Geburtenanstieg
glauben sie, von einer Hebamme durch die Geburt begleitet zu werden. Aber das ist weder in der Personalplanung so vorgesehen und stimmt in der Realität auch nicht.“Zum Teil betreuen Kolleginnen drei, manchmal fünf Frauen gleichzeitig, sagt sie.
Das geht meilenweit an den Bedürfnissen einer Frau vorbei, die in Wehen liegt, schimpft Anja Lück aus Jena. Sie hat ihr erstes Kind in einem Geburtshaus
und das zweite zu Hause zur Welt gebracht und es anders erlebt: Mit einer Hebamme an der Seite, die dich auffängt, die immer da ist, die dir Sicherheit gibt, auch wenn es gerade sehr schwer ist. Das ist es doch, sagt sie, was sich jede Frau wünscht und was ihr eigentlich auch zusteht. Weil die Geburt ein so einschneidendes und prägendes Ereignis im Leben ist. Der Grund, weshalb sie sich im Verein „Mother-Hood“engagiert. Ein bundesweiter Verein, der auch die Bedürfnisse der Frauen bei der Geburt stärker in den Fokus rücken will. Es muss eine Eins-zu eins-Betreuung geben und für jede Frau die Möglichkeit einer Wahl, wo sie entbinden möchte, sagt sie.
Dabei ist die Zahl der Hebammen in Thüringen gestiegen. 528 leisten Geburtshilfe und oder betreuen Schwangere und Wöchnerinnen. So viele wie nie, gerechnet Nicola Hauswaldt, Hebamme
auf die Zahl potenzieller junger Mütter. Wo genau liegt das Problem? Nicola Hauswaldt nennt drei Gründe, die freilich alle ineinander greifen: Hohe Arbeitsbelastung mit einer Rufbereitschaft rund um die Uhr und an den Wochenenden, schlechte Bezahlung und das leidige Versicherungsproblem. Dies alles führe dazu, dass viele Kolleginnen in Teilzeit arbeiten. oder in andere Berufe abwandern und zum Beispiel als Heilpraktikerinnen oder Krankenschwestern arbeiten. Wer heute noch als Hebamme Geburtshilfe anbietet, sagt sie, werde zu großen Teilen allein vom Idealismus getragen. Auf über 7500 Euro ist die jährliche Versicherungssumme angewachsen, die freiberufliche Hebammen hinblättern müssen, die Geburtshilfe anbieten. Zwar gebe es inzwischen dafür eine Lösung, aber auch die sei nur zeitweilig. Außerdem, bemängelt sie, sei der Sicherstellungszuschlag an Bedingungen geknüpft. Er muss quartalsweise beantragt werden, aber wenn die Kollegin in diesem Quartal keine Geburt durchführt, weil das in einem Schichtsystem im Kreißsaal zum Beispiel nicht planbar ist, bleibt sie auf den Kosten sitzen. Beim Hebammenverband plädiert man für einen Haftfonds nach dem Vorbild skandinavischer Länder.
Die Lösung freilich muss eine bundesweite sein. Doch auch das Land selbst in Zugzwang. Seit 2015 berät in Thüringen ein Runder Tisch, wie die Situation für junge Mütter und Hebammen verbessert werden kann. Auch Nicola Hauswaldt ist an den Gesprächen beteiligt. Ihr Urteil: Es ist gut, dass wir jetzt überhaupt Gehör finden und es bewegt sich etwas.
Ab September wird in Erfurt an der Berufsbildenden Schule Gesundheit und Soziales ein zusätzlicher Ausbildungsgang für Hebammen starten. Die ErnstAbbe-Hochschule in Jena bietet den Studiengang Geburtshilfe künftig nicht mehr nur alle vier , sondern alle zwei Jahre an.
Doch das alles wird nicht reichen, wenn der Beruf der Hebamme nicht attraktiver wird, ahnt Nicola Hauswaldt. Und das ist eine Frage der Bezahlung und auch eine Frage des Personalschlüssels in den Geburtshilfestationen.
Bis solche Maßnahmen greifen, wird Zeit vergehen, junge Frauen brauchen jetzt Lösungen. Der Hebammenverband plädiert schon lange für ein Meldesystem, bei dem Familien online Hebammen finden können, ohne tagelang telefonieren zu müssen. Man habe dazu einen Vorschlag unterbreitet, von dem man sich wünscht, dass er auch im Sozialministerium Gehör findet. Denn der Kindersegen soll hoffentlich anhalten. Im bundesweiten Vergleich liegt Thüringen mit einer Geburtenziffer von 1,56 Kindern pro Frau auf Platz zwei im bundesdeutschen Vergleich. Schlusslicht ist das Saarland mit 1,38 Geburten je Frau.
Die Geburtszahlen steigen langsam, aber kontinuierlich an. Während 2005 im Freistaat 16 713 Kinder zur Welt kamen, waren es zehn Jahre später 17934. So viele wie seit 1991 nicht mehr. In den Jahren nach der Wende war die Geburtsziffer in den ostdeutschen Ländern insgesamt zum Teil auf unter eine Geburt pro Frau gefallen.
Insgesamt verzeichnen Statistiker seit 2012 einen leicht positiven Trend in der Geburtenentwicklung Deutschlands, der 2015 erstmals seit Jahren bei 1,5 Kindern lag. Gleichzeitig steigt das durchschnittliche Alter von Erstgebärenden, es liegt laut aktuellesten Zahlen derzeit bei 30 Jahren.
„Wer heute noch als freie Hebamme Geburtshilfe anbietet, wird zu großen Teilen allein vom Idealismus getragen.“
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