Barbara Thériault ist eine Detektivin des Alltags. Mit einem besonderen Spürsinn für Details entdeckt sie diesmal – Litfaßsäulen fürs Paardasein
Zur Autorin
bin. Es ist ähnlich wie 300 000 Kubikmeter Wasser: Sie haben keine Vorstellung davon.“Das Paardasein ist Teil seiner Identität, ihrer auch. Handy klingelt. Von meinem Sitz aus vernehme ich eine Frauenstimme: „Bist Du extra wegen der Tussi wieder zum Bahnhof gefahren?“Erneut an diesem Tag ist mir die Triade/Dreizahl und ihre Wirkung auf die Dyade/Zweizahl bewusst geworden: Die Dritte bringt manchmal Ungesagtes ans Licht, vermittelt, kann aber auch stören und infrage stellen. Verlegen bedanke ich mich und steige in einen anderen Wagen ein.
rüh am nächsten Tag treffe ich mich mit einem kunstinteressierten Menschen. Er redet von Projekten, von der Stimmung in der Stadt, erwähnt den Artikel eines Hamburger Magazins, der die Stadt dunkel porträtiert. Vieles sei gescheitert in Gera, doch sehr viel sei auch möglich, mehr als woanders im Bundesland. Er erzählt von spannenden Initiativen, auch von ihr. Er stellt sie mir vor.
Er trägt einen schwarzen Ring, der auf eine Zweierbeziehung hinweist. Er verbirgt bestimmt, denke ich mir, eine eigene Geschichte von Einsamkeit, Freiheit und Gebundenheit. Das angenehme Paar trug dagegen keine Eheringe, versicherte mir aber, dass es sie nicht verloren habe.
Später in der Stadt sind sie auch da, die Paare. In der Einkaufsstraße und in den Eiscafés, oft mit ähnlichen Hosen und Mützen, farblich abgestimmt. Bei einer gewissen Vielfalt – alte, junge, konventionelle, alternative, Zigarettenraucher und Hutträger – prägen sie das Straßenbild Geras. Sie verbinden ihre Bewohner mit diejenigen Erfurts, Weimars oder anderer Städte Thüringens. Wenn man selbst aus der Ferne kommt und allein durch die Stadt läuft, fällt es einem auf. Und plötzlich hat man sie vor Augen: alle Briefe, Karten und Nachrichten, die für den Partner mitunterschrieben werden („ich grüße Sie ganz herzlich, auch in Namen von meinem Mann/meiner Frau...“), den Mann vor der Dessous-Abteilung des Kaufhauses, der auf seine Frau wartet, das oft benutzte „wir“in Gesprächen. Barbara Thériault ist Soziologie-Professorin an der Universität Montreal in Kanada. Sie ist Mitglied des dortigen Zentrums für Deutschland- und Europastudien.
Die Kanadierin hat eine starke Verbindung zu Deutschland, besonders zu Erfurt: Sie war 1998 als erste Studentin an der vier Jahre zuvor wiedergegründeten Universität Erfurt eingeschrieben. Sie arbeitet an der Langzeitstudie „Das Kracauer Projekt“, in der sie in Erfurt den sogenannten postkommunistischen Wandel von unten untersucht. „Von unten“bedeutet aus der Perspektive der Menschen, die diesen Wandel im Alltag erfahren.