Staat will Kindergeld-Betrug stoppen
Nach Hilferufen mehrerer Kommunen soll Auszahlung strenger geprüft und bandenmäßiger Betrug aufgespürt werden
Berlin. Vor drei Monaten gelang einem Sozialdemokraten das selten gewordene Kunststück, die halbe Republik aufzurütteln. Nein, es war keiner der Spitzengenossen aus Berlin, die Mühe haben, ihre Partei in der großen Koalition zu halten. Die Rede ist von Sören Link, Oberbürgermeister von Duisburg. Der 42Jährige prangerte zum wiederholten Male in markigen Worten bandenmäßige Betrügereien beim Kindergeld für EU-Ausländer an. Auch andere Städte wie Fürth, Mannheim, Bremerhaven und Offenbach können ein leidvolles Lied davon singen, wie kriminelle Schlepper gezielt Menschen aus Osteuropa in verwahrloste Stadtteile wie Duisburg-Marxloh lotsen. Dort werden sie in heruntergekommenen Wohnungen untergebracht, damit sie einen Wohnsitz haben und Kindergeld oder Sozialleistungen beantragen können. Link schimpfte im August auf die Bundesregierung, die das Problem verschlafe und damit der AfD ein großes Spielfeld eröffne, die Wut vieler Bürger über einen hilflosen Staat erfolgreich anzuzapfen.
Häufig passiert nach derartigen Hilferufen aus den Kommunen in Berlin erst einmal lange gar nichts. Dieses Mal hat der Duisburger OB eine rasche Antwort bekommen.
Und zwar von Parteifreund Olaf Scholz. Der Bundesfinanzminister ist auch oberster Dienstherr des Zolls. Nach dem Willen von Scholz soll nun die Spezialeinheit FKS, die es bisher vor allem auf Firmen abgesehen hat, die den Mindestlohn unterlaufen Olaf Scholz, Bundesfinanzminister (SPD)
oder Tagelöhner mit Schwarzarbeit ausbeuten, auch Jagd auf „schwarze Schafe“beim Kindergeld machen.
Wie das in der Praxis aussieht, dazu folgende Beispiele: Kürzlich klingelten Behörden an der Tür eines maroden Mehrfamilienhauses in Mannheim. Dort leben Menschen aus Osteuropa, die auffällig viel Kindergeld beziehen. In 30 von 100 Fällen, bei denen für drei oder mehr Kinder Leistungen bezogen wurden, waren die Dokumente gefälscht, berichtet das Finanzministerium. Ein ähnliches Bild in Wuppertal und Düsseldorf: Dort wurden bei der Kontrolle von 100 Verdachtsfällen 40 ungerechtfertigte Anträge gefunden. Dadurch wurden nach Angaben der zuständigen Familienkasse rund 400.000 Euro Kindergeld zu Unrecht ausgezahlt. Nun sind diese Zahlen keineswegs repräsentativ. Scholz’ Experten schätzen, dass nur zu einem geringen Prozentsatz bei den mehr als 260.000 EU-Kindern, für die deutsches Kindergeld – 2017 waren es 343 Millionen Euro – ins Ausland überwiesen wird, weilihreElterninderBundesrepublik leben, ungerechtfertigt gezahlt wird.
Hunderttausende EU-Bürger arbeiten und zahlen Steuern in Deutschland und haben einen Anspruch auf Kindergeld (so wie deutsche Pendler, die in Luxemburg nämlich höhere Sozialleistungen erhalten). Dazu gehören auch Pflegekräfte aus Polen oder Handwerker aus Rumänien, die für kleinen Tariflohn schuften und für die das deutlich höhere deutsche Kindergeld ein Segen ist, damit die Familien in der Heimat über die Runden kommen. Für die ersten beiden Kinder werden monatlich je 194 Euro Kindergeld gezahlt. Scholz ist davon überzeugt, dass schärfere Kontrollen gegen Mindestlohnund Sozialleistungsbetrug ein wichtiges Signal sind: „Unsere Gesellschaft wird auch von Moral zusammengehalten, dass sich alle an die Regeln halten“, sagte er am Donnerstag in Berlin. Er will jetzt mit einem Maßnahmenpaket (das vor Weihnachten vom Kabinett beschlossen werden soll) dem Zoll deutlich mehr Kompetenzen und Tausende neue Mitarbeiter geben, um Schwarzarbeit, Verstöße gegen den Mindestlohn und Leistungsbetrug beim Kindergeld zu bekämpfen. So sieht ein Gesetzentwurf vor, dass die Familienkassen künftig die Möglichkeit haben, Kindergeldzahlungen bei Zweifeln vorläufig einzustellen. EU-Bürger, die nach Deutschland ziehen und Kindergeld beantragen, müssen dann neben dem Wohnsitz auch belegen, dass sie tatsächlich arbeiten: „In den ersten drei Monaten wird Kindergeld nur gezahlt, wenn inländische Einkünfte nachgewiesen werden können“, heißt es in einem Eckpunkte-Papier.
Städte und Gemeinden lobten die Pläne des Finanzministers. „Sozialleistungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt und muss effektiv geahndet werden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städteund Gemeindebundes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. Sein Kollege vom Städtetag, Helmut Dedy, betonte, der Gesetzentwurf könne betroffenen Kommunen im Kampf gegen Missbrauch helfen. Der Zoll soll auch gegen Schwarzarbeit und Menschenhandel mehr Befugnisse erhalten. Die Stellen bei einer Spezialeinheit des Zolls sollen bis zum Jahr 2026 von 7.500 auf mehr als 10.000 aufgestockt werden.
Der Chef der Zollgewerkschaft, Dieter Dewes, sprach von einem „Meilenstein“: Jedoch bräuchten die Zöllner auch modernste Technik, um gefälschte Pässe zu entdecken und Handys und Fahrtenschreiber auszulesen.
Der Zoll soll künftig bereits bei Verdacht auf Arbeitsausbeutung eingreifen, etwa um mit Platzverweisen Tagelöhnerbörsen („Arbeiterstrich“) aufzulösen, Scheinrechnungen als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen oder Briefkastenfirmen dichtzumachen.
Missbrauch betrifft nur wenige EU-Ausländer
„Unsere Gesellschaft wird auch von Moral zusammengehalten, dass sich alle an die Regeln halten.“
Zoll soll gegen Schwarzarbeit vorgehen