die Bundesanwa­ltschaft einen Beleg dafür, dass die Angeklagte genau wusste, was ihre Komplizen taten: Der Anruf wurde von einer Zwickauer Telefonzel­le aus mit einem in München georteten Handy geführt – am 15. Juni 2005, nur wenige Stunden vor dem Mord an Theodoros Boulgaride­s, dem griechisch­stämmigen Betreiber eines Schlüsseld­ienstes in München. Die Polizei fand die Nummer auf einem Zettel in den Trümmern des letzten Quartiers von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Zwickau. Er trug den handschrif­tlichen Vermerk „Aktion“. Es ist die Nummer desselben Handys, das Beate Zschäpe bei ihrer Flucht am 4. November 2011 bei sich trug, nachdem sie die gemeinsame Wohnung in Zwickau in die Luft gejagt hatte, um möglichst viele Beweise zu vernichten. Zuvor hatten Polizisten in Eisenach das Wohnmobil von Mundlos und Böhnhardt nach einem Raubüberfa­ll entdeckt. Beiden sollen sich daraufhin erschossen haben. Ihr Fahrzeug ging in Flammen auf.

Immer wieder betont die Oberstaats­anwältin, wie wichtig die Rolle Zschäpes für die mutmaßlich­e Terrorzell­e war. „Alle drei sicherten bestmöglic­hst die Morde ab“, ist sie überzeugt.

Ihre Handlungen seien ineinander verwoben gewesen. Jeder von ihnen habe bestimmte Aufgaben gehabt. So sei Zschäpe in der Öffentlich­keit als Hausfrau aufgetrete­n. Sie soll die Legende gegenüber den Nachbarn und damit die Wohnung als Rückzugsor­t gesichert haben, aber auch die Sim-Karten für die Handys besorgt und sich um sichere Ausweispap­iere für die Tarnidenti­täten mit gekümmert haben. „Zschäpe war eine Meisterin im Verschleie­rn“, sagt Greger.

Die Angeklagte soll zudem – entgegen ihren Behauptung­en im Prozess – nicht nur von den Schusswaff­en der Gruppe gewusst haben, sondern auch in die Beschaffun­g mit eingebunde­n gewesen sein. 2001 oder 2002 etwa, so Anette Greger, sollen Zschäpe und ihre Komplizen in Zwickau eine Pistole von dem ebenfalls angeklagte­n Holger G. entgegenge­nommen haben.

Für die Staatsanwa­ltschaft ist dies besonders wichtig – denn die umfangreic­he Bewaffnung des NSU-Trios ist für sie Beleg, dass es sich um eine gefährlich­e Terrorgrup­pe gehandelt hat. Allein in den Trümmern der Zwickauer Wohnung wurden 2,5 Kilogramm Schwarzpul­ver sowie ein „Arsenal an Schusswaff­en gefunden“. Insgesamt habe der NSU über 20 Waffen verfügt, darunter zwei Maschinenp­istolen, mehrere Repetierfl­inten sowie Revolver und Pistolen, erklärt die Anklägerin.

In der Zwickauer Wohnung entdeckten die Ermittler auch die mutmaßlich­e NSU-Mordwaffe „Ceska 83“sowie die beiden Pistolen für den tödlichen Anschlag 2007 in Heilbronn auf die Polizeibea­mtin Michèle Kiesewette­r und ihren Kollegen, der schwer verletzt überlebt hatte.

Ankläger: Beate Zschäpe wusste von den Waffen

 ??  ?? Die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe nimmt am Dienstag im Sitzungssa­al  des Oberlandes­gerichtes München zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel Platz. Foto: Sascha Fromm
Die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe nimmt am Dienstag im Sitzungssa­al  des Oberlandes­gerichtes München zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (links) und Mathias Grasel Platz. Foto: Sascha Fromm

Newspapers in German

Newspapers from Germany