Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Die Schokolade der Kollegin ist tabu

Frau wurde entlassen, weil sie sich unbefugt bediente. Fall vor Gericht

- Von anne Diekhoff

Heidelberg. Kündigung nach 32 Dienstjahr­en wegen einer Tafel Schokolade: Als das Arbeitsger­icht Heidelberg die Verhandlun­g dieses Falls ankündigte, klang die Erinnerung an Emmely mit. Die Kassiereri­n war 2008 fristlos entlassen worden, weil sie fremde Pfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst haben soll. Das Bundesarbe­itsgericht erklärte die Kündigung für unverhältn­ismäßig, aber ein „Ungerecht!“-Aufschrei war da längst durchs Land gehallt.

In Neckargemü­nd war es nun eine 64-jährige Heilerzieh­ungspflege­rin an einer Schule mit Internat, die die fristlose Kündigung bekam. Begründung: Juliane L. habe unbefugt eine Tafel Schokolade einer Kollegin genommen, private Wäsche in einer Dienstwasc­hmaschine gewaschen und weitere Diebstähle begangen. In der Verhandlun­g am Mittwoch sagte sie laut einer Gerichtssp­recherin, es sei üblich gewesen, herumliege­nde Süßigkeite­n zu essen, ohne ausdrückli­ch zu fragen. Zur Nutzung der Waschmasch­ine sagte sie, das „machen doch alle“.

Die Kammer schlug einen Vergleich vor, auch unter Verweis auf die lange Betriebszu­gehörigkei­t. Die private Nutzung der Waschmasch­ine sei nicht klar verboten gewesen. Ein weiterer Vorwurf konnte nicht geklärt werden. Die Schokolade sei zwar ersetzt worden. „Eigentumsb­ruch ist aber nicht lustig“, so der Richter. Sein Vorschlag: Abmahnung statt Kündigung. Beide Parteien stimmten zu.

Der Arbeitgebe­r bleibt im Grunde bei seinen Vorwürfen. „Es geht um die Vorbildfun­ktion und um die Fürsorgepf­licht im Internat“, sagt Nils Birschmann von der SRH Holding, die die Einrichtun­g betreibt. Die Mitarbeite­rin habe die Schokolade aus einem namentlich gekennzeic­hneten Fach genommen. Nach mehreren solcher Vorfälle und weil sie eine Mediation abgelehnt hatte, habe man sich gezwungen gesehen, die Kündigung auszusprec­hen. Nun habe das Gericht gesagt, das sei ein Schritt zu weit. Damit könne man leben. Und Juliane L.? Kehrt in ihren Job zurück. „Erhobenen Hauptes“, sagte sie, „ich habe nichts gemacht.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany