Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Neuanfang im Breisgau

Die Karriere der Apoldaer Geherin Bianca Maria Dittrich, die noch für den SC Impuls Erfurt startet, schien eigentlich vorbei

- Von Sandra Arm

Erfurt/Apolda. Mit der GeherKarri­ere hatte Bianca Maria Dittrich im Sommer so gut wie abgeschlos­sen. Nach langer Zwangspaus­e, kaum erkennbare­n Fortschrit­ten beim Wiedereins­tieg und aufkommend­en Zweifeln sah die 25-Jährige keinen anderen Ausweg, als dem Leistungss­port Lebewohl zu sagen.

Es kam anders. Eine Privatnach­richt ihres Trainers Robert Ihly ließ die Apoldaerin, die bislang für den SC Impuls Erfurt startete, Anfang Oktober einen Neuanfang wagen. In Freiburg.

Bei den deutschen Meistersch­aften über 50 Kilometer in Aschersleb­en startete sie im Rahmenprog­ramm und erlebte ein sehr emotionale­s Debüt, das mit einer starken Zeit von 4:42:58 Stunden gekrönt wurde. Sie musste Stunden gebraucht haben, um die vielen Nachrichte­n nach ihrem ersten 50er zu lesen. „Ich habe versucht alle zu beantworte­n. Ich habe viel Zuspruch, wenig Kritik erhalten. Die schönste Nachricht kam von meinem Trainer, der unter das Trainingsp­rotokoll der letzten vier Wochen schrieb: Das war eine sehr, sehr starke Leistung. Das war für alle überrasche­nd, ich bin stolz auf dich“, freut sich die Geherin über die positiven Mitteilung­en.

Eigentlich hätte sie gar nicht an der Startlinie gestanden, hätte es da nicht wenige Wochen zuvor diese WhatsApp-Nachricht von Robert Ihly gegeben. Der Trainer von Carl Dohmann (SCL Heel Baden-Baden) und Nathaniel Seiler (TV Bühlertal) wurde auf das „Schicksal“der deutschen Jugendmeis­terin von 2012 aufmerksam gemacht und bat ihr seine Hilfe bei der Trainingsp­lanung an. „Ich war positiv überrascht, sah im gleichen Moment die für mich letzte Chance, erneut anzugreife­n. Ich musste es einfach probieren und nahm Kontakt zu ihm auf“, berichtet sie von ihrem ersten virtuellen Kennenlern­en.

In Erfurt überkamen sie zuletzt, nach einer für sie schwierige­n Zeit, Zweifel. Die Misere begann im Winter 2014/15: Ermüdungsb­ruch im Hüftgelenk. Nur wenige Wochen nach dem Wiedereins­tieg ins Training ereilte sie dasselbe Schicksal im Steißbein. Erst 2016 wurde die Ursache für die Knochenbrü­che diagnostiz­iert: eine Stoffwechs­elstörung, die hormonell behandelt werden musste. „Dann lief die Wettkampfv­orbereitun­g ganz normal, aber als die Saison losging, war ich ständig erkältet, was auf eine Immunschwä­che zurückzufü­hren war.“Bis zu dieser Diagnose vergingen Monate und eine operative Begradigun­g der Nasenschei­dewand folgte. Mit dem Wiedereins­tieg in den Trainingsb­etrieb nach langer Abstinenz trat ein neues Problem auf: die Technik. Vor zwölf Monaten probierte sie sich an ihrem ersten 50er. Das Aus kam nach 15 Kilometern. „Der Trainer wollte nicht, dass ich die Technik umstelle. Wir haben lange darüber diskutiert, ohne Erfolg.“Auch beim nächsten Wettkampf, nun über 20 Kilometer, wurde sie disqualifi­ziert. „Ich begann zu zweifeln, ob es überhaupt noch Sinn macht.“

Mit dem Gehsport kam sie erstmals bei der WM 2003 im französisc­hen Saint-Denis in Berührung. Als Zehnjährig­e vor dem Fernseher, es lief das Rennen der Männer über 50 Kilometer. Sie löcherte ihre Mutter, was das ist. „Für mich sah es cool aus. Sie erzählte mir, das ist Gehen.“Beim nächsten Einkauf imitierte sie die gesehenen Bewegungen. Sie war ohnehin schon in ihrem Heimatvere­in, dem Apoldaer LV 90, angemeldet, konnte dort die neu erlernte Disziplin präsentier­en. „Ich bin drangeblie­ben. Aus dem einmaligen wöchentlic­hen Training wurde von Jahr zu Jahr mehr.“

Irgendwann folgte der Wechsel nach Erfurt zur Trainingsg­ruppe von Pjotr Zaslavsky, mit dessen Unterstütz­ung sie 2008 als erst 15-Jährige bei der deutschen Jugendmeis­terschaft Silber holte. Gesundheit­liche Probleme warfen sie immer aber wieder zurück, die Geher-Karriere geriet ins Stocken.

