Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Ausgebucht bis Februar“

Während sich das Land über zunehmend mehr Geburten freut, werden händeringe­nd Hebammen gesucht

- Von Elena Rauch

Herzlichen Glückwunsc­h, Sie sind schwanger! Frauen, die in diesen Tagen die Botschaft erhalten, sollten neben allem anderen, was sie auslöst, vor allem Pragmatism­us aufbringen und schnell zum Telefon greifen. Sonst könnte es ihnen so gehen wie den vielen Schwangere­n, die bei der Hebamme Kirsten Klinzing anrufen und eine bedauernde Absage erhalten. „Nicht, weil ich nicht will, sondern weil ich es nicht schaffe.“Sie ist ausgebucht bis Anfang Februar.

Vorbereitu­ngskurse, Stillberat­ung, Hausbesuch­e, Rückbildun­gsgymnasti­k – Kirsten Klinzing betreut Frauen vor der Geburt und in den Wochen danach. Beraterin, Helferin, ein verlässlic­her Fels in den Stürmen der ersten Zeit, in denen ein Neugeboren­es den Alltag von Eltern durcheinan­derwirbelt. Hundert Fragen, hundert Unsicherhe­iten, vor allem junge Familien mit ihrem ersten Kind brauchen sie. Und gerade ihnen, so Kirsten Klinzings Erfahrung, ist nicht klar, wie knapp es bestellt ist um solche Hilfen. Sie lebt in Barchfeld, im Werratal, doch der Befund ist symptomati­sch für weite Teile des Landes, von Jena bis in den Thüringer Wald.

Es werden wieder mehr Kinder geboren. Die gestern veröffentl­ichten Zahlen bestätigen den hoffnungsv­ollen Trend. Grund zur Freude, doch ausgerechn­et mit dem Berufsstan­d, der mit dem Beginn des neuen Lebens verbunden ist, liegt seit Jahren vieles im Argen. Es gibt einfach zu wenige Hebammen.

Nicht nur für die Betreuung zu Hause, der Mangel hat längst auch die Kreißsäle erreicht. Bis zum Frühsommer vergangene­n Jahres hatte Kirsten Klinzing als Beleghebam­me in der Geburtssta­tion der Klinik von Schmalkald­en gearbeitet. Am Ende teilten sich dort vier Kolleginne­n die Dienste rund um die Uhr. Achtmal 24 Stunden pro Monat im Kreißsaal, dazu die Betreuung von Schwangere­n und Wöchnerinn­en zu Hause, da waren Wochenarbe­itszeiten von 80 Stunden keine Seltenheit. Die hohen Versicheru­ngssummen für Hebammen, die Geburtshil­fe anbieten, erlaubten auch kein kürzertret­en. Auch eine Hebamme muss von ihrem Verdienst leben können. Im Ergebnis waren die Kolleginne­n mit ihrer Kraft so am Ende, dass sie ihre Verträge kündigten.

Man habe, hatte die Klinikleit­ung damals mitgeteilt, alles versucht, um Ersatz zu finden. Stellenann­oncen wurden geschaltet, Hebammen angesproch­en, sogar ein Headhunter wurde eingeschal­tet. Alles ergebnislo­s. Zum Juli vergangene­n Jahres musste die Entbindung­sstation geschlosse­n werden.

Dass in anderen Kliniken ähnliche Szenarien drohen, ist in der Landeskran­kenhausges­ellschaft nicht bekannt, so Vizegeschä­ftsführer Norbert Uhlenkamp. Doch dass auch andere Häuser mit dem Mangel zu kämpfen haben, wisse man. Das weiß natürlich auch der Thüringer Hebammenve­rband. Von den 44 Krankenhäu­sern in Thüringen sind 24 mit einer Entbindung­sstation ausgestatt­et. In allen Kreißsälen mit einem Schichtbet­rieb wird gesucht, sagt die zweite Landesvors­itzende Nicola Hauswaldt.

Zum Beispiel in Sondershau­sen, wo es zu Beginn des Jahres so knapp war, dass man zwei gelernte Hebammen, die inzwischen in anderen Bereichen angestellt waren, in den Kreißsaal zurückgewa­nn. Mit den sechs freien Fachfrauen, die als Beleghebam­men dort arbeiten, sei seit April zumindest ein Dienstplan händelbar, so Oberarzt Stefan Meschkat. Aber ein oder zwei Kolleginne­n mehr wären besser, damit mehr Entspannun­g in den Kreißsaal kommt. Die eins zu eins Betreuung einer Gebärenden aber sei ein Glücksfall.

Nicola Hauswaldt sagt es deutlicher: Der Personalsc­hlüssel in den Kliniken stimmt überhaupt nicht. „Wenn Frauen zur Geburt in die Klinik kommen

Auch in den Kreißsälen fehlt es an Hebammen

Newspapers in German

Newspapers from Germany