Katastrophenalarm im Harz
Starker Dauerregen führt zu schweren Überschwemmungen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt
Goslar. Der Strom aus braunem Wasser reißt Blumenkübel und Stühle von Cafés mit. Es ist Vormittag in Goslar, zu diesem Zeitpunkt stehen schon viele Straßen in der Altstadt komplett unter Wasser: Durch den Dauerregen sind der Fluss Oker und der sonst kleine Bach Abzucht zu reißenden Strömen geworden – ein solches Hochwasser hat die Stadt in den vergangenen Jahren nicht erlebt. Wegen des Dauerregens und der Überflutungen ruft der Landkreis Goslar am Mittwoch schließlich Katastrophenalarm aus. Ein Krisenstab übernimmt die Koordination der Hilfskräfte. Auch die Bundeswehr schickt Soldaten. Teile der 40 000-EinwohnerStadt Goslar selbst werden evakuiert, darunter eine Seniorenresidenz. Die Altstadt, die zum Weltkulturerbe gehört, wird abgesperrt. Der Bahnverkehr in der gesamten Region zwischen Niedersachsen und SachsenAnhalt ist zusammengebrochen.
Jörg Höhns erlebt den Ausnahmezustand aus nächster Nähe. Er ist Regionalmanager der Novum-Hotelgruppe und wurde von seinen Mitarbeitern im Goslarer Hotel „Kaiserworth“in der Altstadt alarmiert: Der Keller des zweiten dazugehörigen Hotels namens „Brusttuch“steht unter Wasser. Gäste werden vorsorglich in Sicherheit gebracht. In manchen Teilen der Region fielen innerhalb von 48 Stunden 161 Millimeter Regen. In einem „normalen“Juli sind es sonst im ganzen Monat 100 Millimeter. Auf dem Brocken, dem höchsten Berg im Harz, wurden sogar 256 Millimeter Regen gemessen. Er ist für Touristen gesperrt.
Die Feuerwehr und Kräfte des Technischen Hilfswerks (THW) sind im Dauereinsatz – auf der niedersächsischen wie auf der sachsen-anhaltinischen Seite. In Rhüden und Silstedt etwa packen Helfer Sandsack um Sandsack, um die Wassermassen vom Eindringen in die Häuser abzuhalten. In Silstedt steht das Wasser knietief in den Straßen.
Das ist längst nicht alles: Oberhalb von Wernigerode im Harz droht die Zillierbachtalsperre überzulaufen. Rund 2,83 Milliarden Liter Wasser lagern dort. In der Stadt in Sachsen-Anhalt gibt es möglicherweise auch ein Todesopfer zu beklagen. Während des Dauerregens ist eine 69-Jährige in der Nähe des Flusses Holtemme verschwunden. Nach Angaben der Polizei wohnt die Frau direkt am Ufer. Die Befürchtung: Sie könnte in den zum reißenden Strom gewordenen Fluss gefallen sein. Bis zum Mittwochabend fehlt von ihr noch jede Spur.
Im niedersächsischen Hildesheim liegt der Pegel der Innersten – ein Nebenfluss der Leine – mit 7,14 Meter rund 40 Zentimeter über dem bisher höchsten Hochwasser aus dem Jahr 2007. Und in der Kleinstadt Bad Harzburg muss der Bahnhof gesperrt werden. Dort steht das Wasser zwischenzeitlich rund 20 Zentimeter auf den Straßen.
Auch in Goslar versuchen die Menschen, mit Brettern und Sandsäcken ihre Häuser zu schützen. Von Dienstagabend bis Mittwochmittag seien achtzig Tonnen Sand verbraucht worden, erzählt ein Feuerwehrmann. Doch geholfen haben die Schutzwälle nicht immer. Zahlreiche Keller müssen die Hilfskräfte auspumpen. „Alles, was wir an Einsatzkräften zur Verfügung haben, ist im Einsatz“, sagt Michael Weihrich, Sprecher im Landkreis Goslar.
Am Mittwochabend lässt der Regen schließlich langsam nach. Das Schlimmste scheint überstanden. Doch Meteorologen warnen: Bis das ganze Wasser aus dem Harz abgelaufen ist, können Tage vergehen. Die Lage bleibt ernst. (mit dpa)
69-jährige Frau wohl in einen Fluss gestürzt