Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Asyl für schlummern­de Schätze

Im Haus Dacheröden wird Sonntag ein Buchasyl eingeweiht. Bände aus privaten Sammlungen sollen Weg zu Literaturf­reunden finden

- Von Casjen Carl

Erfurt. Eine Ecke Stefan Heym, ein paar Bände Grass, eine Schiller-Gesamtausg­abe. Dazu die komplette Reihe von Volk & Welt „Ad libitum“oder ein vielbändig­er Brockhaus. Das deckenhohe Regal im Bürgersaal des Hauses Dacheröden sieht aus, wie das eines Literaturf­reundes in Wende- oder Vorwendeze­iten – wenn dieser denn mit ein paar Beziehunge­n ausgestatt­et war. Bücher waren Bückware – oder Schmuggelg­ut.

Wenn heute solche Bibliothek­en von älteren Erfurtern wegen eines Umzug ins Seniorenhe­im oder aber nach dem Tod des Besitzers verwaisen, machen Umzugsunte­rnehmen oft wenig Federlesen und bestellen Container.

„Viele Bücher waren doch sehr begehrt und an ihnen hängen Geschichte­n, da ist es doch tragisch, wenn sie unbesehen weggeworfe­n werden“, sagt Dirk Löhr, Vorsitzend­er des Herbstlese-Vereins.

Einige zu retten, das war der Ansatz für ein „Buchasyl“, das nun am Sonntag eröffnet wird. Womit zugleich eine Idee umgesetzt wird, die schon im Nutzungsko­nzept des Vereins stand, mit dem dieser sich für das Haus Dacheröden beworben hatte.

Da der Verein aber nicht der Retter aller Bücher sein könne, musste auch das Vorgehen überdacht werden. Wenn jeder mit seinem kleinen Bücherbeut­el käme, wäre das nicht zu händeln. So setzt man nunmehr tatsächlic­h darauf, bei größeren privaten Sammlungen einzusteig­en, die dann übernommen und gesichtet werden. Letzteres mit dem Blick darauf, was das Interesse der jungen und älteren Leser wecken könnte.

„Gibt es nicht in der Stadt auch die Literaturs­tudenten, die sich gern eine Schiller-Ausgabe mal hinstellen?“, fragt sich Dirk Löhr. Auch Sammler könnten Lücken in ihren Regalreihe­n schließen. So ist momentan die Ad-libitum-Reihe komplett vorhanden. Von den in späten DDR-Jahren überaus beliebten, schwarzen Spektrum-Bändchen ist ein langes Regalfach zu durchstöbe­rn.

Wer eines der Bücher gern in den heimischen Schrank stellen mag, muss es aber nicht verschämt unter den Mantel stecken, wie einst mit unerreichb­aren Schätzen bei der Leipziger Buchmesse. „Wir können nicht jedes einzelne Buch auspreisen. aber in freundlich­er Absprache an der Kasse sollte immer ein gute Preis herauskomm­en“, sagt Dirk Löhr und betont im nächsten Atemzug, dass das Geld ja wieder in den Kauf weiterer Regale fließen soll. Zudem ist für Transport und das Benzin, wenn die Bücher-Detektive unterwegs sind, ein wenig Geld nötig.

Auch die Geschäftsf­ührerin des Hauses Dacheröden, Lena Walter, freut sich über die Eröffnung des Buchasyls. Kommt es doch dem Bestreben entgegen, ein jederzeit offenes Haus der Bücher zu sein. So wird es neben der roten Ledercouch auch Lese-Tischchen mit extra Lampen geben und gleich nebenan gebe

es Kaffee oder Tee, was das Schmökern noch gemütliche­r machen soll. So ganz nebenbei dämpft das Bücherrega­l, zu dem weitere hinzukomme­n sollen, den Hall in dem bisher leeren Bürgersaal.

Dass am Wochenende Eröffnung ist, so Vereinsche­f Löhr, sei auch dem erneuten Engagement des langjährig­en Partners Stadtwerke zu verdanken, der über Sponsoring 3000 Euro für die Anschaffun­g des ersten großen Regals beigesteue­rt hat. In Zukunft könne sich Dirk Löhr auch eine Art Regalspons­oring für das Buchasyl vorstellen. Denn Platz an den Wänden ist noch genug.

Und genug bibliograf­ische Schätze schlummern in den Stuben der Stadt gewiss auch noch.

 ??  ?? Stadtwerke-Geschäftsf­ührer Peter Zaiß zeigte mit dem Unternehme­n ein Herz für die literarisc­hen Sammlerstü­cke und unterstütz­te die Einrichtun­g des Buchasyls im Haus Dacheröden. Foto: Lutz Edelhoff
Stadtwerke-Geschäftsf­ührer Peter Zaiß zeigte mit dem Unternehme­n ein Herz für die literarisc­hen Sammlerstü­cke und unterstütz­te die Einrichtun­g des Buchasyls im Haus Dacheröden. Foto: Lutz Edelhoff

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