„Das erfüllt mich mit gewissem Stolz“
Weimars Stadtkantor Johannes Kleinjung hat die Leitung des renommierten Johann-Sebastian-Bach-Ensembles übernommen
Weimar. Eisenach hat einen, Arnstadt, Mühlhausen, Ilmenau ebenso, auch Leipzig oder Stuttgart übrigens sowie Dutzende weiterer deutscher Städte, darüber hinaus Wien und Zürich, Kopenhagen und London, Tokio oder Bethlehem (in den USA).
Jenen Weimars leitet Johannes Kleinjung qua Amtes seit acht Jahren: den Bachchor der Stadtkirche St. Peter und Paul, auch als Herderkirche bekannt. Inzwischen aber wurde ihm auch die Leitung des Johann-Sebastian-Bach-Ensembles angetragen, eines semi-professionellen Kammerchores, der seine Konzerte vorzugsweise an gleicher Stelle gibt.
Das Ensemble wählte ihn letztlich zum Nachfolger des großen Kirchenmusikers und Chorleiters Klaus-Jürgen Teutschbein, der es zwanzig Jahre lang formte und prägte – bis er sich, 73-jährig, im Herbst 2017 mit Mendelssohn-Bartholdys „Elias“-Oratorium endgültig verabschiedete.
„Das erfüllt mich schon mit einem gewissen Stolz“, sagt Kleinjung, zumal es sich der Chor nach dieser Ära mit der Entscheidung nicht leicht machte. Kleinjung aber auch nicht.
Demut lässt er durchaus walten. Sie übermannt ihn aber nicht. Kleinjung ist ein eloquenter Mann von 42 Jahren, enorm humorbegabt und zielgerichtet. Er weiß, was er will.
Zum Beispiel dieses: sich „jenseits der kirchlichen Notwendigkeiten selber musikalisch zu verwirklichen und letztlich eine Arbeit fortzusetzen, die ich bis 2013 zehn Jahre parallel zu meinen Anstellungen mit dem Universitätschor München machte.“
Es ist der Schritt von der Pflicht zur Kür. „Bestmögliche Kirchenmusik für die Herderkirche“ist sein Auftrag als Stadtkantor und Organist, nicht so sehr, sich künstlerisch zu verwirklichen. Kleinjung leitet Weimars Bachchor und die evangelische Singschule, er gründete das Ensemble Hofmusik, das sich der historischen Aufführungspraxis von Barockmusik verpflichtet, und steht dem Weimarer Bachkantatenensemble vor.
A-capella-Konzerte sind die tägliche Hygiene eines Chores
Das Kirchenjahr bestimmt das Programm. Doch darf Kleinjung, neben Jörg Reddin in Arnstadt, als profiliertester Kantor im Land gelten. Seine Programme sind historisch wie zeitgenössisch spannend.
„Kriegsseufftzer und Friedensgesänge“hieß jüngst ein Konzert, das dem Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges vor 400 Jahren gedachte. Im Gedenkkonzert zum Ende des ersten Weltkrieges konzentrierte er sich nur wenig später aufs 20. Jahrhundert, unter anderem mit Frank Martins Oratorium „In terra pax“.
Kleinjung leidet gewiss nicht an Langeweile, zumal er sich mit seiner ebenfalls voll berufstätigen Frau, einer Violinistin bei der Staatskapelle Weimar, inzwischen um fünf Kinder kümmern darf. Mit Marienliedern aus fünf Jahrhunderten stellte er sich gleichwohl im Juni in Jenas Stadtkirche dem Johann-SebastianBach-Ensemble vor. Er war der letzte von drei Kandidaten. Mit Schütz, Purcell und Poulenc, Grieg, Bruckner und Reger, aber auch Petr Eben, Knut Nystedt und Trond Kverno stellte er ein anspruchsvolles Konzert zusammen – und konstatierte „ein sehr ansprechendes Ergebnis.“
Dirigieren wollte er das damals „nicht vor der eigenen Haustür“, zumal „absolut nicht klar war, dass ich gewählt werden würde.“Es soll hoch hergegangen sein im Chor, hört man aus dessen Reihen. Kein Wunder, nach zwanzig Jahren Teutschbein.
