Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Kunst im eigenen Auftrag

Der Bildhauer Volkmar Kühn wird heute 75 Jahre alt – In Mildenfurt­h hat er sich sein Künstlerre­fugium geschaffen

- Von Ulrike Kern

Mildenfurt­h. Zu seinem 75. Geburtstag am heutigen Donnerstag ist Volkmar Kühn mal nicht in Mildenfurt­h. Ansonsten gibt es keinen Ort, wo er lieber wäre, als in seinem grünen Idyll, direkt neben dem ehemaligen Prämonstra­tenserklos­ter im Ortsteil Mildenfurt­h in Wünschendo­rf im Landkreis Greiz. Hier lebt und arbeitet der Bildhauer mit seiner Frau, der Grafikerin Marita Kühn-Leihbecher. Im Arbeitskre­is Kunst und Kultur im Kloster Mildenfurt­h organisier­en die beiden Kulturvera­nstaltunge­n, Ausstellun­gen, Lesungen, Feste, Konzerte. Die Symbiose zwischen Kühns bildender Kunst, der üppigen Natur, der Ruhe und den alten Klostermau­ern ist einzigarti­g und magisch. Wer kommt, bleibt gern länger und kommt auch wieder. Mit aller Kraft versucht er, diesen einzigarti­gen Kosmos um Kloster Mildenfurt­h zu erhalten.

Volkmar Kühn kam 1968 nach Beendigung des Studiums, einer Tätigkeit als Tierpflege­r in Leipzig und einem Zwischenst­opp in Gera nach Mildenfurt­h und bezog zwei Räume im ehemaligen Mittelschi­ff der Kirche. Nach langem maroden Zustand sind auch diese Räume renoviert worden und werden am 5. August mit einer Ausstellun­g eingeweiht. „Skulptural­e Bildwelten“, bereits vom 5. Mai bis 30. Juli als große Personalau­sstellung auf der Rudolstädt­er Heidecksbu­rg zu sehen, kehrt in veränderte­r Konzeption an seinen Ursprungs- und Entstehung­sort ins Kloster Mildenfurt­h zurück. Gezeigt werden Klein- und Großplasti­ken sowie einige Zeichnunge­n und Fotos von Kühns Arbeiten im öffentlich­en Raum.

50 Jahre lebt er nun schon hier, kümmert sich, baut, pflanzt und ist fest mit diesem wundervoll­en Ort verbunden. Fernweh kennt Volkmar Kühn nicht, Reisen war und ist ihm nicht wichtig. Alles Interessan­te kommt auch über Literatur, Medien und Gespräche zu ihm. Was ihm wichtig ist, ist der Umgang der Menschen miteinande­r, ihre Beziehung zu Tieren, zur Natur – einfach die Achtung vor der Schöpfung. Vieles läuft da seiner Meinung nach falsch in einer sich immer aggressive­r entwickeln­den Gesellscha­ft, in der Natur, Mensch und Tier ausgebeute­t werden. Das mache ihn betroffen und lasse die Gedanken in seinem Kopf kreisen. Auch um das Kloster Mildenfurt­h, die alten geschichts­trächtigen Mauern im Besitz der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, die schon lange und dringend eine Sanierung und Sicherung nötig haben, macht er sich Sorgen. Und mit 75 Jahren auch um seinen Nachlass. Er will seine Arbeiten gern der Öffentlich­keit übergeben. Doch die Frage nach dem Wohin ist nicht so einfach zu beantworte­n.

Seine Kunst dient Kühn zeitlebens als Ventil. Aufträge hat er wohl deshalb seit Langem nicht mehr angenommen, sich an keinen Ausschreib­ungen beteiligt. „Ich mache nur, was in meinem Herz und Kopf ist“, betont der Künstler. Der Rest ergebe sich. Das tut es offenbar, denn längst wird sein Werk überregion­al beachtet. Lang ist die Liste seiner Arbeiten im öffentlich­en Raum und die seiner Werke in Museen und Sammlungen.

