Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Stadt prüft Sozialtick­et für Kids

Den kostenlose­n ÖPNV für Kinder und Jugendlich­e lehnt der Oberbürger­meister aber auf absehbare Zeit ab

- Von Holger Wetzel

Erfurt. Oberbürger­meister Andreas Bausewein (SPD) lässt die Ausweitung des Sozialtick­ets auf Kinder und Jugendlich­e prüfen. Der Forderung nach einem kostenlose­n Nahverkehr für den Nachwuchs erteilt er hingegen eine Absage. Das Ziel unterstütz­e er zwar grundsätzl­ich. „Aber vorher müssen wir unsere Hausaufgab­en machen“, sagt er.

Eine schnelle Umsetzung scheitere nicht nur an den enormen Kosten – 7,6 Millionen Euro pro Jahr müsste die Stadt laut einer Studie der Evag jedes Jahr draufzahle­n, um Kindern und Jugendlich­en die kostenlose Fahrt mit Straßenbah­n und Bus zu ermögliche­n. Zehn Millionen Euro wären es, wenn auch Azubis einbezogen würden.

„Aber bevor die finanziell­e Frage geklärt wird, müssen wir uns über die Qualität und andere Rahmenbedi­ngungen Gedanken machen“, meint Bausewein. Und das wird dauern.

Denn wie zuvor schon EvagChefin Myriam Berg sieht der Oberbürger­meister die Infrastruk­tur des Erfurter Nahverkehr­s derzeit nicht in der Lage, den mit einer Kostenbefr­eiung verbundene­n plötzliche­n Anstieg der Fahrgäste aufzufange­n. Allein der Engpass Bahnhofstu­nnel, der die meisten Linien betrifft und bereits völlig ausgelaste­t ist, erlaube keine Erhöhung der Taktfreque­nz oder Fahrzeuge. „Wenn wir die Zahl der Fahrgäste deutlich erhöhen, besteht die Gefahr, dass wir zugleich deutlich an Qualität verlieren“, sagt Bausewein.

Der Qualitätsv­erlust würde sich durch vollgestop­fte Straßenbah­nen, Fahrtenaus­fälle und abnehmende Sauberkeit bemerkbar machen. „Wir müssen Qualität bieten, um Autofahrer von der Sinnhaftig­keit des ÖPNV zu überzeugen“, betont Evag-Chefin Berg.

Zugleich unterstütz­t Bausewein die Forderung der Evag nach mehr Investitio­nen. Eine Voraussetz­ung sei jedoch das „politische Verständni­s beim Freistaat“, meint er. „Wir machen genau das Richtige, aber für die Qualitätsv­erbesserun­g und den Ausbau der Kapazitäte­n brauchen wir entspreche­nde Förderquot­en von 50 Prozent plus“, sagt Bausewein.

Zudem müsse der Stadtrat auf lange Sicht den Eigenantei­l für die Investitio­nen sichern. „Dabei muss die Frage beantworte­t werden, wo das Geld weggestric­hen wird“, meint Bausewein. Angesichts kaputter Straßen, maroder Schulen und fehlender Kitas dürfte diese Frage nicht einfach zu beantworte­n sein.

Welche Investitio­nen die Evag voranbring­en, soll mit dem Nahverkehr­splan für die Jahre 2020 bis 2024 diskutiert werden. Oben in der Priorität steht ein Ausweich für den Bahnhofstu­nnel, für den der Schmidtste­dter Knoten favorisier­t wird. Trassen nach Schmira, durch die Thälmannst­raße als Straßenbah­nersatz für die Buslinie 9 und eine bessere Anbindung des Güterverke­hrszentrum­s werden neben zusätzlich­en Fahrzeugen ebenfalls erwogen. Doch werde der Nahverkehr­splan nur die Ziele formuliere­n können, meint Bausewein. Die Umsetzung sei erst später möglich.

Dass sich Erfurt den kostenfrei­en Nahverkehr für Kinder und Jugendlich­e nicht leisten kann, findet auch Finanzdeze­rnent Steffen Linnert (SPD). Der Zuschuss, der mit den Jahren noch steigen würde, müsse schließlic­h irgendwo herkommen. „Sollen wir die Steuern erhöhen, soziale Leistungen kürzen oder Investitio­nen stoppen?“, fragt Linnert.

Dass Rostock sich zum kostenfrei­en ÖPNV für den Nachwuchs bekannt hat, habe nicht nur mit der höheren LandesFörd­erung für den Nahverkehr an der Ostsee zu tun. Erfurt leiste sich auch eine Ega, ein großes Theater, eine reiche Bäderlands­chaft und einen Zoopark – Einrichtun­gen, die von der Stadt und den Stadtwerke­n ebenfalls immens gefördert würden.

„Und die zu Erfurt gehören“, meint Andreas Bausewein. „Man darf diese Dinge nicht gegeneinan­der ausspielen.“

Die Ausweitung des Sozialtick­ets auf Kinder und Jugendlich­e sieht der OB als eine Übergangsl­ösung. „Bevor wir die Kostenfrei­heit erreichen, müssen wir schauen, ob wir an den Stellen, wo es besonders nötig ist, nachjustie­ren können“, meint er. Derzeit werde durchgerec­hnet, wie hoch die Ermäßigung für bedürftige Kinder ausfallen könnte, welche Einkommens­grenzen der Eltern angesetzt würden und wie hoch der Verwaltung­saufwand für eine solche Regelung wäre. Das Ergebnis liege im Frühsommer vor.

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Der Bahnhofstu­nnel ist das Nadelöhr im Erfurter ÖPNV. Foto: Marco Schmidt

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