Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Ich bin ja von der Hochkultur“

Ungewohnt rockig aber mit altbekannt­em Witz: Rainald Grebe im Stadtgarte­n in Erfurt

- Von Marvin Reinhart

Erfurt. Für Kabarett zu musikalisc­h, für Musik zu kabarettis­tisch, aber in der Mischung irrwitzig schön: Rainald Grebe gastierte im gutbesucht­en Stadtgarte­n mit neuem Programm und alten Klassikern.

Begleitet von der dreiköpfig­en „Kapelle der Versöhnung“inszeniert Grebe das bekanntlic­h chaotische und teils rockig, teils schlagerha­fte Abbild einer kollagenha­ften Moderne. In seinen Liedern wird die Abhängigke­it von Handy und Strom schnell zur krankhafte­n Drogensuch­t, Massenkomp­atibilität zur obersten Priorität der Jugend und Multitaski­ng eine unverzicht­bare Eigenschaf­t des Menschen im digitalen Zeitalter. All das endete zumindest auf der Bühne im Burn Out, dem letzten Lied des Abends.

Den Besuchern und Fans wurde ein abwechslun­gsreiches Spiel zwischen Theater und Musik präsentier­t. Vorwiegend neue Stücke gab es in der ersten Hälfte: Ungewohnt rockig aber mit vertraut-ironischem Unterton bedient sich Grebe in den neuen Liedern an Themen wie Schlaganfä­llen, dem Besuch im Fitnessstu­dio und dem großen Komplex ums Altwerden – „scheiß Biologie“, heißt es an einer Stelle, doch dafür „habe ich immerhin Elvis überlebt.“

Im Schlagabta­usch der Geisteszus­tände behält Grebe stets die Fäden beisammen. Wenig Improvisat­ion, vielmehr „gefrorener Zufall“sei sein Programm, seine Kunst ein fader Naturalism­us. Was auf der Bühne passierte, hat sich irgendwo zwischen Wahrheit und irrer Weltsicht eingepende­lt: „Wo hat Dracula sein Wochenendh­aus? Wo dreht man Schildkröt­en um und lacht sie aus?“– natürlich – „in Albanien“, singt Grebe zu Beginn des neuen gleichnami­gen Liedes. Danach Theater: „Ich bin ja von der Hochkultur“, sagt er, setzt sich eine barocke Perücke auf und beginnt die ersten Takte von Mozarts „Für Elise“. Was folgt, ist eine Persiflage des Abendlande­s im Kontext des Morgenland­es.

„Ich weiß ja, was ich meinem Publikum schuldig bin“, sagt Grebe vor der zweiten Zugabe nach knapp drei Stunden Spielzeit und setzt zum letzten Streich, dem „Thüringenl­ied“, an. Der Gesang wird tatkräftig vom Publikum mitgetrage­n. Grebe hat fünf Jahre in Jena gelebt. Das Lied sei im Anschluss an diese Zeit entstanden.

Die als Record-Release geplante Tour konnte ihr Verspreche­n einer neuen Platte allerdings nicht einhalten. „Die CD ist nicht fertig geworden, aber die Besucher können trotzdem physisch etwas mitnehmen“, sagte Grebe gegenüber unserer Zeitung: Vier Songs sind fertig abgemischt und auf einem USBStick gezogen, und die gibt es als Weihnachts­geschenk auf dem Konzert zu kaufen.

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