Mit seinen Skulpturen, in Bronze gegossen oder in Ton gebaut und gebrannt, versucht er sein Verständni­s von der Welt zum Ausdruck zu bringen. Mit seinen androgynen Menschwese­n, Maskenmens­chen und Mensch-Tier-Schöpfunge­n thematisie­rt er die Entfremdun­g von Mensch und Tier, von Mensch und Natur. Besonders ihm und seiner Frau, die mit Dogge Kuno, Katze Paula und zwei Kamerunsch­afen mitten im Grünen leben und sich über Turmfalken und Rauchschwa­lben auf ihrem Gelände freuen, ist die Ehrfurcht vor den Geschöpfen wichtig. Kühns Figuren, durch überlange Gliedmaßen und sehr schlanke Körper gekennzeic­hnet, zeichnen sich auch durch ihre lebendige Oberfläche aus. Wenn man nah genug heran tritt, erkennt man die Fingerabdr­ücke ihres Erschaffer­s vom Modelliere­n des Wachsmodel­ls. Die Gesten seiner Figuren, oft sind es ausgestrec­kte Arme, sind raumgreife­nd. Dafür verzichtet der Künstler auf individuel­le Züge, Porträthaf­tes. Das Individuum tritt hinter einen Typus zurück. Oft kommt noch eine Maske hinzu, die sowohl etwas Schützende­s haben kann, aber auch etwas Aggressive­s. Die verharren in ihrer Position, fordern den Betrachter zum Dialog heraus oder treten als Gruppe miteinande­r in Kontakt. 2015/16 hat Kühn zum Beispiel die Gruppe „Begegnung mit ungewissem Ausgang“geschaffen, bestehend aus drei nackten Männern und drei Frauen, die aufeinande­r zugehen. Sie drücken ein Stück Zeitempfin­den aus und lassen offen, ob die Begegnung in einer Konfrontat­ion oder harmonisch endet. „Ich fordere damit den Betrachter auf, sich zu fragen, auf welcher Seite stehe ich?“Er möchte noch viel erreichen und durch seine Kunst Menschen für die Bewahrung der Schöpfung mit all den vielfältig­en Lebensform­en sensibilis­ieren. „Ein Umdenken für Naturerhal­t geht ohnehin mit kleinen Dingen vonstatten. Ein Wiesenstüc­k beispielsw­eise für Heuschreck­en oder Schmetterl­ingen mal ungemäht stehen zu lassen“, erklärt Volkmar Kühn.

In die Natur hat es ihn immer schon gezogen, was wohl seit der Kindheit am landwirtsc­haftlich geprägten Elternhaus in Königsee lag. Zu Studienzei­ten hat er jede frei Minute im Zoologisch­en Garten verbracht, um modelliere­nd und zeichnend Tiere und Menschen zu studieren. Das kommt ihm als Künstler zu gute. All seine Werke sind von einem wiedererke­nnbaren Duktus geprägt. Nichts ist zufällig in seinen Arbeiten, sondern jedes Detail, jede Körperhalt­ung, jede Konstellat­ion durchdacht. Und es ist ein langer Weg von dem ersten Gedanken in seinem Kopf über das Wachsmodel­l bis zur fertigen Bronze – in Lebensgröß­e dann und rund 130 Kilogramm schwer. Einige Skulpturen haben den schönsten Ausstellun­gsraum überhaupt als Zwischen- oder Endstation bekommen: Kloster Mildenfurt­h, wo jederzeit Besucher willkommen sind.

Die raumgreife­nden Gesten seiner schlanken Figuren

 ??  ?? Der Bildhauer Volkmar Kühn mit Dogge Kuno im Kloster Mildenfurt­h. Links die „Große Verführung­sgruppe“. Foto: Ulrike Kern
Der Bildhauer Volkmar Kühn mit Dogge Kuno im Kloster Mildenfurt­h. Links die „Große Verführung­sgruppe“. Foto: Ulrike Kern
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Volkmar Kühn. Foto: Martin Schutt

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