Musikstudenten gründeten das Ensemble 1992, Teutschbein wurde dessen dritter Chef. Seitdem arbeitet man auch eng mit dem Mitteldeutschen Kammerorchester zusammen, das wesentlich aus Musikern der Staatskapelle Weimar besteht, ähnlich wie das Ensemble Hofmusik.
Die alles in allem 35 bis 40 Sänger sind längst mehr nicht nur in Weimar zu Hause, sondern auch in Jena, Erfurt, Mühlhausen oder Wernigerode. Als Projektchor finden sie sich in der Regel viermal im Jahr zusammen: zum Treppenhauskonzert im Stadtschloss, mit dem Bachs Geburtstag gefeiert wird, sowie zur „Atempause“kurz vor Heiligabend in der Herderkirche, außerdem zu zwei größeren Konzertprojekt an jenem Ort.
Für die nächste „Atempause“setzte Kleinjung gleich mal zwei Proben mehr als üblich an. Projektarbeit hin oder her: „Für ein homogenes Klangbild ist kontinuierliche Arbeit wichtig“, findet Kleinjung. Er überzeugt mit natürlicher Autorität.
Als Kammerchor sei das Ensemble auch gut für A-capella-Konzerte. „Sie sind übrigens die tägliche Hygiene eines Chores, denn da arbeitet man am differenziertesten am Klangbild.“
Gewiss präge kirchenmusikalisches Repertoire die Programme, was bei Chormusik aber auch in der Natur der Sache liege. „An geistlicher Musik kommt man da eigentlich gar nicht vorbei, zumindest, wenn man wieder mal mit einem Orchester arbeiten will.“
Dass der Stadtkantor zum Chorleiter wurde, hat jedenfalls einen großen Vorteil: die „Synchronisierung von sich ergänzenden Programmen bei unterschiedlichen Profilen.“In den letzten Jahren gab es bei großen klassischen Oratorien starke Ähnlichkeit mit dem Bachchor, der ja übrigens auch weniger als die Hälfte seiner Einsätze mit Bach bestreitet. Der Name bedeute vielmehr „eine Würdigung des Bachlandes Thüringen, in dem es massenhaft Bachchöre gibt.“
Fürs Johann-Sebastian-Bach-Ensemble gilt das erst recht. Unter Kleinjung begibt es sich im kommenden Jahr zunächst ins Frühbarocke: mit Claudio Monteverdis Marienvesper, vom Ensemble Hofmusik unterstützt. Dann nimmt man sich, mit Arthur Honeggers „König David“-Oratorium in der ersten Fassung mit reinem Bläserensemble, die Klassische Moderne vor. Für 2020 ist dann Bachs h-Moll-Messe in Planung.
Nicht allein die Kunst, auch die Kosten bestimmen das Programm: vom Notenmaterial bis zu den Musikern. Deshalb sucht der Chor auch unentwegt nach Sponsoren.
Seine erste A- Kirchenmusikerstelle trat Kleinjung 2004 an der Stadtkirche Bad Hersfeld an. „Dort war immer Geld vorhanden.“Ansonsten sei das aber eine Region, „in der vor allem Menschen leben, denen Kultur nicht so wichtig ist.“Da ist Weimar doch ein ganz anderes Pflaster.
„Es ist ein Sechser im Lotto, dass in diesem komischen Beruf zwei Menschen an einem Ort eine Festanstellung finden“, sagt Kleinjung über sich und seine Frau, „und noch dazu an einem so schönen!“
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Johann-Sebastian-Bach-Ensemble Weimar: „Atempause“am . Dezember, Uhr, Herderkirche. Eintritt frei, Spenden erbeten.