Glücksspiel mit der Krankenkasse
Im Wohnverbund Michaelisstift in Gefell sorgen Entscheidungen der Gesundheitsversicherer für Kopfschütteln
Gefell. Wohin man in Gefell auch möchte – es geht immer bergauf. Und auf dem Rückweg bergab. Denn von der Hauptstraße geht es nach links und rechts immer nach oben. Das ist für gesunde Gefeller ein gutes, tägliches Training, für ältere, kranke oder behinderte Menschen und deren Begleiter eine anstrengende Tortur. Für Birgit Ernst zum Beispiel. Die zierliche Sozialarbeiterin betreut mit ihren Kolleginnen der heilpädagogischen Tagesstruktur im Wohnverbund Michaelisstift 13 Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung.
Neben der Beschäftigung in der Einrichtung stehen tägliche Spaziergänge an. Auch die 32jährige Sandra Homann gehört zu der Gruppe. Durch eine geistige Behinderung und eine spastische Lähmung ist sie auf den Rollstuhl angewiesen und hat jüngst einen sogenannten AktivRollstuhl bekommen, der extra für sie angefertigt wurde. Das Gerät passt sich durch Federn und Gelenke in den KrampfPhasen ihrem Körper an, stabilisiert durch viele Polster und Stützen Sandras Körper. Doch einen Motor hat die Krankenkasse nicht genehmigt. Denn in der Einrichtung braucht der Rollstuhl ja keinen Motor, so die Argumentation der Krankenkasse. Spazierfahrten für Lebensmut und Wohlgefühl kennt der Leistungskatalog offenbar nicht. 3800 Euro kostet der Rollstuhl-Motor, den „Thüringen hilft“finanzieren möchte. Skurril: Hätten Sandras Angehörige oder gesetzliche Betreuer den Antrag gestellt, wäre der Antrieb wohl genehmigt worden. „Doch von denen haben wir seit über einem Jahr keinen gesehen“, sagt Birgit Ernst, die Sandra tagtäglich betreut und ihren Rollstuhl nun mit ihren Händen die steilen Straßen hochschieben Regelmäßig spielen Erna Basze () und Betreuerin Ramona Kleinhens in der Tagespflege Gefell „Mensch ärgere dich nicht“. Das macht nicht nur Spaß, sondern weckt auch viele Erinnerungen und hält die grauen Zellen fit. Ärgern müssen sich die beiden nur über die Krankenkasse. Fotos (): Ingo Glase
und rückwärts bremsen muss.
Kopfschütteln auch eine Etage höher, in der Tagesstruktur für alte Menschen mit Behinderungen. Dort können sich die meisten Tagesgäste, etwa die 90jährige Erna Basze, kaum noch auf den Beinen halten. Doch sie müssen vom Pflegedienst regelmäßig gewogen werden, um etwaige Krankheiten rechtzeitig zu erkennen. Aber auf die Waage können sich die meisten Tagesgäste nicht mehr ohne Weiteres stellen – eine Sitzwaage für die Station (Kostenpunkt 800 Euro) würde Abhilfe schaffen. Doch das hat die Krankenkasse abgelehnt. Die regelmäßige Fahrten mit dem Krankentransport in die nächste Klinik zum Wiegen würde sie natürlich übernehmen – obwohl das auf Dauer viel teurer werden dürfte.