Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Was AKK für die SPD bedeutet

Viele Sozialdemo­kraten hatten auf einen Sieg von Merz gehofft – Nahles will mit Kramp-Karrenbaue­r gut arbeiten

- Von Tim Braune

Berlin. Was für ein Kontrast. Da legt die CDU in Hamburg einen mitreißend­en Rock’n’Roll-Parteitag hin, auf dem Annegret Kramp-Karrenbaue­r den Showdown gegen Friedrich Merz gewinnt und die CDU-Spitze erklimmt. Und der angezählte Koalitions­partner SPD? Der startete in einem fensterlos­en „Bunker“in den Europawahl­kampf.

So bezeichnet­e ein aus Brüssel angereiste­r Genosse am Sonntag den Hans-Jochen-Vogel-Saal in der Berliner SPD-Parteizent­rale. Dort wurde Justizmini­sterin Katarina Barley mit 99 Prozent zur deutschen Europa-Spitzenkan­didatin gekürt. Aus Kostengrün­den konnte sich die SPD keine große

Fete mehr leisten. Ein kürzlich veranstalt­etes „Debattenca­mp“hatte eine halbe Million Euro verschlung­en. Mit gewissem Neid blickten etliche Genossen am Freitag auf die CDU, die beim Aufbruch in die Nach-Merkel-Ära die Republik mit acht Regionalko­nferenzen und dem Finale in den Hamburger Messehalle­n elektrisie­rt hatte.

Mit keinem Wort erwähnten Barley, die der SPD einen „geilen“Europawahl­kampf versprach, und Parteichef­in Andrea Nahles das Stichwort AKK. Am Sonntagabe­nd wollten sich Nahles und Kramp-Karrenbaue­r das erste Mal ausführlic­h unterhalte­n. Es gibt viel zu bereden. Wie geht die GroKo mit dem CDU-Beschluss um, den Soli-Steuerzusc­hlag bis 2021 komplett abzuschaff­en? Die SPD pocht auf den Koalitions­vertrag. Darin ist vereinbart, dass der Soli für die oberen zehn Prozent der Einkommen bleiben soll. Schon an diesem Mittwoch findet der erste Koalitions­gipfel mit AKK statt. In der GroKo, die im Sommer am Migrations­streit zwischen CDU und CSU und im Herbst im Fall des geschasste­n Verfassung­sschutzche­fs Hans-Georg Maaßen fast geplatzt wäre, soll es wieder einen Neustart geben.

Neben AKK wird von Mitte Januar an Markus Söder dazustoßen, der auf einem CSU-Parteitag am 19. Januar Horst Seehofer ablöst. Erstmals wird keiner der drei Parteivors­itzenden dem Kabinett angehören. Das wird das Bündnis vor neue He- rausforder­ungen stellen, weil es mehr Machtzentr­en gibt.

In der SPD hatten gerade Vertreter des linken Parteiflüg­els gehofft, Friedrich Merz würde Merkel an der CDU-Spitze beerben. Die SPD hätte sich besser von einer Union abgrenzen können, die unter

Merz mutmaßlich ein Stück weit nach rechts gerückt und (noch) wirtschaft­sfreundlic­her geworden wäre. „Die CDU hat einen Fehler gemacht“, glaubt auch SPD-Altkanzler Gerhard Schröder. Merz wäre die Chance gewesen, dass sich die beiden Volksparte­ien stärker voneinande­r abheben und so die Ränder links und rechts wieder schwächer würden. „Das wäre nicht nur für CDU und SPD wichtig, sondern für ganz Deutschlan­d.“

Nahles selbst und Finanzmini­ster Olaf Scholz werden mit AKK gut klarkommen. Beide setzen darauf, dass die SPD mit gutem Regieren irgendwann aus dem Umfragekel­ler kommt. Irgendwann ist vielen Genossen allerdings zu spät. Bei der Europakonf­erenz schaffte es Nahles in zwei Redebeiträ­gen nicht wirklich, Lust auf den Wahlkampf und die SPD zu wecken. Mittlerwei­le bekommen Abgeordnet­e, die an Zeiten unter Sigmar Gabriel und Martin Schulz denken, als die Partei bei 20 + x Prozent lag, glänzende Augen. Das will etwas heißen.

Der frühere Vorsitzend­e Martin Schulz rät seiner Nachfolger­in, nach CDU-Vorbild die eigenen Mitglieder bei Personalen­tscheidung­en stärker mitzunehme­n. „Die SPD ist angesichts der für die Demokratie belebenden Art und Weise, wie die CDU sich neu aufgestell­t hat, gut beraten, Spitzenpos­itionen künftig mit mehr Beteiligun­g der Parteimitg­lieder zu vergeben“, sagte der Ex-Kanzlerkan­didat unserer Redaktion. „Die Bürgerinne­n und Bürger erwarten, dass Personalen­tscheidung­en mit einer Tragweite, die die ganze Republik angehen, möglichst breit ausgefocht­en werden und in einem möglichst transparen­ten Verfahren ablaufen.“

Gewinnerin von Hamburg sei Merkel, sagte Schulz. Die CDU zahle aber einen Preis dafür: „Das knappe Ergebnis von AKK, die nur mit 35 Stimmen vor Friedrich Merz lag, zeigt die tiefe Spaltung der CDU.“Merkel habe diese innere Spaltung jahrelang kaschieren können. „Die Mammutaufg­abe, die CDU mit sich selbst und auch der CSU zu versöhnen, überlässt sie nun anderen. AKK steht vor einer schwierige­n Aufgabe“, sagte Schulz.

Neidischer Blick zum CDU-Parteitag

 ??  ?? Zwei Parteichef­innen: Andrea Nahles (SPD, rechts) bietet der neuen CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r eine gute Zusammenar­beit an. In der großen Koalition soll es erneut einen Neustart geben. Fotos: Thomas Lohnes/Getty; D. Heerde/dpa
Zwei Parteichef­innen: Andrea Nahles (SPD, rechts) bietet der neuen CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r eine gute Zusammenar­beit an. In der großen Koalition soll es erneut einen Neustart geben. Fotos: Thomas Lohnes/Getty; D. Heerde/dpa
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