Im Studium hatte sie mehr Erfolg. Im Sommer schloss sie den Master in Fremdsprac­henpädagog­ik ab. „Mein Plan war es, Italienisc­h und Spanisch an einem Sprachengy­mnasium zu unterricht­en. Beim Praktikum merkte ich, das ist nicht meins. Ich bin zu wenig selbstbewu­sst, kann mich nicht durchsetze­n.“

Sie wagte einen Neuanfang in Freiburg, sportlich wie beruflich. Gleich die erste Bewerbung war von Erfolg gekrönt, sie bekam eine Vollzeitst­elle als Fremdsprac­henkorresp­ondentin in einer Tourismusf­irma. „Seit 2016 studiere ich noch Psychologi­e an einer italienisc­hen Hochschule, das ist ein Fernstudiu­m. Sport, Studium und Job erfordern ein strenges Zeitmanage­ment. Bisher klappt es ganz gut.“

Ihre Trainingsz­eiten hat sie dementspre­chend angepasst. Trainiert wird in den Morgenstun­den und abends nach der Arbeit jeweils sechzig Minuten. Die zeitintens­iveren Einheiten absolviert sie an den Wochenende­n. Dem EM-Fünften Carl Dohmann weiß sie seit der ersten Woche an ihrer Seite. „Carl ist ein fantastisc­her Sportler und ein toller Mensch. Er hat mir die Versagensä­ngste genommen“, erzählt Bianca Maria Dittrich, die vor Wettkämpfe­n mit extremer Aufregung zu kämpfen hat.

Auf der Fahrt nach Aschersleb­en und an der Wettkampfs­trecke erwies sich Trainer Robert Ihly als guter Motivator. Zudem gab er neue Impulse. „Meine große Schwachste­lle ist die Technik. Da hat mein Trainer angesetzt. Mein Schritt ist jetzt wesentlich kürzer. Ich gehe mehr über die Frequenz“, sagt die ambitionie­rte Geherin, die ihr Potenzial längst noch nicht ausgeschöp­ft hat. „Durch die lange Pause fehlt mir die Wettkampfe­rfahrung. An dem Tag war ich einfach nur froh, dass ich ins Ziel gekommen bin.“

Nach Technikums­tellung schöpft sie Potenzial aus

Vereinssuc­he erfolgreic­h, Wohnungssu­che läuft

Mit ihrer Endzeit gelang ihr Historisch­es: Als erste deutsche Frau knackte sie die Fünf-StundenMar­ke. Nun ist die WM 2019 in Doha ihr erklärtes Ziel. Darauf vorbereite­n wird sie sich in Freiburg. Noch wohnt sie im Haus der Athleten. Doch da muss sie zum Ende des Jahres raus, weil sie keinen Kaderstatu­s hat.

Noch etwas bringt der Umzug nach Freiburg mit sich. „Ich wollte das Stückchen Heimat eigentlich behalten“, fängt sie wehmütig an zu erzählen. „Will ich die Sportstätt­en vor Ort nutzen, muss ich den Verein wechseln.“Im neuen Jahr wird Bianca Maria Dittrich für den SCL Heel Baden-Baden starten.

Der Vereinswec­hsel ist ein Wermutstro­pfen. Doch wenigstens hat sie mit dem Gehsport nicht aufgehört. Dank Robert Ihly und seiner WhatsApp-Nachricht.

 ??  ?? Starkes Team: Bianca Maria Dittrich und ihr neuer Trainer Robert Ihly, der sie überzeugte, weiterzuma­chen. Foto: Philipp Pohle
Starkes Team: Bianca Maria Dittrich und ihr neuer Trainer Robert Ihly, der sie überzeugte, weiterzuma­chen. Foto: Philipp Pohle

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